»Siehste.«
»Siehste, siehste, siehste. Siehste gar nichts, du notgeiler Bock.«
»Notgeiler Bock? Ich? Ichentblöße mich hier nicht vor wildfremden Menschen des anderen Geschlechts, während in der Heimat meine Liebste auf mich wartet.«
»Entblößen? In was für einem katholischen Spießerinternat bist du denn groß geworden?«
»Und mit welchen billigen Tricks versuchst du denn, deine Männer rumzukriegen?«
»Keine Ahnung. Hab’ ich lange nicht gemacht. Aber scheinbar sollte ich mir den Shorts-Hochschiebe-Trick für die Zukunft merken. Wirkt ja Wunder bei dir.«
Hör auf zu grinsen, Holger. Das ist zwar eins der schönsten Streitgespräche, dass ich je vom Zaun gebrochen habe, aber das wirkt einfach nicht mit einem Lachen im Gesicht. Einfach einen halbernsten Gesichtsausdruck aufsetzen und weiter.
»Der Hautzeigetrick wird aber bald nicht mehr so wirken, wenn der Zahn der Zeit...«
»Vorsicht, alter Mann. Wer die 30 überschritten hat, sollte ganz vorsichtig sein.«
»Abgemacht. Ich habe nichts gesagt. Wie alt bist du eigentlich?«
»Fast 29.«
»Und Torschlusspanik?«
»Was? Null!«
»Erzähl’ nichts. Torschlusspanik haben alle Frauen kurz vor der 30.«
Oh, oh! Jetzt wird es gefährlich. Aber solange sie so lächelt, bin ich wohl noch nicht zu weit gegangen.
»Und Herr Frauenversteher kennt sie alle, die Frauen?«
»Na ein paar Frauen kenne ich schon.«
»Ein paar Frauen. Und mit den Schlampen willst du mich in eine Schublade stecken?«
»Na, na.«
»Na, na. Hat die Dame etwa Schlampe gesagt?«
»Welche Dame?«
»Spießer!«
»Aua.«
Und was für ein süßer Schmerz. Mit so einem Lächeln als Spießer beschimpft zu werden... könnte mir gerade nichts Schöneres vorstellen.
»Wie geht’s denn dem Herrn Gentleman so mit über 30? Wie viel, 33?«
»Ja, 33. Geht so!«
Na komm, gib mir noch einen.
»Geht so? Wieso?«
»Na geht so. Wäre gern ein bisschen jünger. Oder würde gerne wenigstens nicht älter werden.«
»Wo ist denn dein Problem?«
Aktuell habe ich überhaupt kein Problem. Aber ich kann dir ja mein Problem von vorgestern erklären, als ich dich noch nicht kannte.
»Ich benehme mich wie ein 25-Jähriger. Bin am Kiten. Gehe abends mit der Jugend saufen. Versuche, kleine Mädchen rumzukriegen...«
»Und?«
»Ja, noch komme ich damit gerade so durch. Aber in ein paar Jahren wird es peinlich.«
»Wieso?«
»Na, weil es peinlich ist, wenn ein alter Sack versucht, jung zu bleiben, und so tut, als würde er dazu gehören.«
»Aber du gehörst dazu.«
»Ja, ja. Noch geht’s. Aber es geht los mit den Falten und bald wird es peinlich.«
»Du spinnst, du bist doch ein Mann.«
»Ja, und um mich rum sind meine alten Freunde bald alle unter der Haube. Die ersten Kinder sind da und ich hüpfe abends über die Tanzflächen von Spanien und versuche, so lässig zu sein wie früher.«
»Ich finde dich lässig.«
»Noch bin ich vielleicht ein bisschen lässig.«
Was erzähle ich denn da eigentlich. Gerade war noch alles lustig und jetzt wird das Thema auf einmal ernst. War sie das? War ich das? Und wieso muss ich mich schon wieder als der depressive Depp darstellen?
» Du hast Torschlusspanik.«
Was? Ja, vielleicht ein bisschen. Aber das ganze Thema nur, weil sie ihre Shorts ein Stück nach oben geschoben hat, ein bisschen Haut gezeigt hat und ich lustig sein wollte. Mach’ nie Witze über das Alter der Frauen. Und schon gar nicht über schrumpelnde Frauenhaut.
