»Aber ich arbeite dran. Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich mir keine Mühe gebe. Hier! Dieses breitbeinige im Sessel liegen, das schafft ein durchschnittlicher Mitteleuropäer sicher nicht.«
»Hmm... Wie lange übst du denn schon?«
»Wie lange ich schon übe, ein guter Macho zu werden? Ungefähr 33 Jahre.«
»Oh, da hast du aber früh angefangen. Aber eigentlich wollte ich wissen, wie lange du schon hier in Spanien sitzt und an deinem Macho-Image bastelst?«
»Seit ein paar Wochen.«
»Wind- oder Kitesurfen?«
Aha, sie ist informiert.
»Kiten.«
»Wie lange?«
»Den ganzen Sommer. Und du?«
»Weiß noch nicht. Ich bin gerade angekommen. Sollte hier in Tarifa nicht immer Wind sein?«
»Hier ist fast immer Wind, nur heute eben nicht.«
»Und was macht man dann hier so, wenn kein Wind ist?«
»Nichts. Kaffee trinken. Ein Buch lesen. Abends vielleicht mal ein Bier. Ein Superort für Nichts!«
»Hmm.«
»Man kann noch versuchen, ein guter spanischer Macho zu werden. Aber das ist schwer. Für Frauen besonders schwer.«
»Hmm.«
Nun sag’ schon was. Ich will weiter mit dir reden. Du bist viel, viel spannender als mein Buch.
Du bist lustig. Du bist schlagfertig. Du bist irgendwie verdammt cool. Auch wenn da vielleicht etwas ganz leicht nervöses, unausgeglichenes oder etwas ganz leicht zappeliges tief in dir versteckt ist. Du bist eindeutig cooler als ich. Und du bist hübsch. Oder schön? Vielleicht nicht klassisch schön. Ein süßes Schön vielleicht. Nein, nicht süß. Ich weiß auch nicht. Du gefällst mir einfach.
»Wo kommst du her?«
»Was?«
Na, wo ist sie denn jetzt in Gedanken? Die Frage, wo sie her kommt, ist doch nicht so schwer zu verstehen. Oder will sie nicht mehr reden? Habe ich irgendetwas falsches gesagt? Vielleicht lasse ich sie einfach mal kurz in Ruhe. Und da kommt auch noch der Kaffee zu meiner Rettung:
»Habe mich nur gewundert, wo der Kaffee denn jetzt her kommtauf einmal. Habe die Kellnerin gar nicht bemerkt.«
Sehr gute Ausrede. Gut gemacht.
»Ach so...«
Und schon ist da wieder dieses Lächeln.
»Ich bin aus Hamburg.«
»Ah.«
»Du hast gefragt.«
Hast mir meine Kaffee-Ausrede wohl nicht abgenommen, was?
»Ich bin aus Berlin.«
»Na dann hätten wir das.«
Na dann hätten wir das. Was soll das denn? Willst du jetzt weiter mit mir reden oder nicht? Na dann hätten wir das... Na dann hätten wir das? Na dann hätten wir was denn? Ich weiß nicht weiter.
»Ja, das hätten wir...«
Sie sagt nichts. Ich will aber weiter mit ihr reden. Einfach irgendeine Fragerunde starten:
»Bist du allein hier?«
»Nee, mein Mann kommt gleich. Du?«
»Ah... Ich bin... Dein Mann kommt also gleich.«
Überraschende Wendung. Blöde Wendung. Mein Buch hat gerade wieder eine deutlich größere Anziehungskraft bekommen. Schade. Ganz schade.
»Sollte er, ja. Aber Männer sind ja auch nicht mehr so zuverlässig, wie sie mal waren früher.«
»Und dein unzuverlässiger Mann lässt dich so mit herumlungernden Surfern reden?«
»Natürlich nicht mit jedem. Bei einem richtigen spanischen Vollblutmacho hätte er wahrscheinlich schon ein Problem, aber bei dir macht er sich sicher keine Sorgen.«
Blöde Kuh. Langsam ist Schluss mit lustig. Wer hat sich denn zu mir gesetzt und mir diesen unnützen Small Talk aufgezwungen? Wer hat denn hier wem mit diesem sensationellen Lächeln schöne Augen gemacht? Und wer hat hier bei der ersten aufkommenden Hoffnung auf eine interessante Bekanntschaft seinen Mann ins Spiel gebracht? Und mir dann noch blöd kommen, dass ich kein richtiger spanischer Macho bin? Langsam werde ich sauer. Ich glaube ich bin sauer. Verschwinde doch wieder hübsche Frau. Und hör’ auf, mich so musternd anzuschauen. Und hör’ auf zu lächeln.