»Vielleicht habe ich manchmal ein ganz kleines bisschen Panik.«
»Du kannst doch noch mit 50 Kinder zeugen.«
»Aber will ich das?«
»Aber jetzt anfangen zu heulen, bringt ja auch nichts.«
Jetzt reicht es aber. Wechsel einfach irgendwie das Thema.
»Richtig. Ich wollte auch gar nicht heulen. Zumindest noch nicht.«
Das ist doch kein Themenwechsel, du Depp!
»Na dann ist ja gut. Ich kann heulende Männer auch nicht ausstehen.«
»Wie ist es denn bei dir? Zweifest du nie? Solltest du nicht langsam mal seriös werden? Heiraten? Kinder kriegen?«
«Ich bin seriös. Ich habe seit sieben Jahren einen Freund. Wir wohnen zusammen. Meine Familie mag ihn. Seine Familie vergöttert mich. Er hat einen guten Job. Ich hab’ einen guten Job. Und heiraten werden wir schon irgendwann. Und für’s Kinder kriegen bin ich noch viel zu jung.«
»Mit 29?«
»Ich bin doch selber noch ein Kind. Außerdem bin ich noch 28. Fühlst du dich erwachsen?«
»Weiß nicht, ein bisschen wahrscheinlich.«
»Und wo stehst du im Leben?«
»Wie meinst du das?«
»Na, in welcher Phase des Lebens steckst du gerade?«
»Hmm. Wahrscheinlich irgendwo zwischen gerade erwachsen geworden sein und verfrühter Mid Life-crisis.«
»Ein bisschen früh für Mid Life mit 33.«
»Dann bin ich vielleicht irgendwo zwischen erwachsen werden und verfrühter Sinn-Krise.«
»Auch nicht schön.«
»Hört sich auf jeden Fall nicht schön an. Aber so schlimm ist es auch wirklich nicht. Bin gerade eigentlich ganz glücklich.«
Außer, dass die Stimmung zwischen uns von lustig auf ernst kippt, bin ich sogar ausgesprochen glücklich, mit dir hier zu sitzen.
»Aber?«
»Nichts aber. Warum bist du hier in Tarifa?«
»Ich wollte Kitesurfen lernen?«
»Kurz vor’m Kinder kriegen?«
»Wie gesagt, da bin ich noch viel zu jung dafür.«
»Und warum allein.«
»Er ist auf Geschäftsreise.«
»Auf unbestimmte Zeit?«
»Nein, für drei Wochen. Ich hab’ das nur als Anlass genommen, mal rauszukommen.«
»Und wie lange bleibst du?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie? Du weißt es nicht? Lässt dich dein Chef spontan und unbegrenzt Urlaub machen?«
»Der liebt mich. Er meinte, ich soll mir die Zeit nehmen, die ich brauche.«
»Und wofür brauchst du Zeit?«
»Werden wir da gerade ein bisschen indiskret?«
»Na wenn dein Leben so seriös und intakt ist. Wofür braucht es dann Zeit? Unbestimmt viel Zeit?«
»Indiskret?«
Oh, jetzt Achtung. Versau’ es nicht.
»Entschuldigung, wollte nur...«
»Schon gut. Ich... ich wollte mal nachdenken. Ich musste mal raus.«
Lass’ sie einfach reden.
»Weg vom Alltag. Weg von der Routine. Weg von einer Zukunft, die so trist vorhersehbar ist. Ich wollte weg von der Gefühllosigkeit. Ich wollte einfach, dass wieder etwas passiert. Irgendetwas. Wieder irgendetwas spüren.«
Das glaube ich jetzt nicht. Wir sitzen hier nebeneinander in Spanien aus fast genau den gleichen Gründen? Aber das erzähle ich dir ein anderes Mal, hoffe ich.
»Beim Kitesurfen spürt man auf jeden Fall das Leben.«
»Ja genau. Das war heute so krass. Es fühlt sich an, als wäre alles, die ganze Welt und das ganze Leben, in bester Ordnung. Nur weil ein riesiger Kiteschirm an meiner Hüfte zieht, fühle ich mich wie neu.«
»Ich glaube es ist der Adrenalinkick. Der bringt das Kind in einem wieder zum Vorschein. Auf einmal ist das Leben nicht mehr alltagsgrau, sondern gefährlich und bunt.«
»Oder vielleicht steckt in uns allen auch noch ein Kind, das aber nur noch herauskommt, wenn wir etwas völlig Neues entdecken. Was mit zunehmendem Alter und im Alltag generell ja nicht mehr so oft vorkommt.«
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