»Und da sagst du nichts mehr?«
Was soll ich denn sagen?
»Du, was soll ich sagen? Wir trinken hier gemütlich Kaffee. Du lächelst mich an. Und gleich steht mir eine peinliche Eifersuchtsszene mit deinem Zuchthengst bevor, weil der mich wahrscheinlich doch für einen perfekten Macho-Surfer hält?«
»Mein Zuchthengst?«
Und weg ist ihr schönes Lächeln. Was für eine dämliche Wortwahl. Eindeutiger kann ich ihr wohl nicht zeigen, dass ich enttäuscht bin. Ich bin eifersüchtig. Ich bin eifersüchtig, bevor ihr Zuchthengst überhaupt vor mir steht und mir seinerseits eine Eifersuchtsszene machen kann. Ich fand das Gespräch irgendwie gut. Aber dann ist es jetzt halt vorbei. Und jetzt einfach irgendwie mit halbwegs erhobenen Haupt hier wieder raus aus der Sache:
»Entschuldigung. Ich weiß nicht, wo das Wort Zuchthengst gerade hergekommen ist. Wahrscheinlich vertrage ich nicht so viel Kaffee. Ehemann! Ich wollte Ehemann sagen. Tut mir leid.«
»Angenommen.«
Und sie lächelt wieder.
»Macht ein bisschen den Eindruck, als wärst du eingeschnappt, aber wenn du nur den Kaffee nicht verträgst...«
Jetzt, lass’ es halt gut sein, liebe namenlose Frau. Wir trinken jetzt aus. Und dann gehen wir unserer Wege und ich kann endlich wieder mein Buch lesen.
»Und was lesen wir denn da? `Und Nietzsche weinte`? Der Nietzsche? Der Philosoph?«
»Ja, Nietzsche, der Philosoph.«
Habe ich Lust, mit dir über mein Buch zu reden? Alleine weiterlesen wäre auf jeden Fall eine Option, eine ganz entspannte zuchthengstfreie Option.
»Warum weint er, der Herr Nietzsche?«
Wenn sie nicht so eine sensationelle Stimme hätte... Ich mag sie irgendwie. Ehemann oder Zuchthengst hin oder her. Wirklich schade das ganze. Aber warum nicht das Beste machen aus den paar Minuten, bis ihr Zuchthengst eintrifft. Vielleicht wird das ja auch irgendwie interessant.
»Der Herr Nietzsche hat auf jeden Fall ordentlich ein Ding an der Waffel. Ich bin erst auf Seite hundert und bisher hat Herr Nietzsche noch nicht geweint. Aber ich glaube, er wird weinen, weil er zugeben muss, dass er mit seinem Leben nicht klar kommt.«
»Da muss er doch nicht gleich weinen, es kommt doch fast niemand mit seinem Leben klar..., so wirklich.«
»Ach?«
Niemand kommt also mit seinem Leben klar? Du auch nicht? Oder dein Ehemann nicht?
»Gut?«
»Was?«
»Gutes Buch?«
»Ich glaube, das Buch ist super, aber ich bin mir noch nicht ganz sicher. Es ist ein bisschen seltsam aber gut.«
»Worum geht es?«
»Da bin ich mir auch noch nicht ganz sicher, worauf es hinausläuft. Es spielt irgendwann um 1900 und irgendein Arzt versucht, Herrn Nietzsche von seinen Lebensleiden zu heilen und wird dabei, glaube ich, die Psychotherapie erfinden.«
»Eine wahre Geschichte?«
»Nein, ich glaube, alles frei erfunden. Aber Sigmund Freud spielt auch eine kleine Nebenrolle. Es ist so ein bisschen halbwahr alles.«
»Aber gut?«
»Ich glaube empfehlenswert.«
»Darf ich es nach dir mal lesen?«
»Klar.«
Spontan geantwortet. Und wahrscheinlich spontan gelogen. Unwahrscheinlich, dass wir beide uns noch einmal wieder sehen werden. Du bist mir viel zu sympathisch, als dass ich gerne mit dir und deinem Ehemann zusammen rumhängen und über Bücher reden würde.
»Das klang nicht so ehrlich, dein `Klar`.«
»Doch, doch. Ich schenk dir das Buch sogar, wenn ich fertig bin.«
»Gut, ich glaube, ich muss mal Klartext reden mit dir Freundchen.«
»Freundchen?«
Da ist es wieder dieses Lächeln. Herausfordernd, testend, unglaublich.
Читать дальше