Ich fahre das Notebook hoch und hänge mich ins Netz, aber außer dummen Gerüchten und schlimmen Halbwahrheiten ist nichts Nennenswertes über die aktuelle Löwendiskussion zu finden.
Nach einem guten Weilchen überfraut mich die Müdigkeit und ich krieche in mein gemütliches Körbchen. Bin ich müde. Miau!
Halb acht Uhr früh. Lasst euch das bitte auf der Zunge zergehen, oh meine Schwestern und Brüder. Halb acht Uhr früh!
Nicht einmal einen Hund jagt man so früh vor die Tür, nur ich arme kleine Katze kann seit zwölf Jahren in aller Herrgottfrüh aus dem Haus schleichen.
Na ja, bald hat die verdammte Frühaufsteherei ein Ende und im nächsten Herbst, das sag ich euch, spielt sich nichts mehr vor neun Uhr morgens ab! Kapiert?
Okay, ich bin also zeitlich auf den Beinen und radle wie immer durch die Stadt zum Gymnasium, auch um auf dem Laufenden zu sein, was für Gaunereien unseren Ort über Nacht heimgesucht haben.
Bingo!
Auf der Hauptstraße tut sich was.
Eine Menschenmenge hat sich zusammengerottet. Ich steige ab, verschließe sorgfältig mein Fahrrad und versuche näher an den Ort des Geschehens heran zu kommen.
Gerüchte machen die Runde.
In der Nacht soll der Löwe eine Kuh gerissen haben. Im Morgengrauen ist der ausgeweidete Kadaver von den Bauern gefunden worden, dabei ist es zu dem Jagdunfall gekommen. Der Löwe ist aus dem Unterholz losgestürmt und hat einen der Bauern angefallen, der ihm die Beute streitig machen wollte, dabei ist auf den Löwen geschossen worden.
Der verletzte Bauer wird abtransportiert. Der Kuhkadaver liegt auf der Hauptstrasse, eine Tierärztin ist bei dem Kadaver, daneben liegt ein kleiner Löwe, der ebenfalls erschossen wurde.
Mir dreht es fast den Magen um. Bei all dem was schon passiert ist, gibt es wohl gar keinen Grund einen kleinen Löwen zu erschießen!
Der kalte Schauer rennt mir über den Rücken. Was sind das für Leute, die so einen kleinen Kerl umbringen?
Endlich werden die tote Kuh und der tote Junglöwe, der wirklich noch sehr klein ist, abtransportiert.
Ich blicke in die Gesichter der Leute, außer mir und ein paar Kindern scheint niemand den kleinen Löwen zu bedauern oder auch nur einen Funken von Mitleid für den kleinen Kerl zu empfinden. Es ist einfach scheußlich. Mit einer Mordswut im Bauch ziehe ich in die Schule ab.
Niemand schnauzt mich an, dass ich zu spät dran bin, es setzt zwar eine Klassenbucheintragung, aber die ist mir auch so etwas von wurscht. Ich sehe aus dem Fenster zu den Feldern und dem Wald hinüber. Irgendwo da draußen ist jetzt der verwundete Löwe, respektive die Löwin, denn die Jungen sind bekanntlich immer bei der Löwenmama, hoffentlich kann sie entkommen.
Und was ist, wenn die gute Löwendame noch ein, zwei, drei andere Junge im Schlepptau hatte?
Ich nütze die große Pause um mich im Netz über die Gewohnheiten der Löwen zu informieren.
Tatsächlich!
Eine Löwin bekommt meistens mehrere Junge.
Gut so. Nach Adam Riese, müsste also mindestens noch ein kleiner Löwe irgendwo da draußen herumirren, denn für mich ist klar, dass die umsichtige Löwenmama ihre Kleinen gut versteckt hat, während sie die Gegend nach Futter auskundschaftet.
Ich spreche mit Bernadette und Sarah über den Fall, sofort pflichten sie mir bei, dass man/frau etwas tun müsste, nur was, das ist noch nicht klar.
In der siebenten Stunde kommen wieder die Feuerwehrleute vorbei, um nach Treibern zu suchen und wieder finden sich genug Jugendliche, die ganz Feuer und Flamme an der Treibjagd mitmachen wollen, denn jetzt suchen sie einen Mörder auf vier Pfoten, den man ganz brutal erschlagen kann.
Die Mordlust in den Augen rennen die Schülerinnen und Schüler mit Stöcken bewaffnet in den Wald hinaus. Ich muss an den schrecklichen Film im Kino 2 denken. Berichtet der „letzte Ungerechte“ nicht auch von solchen Auswüchsen?
Na wartet ihr Halunken, euch werde ich bei nächster Gelegenheit schon die Leviten lesen. Zum nächsten Schulfilm sperre ich euch ins Kino und zeige „den Letzten der Ungerechten“. Da hilft kein Fluchen und kein Beten, erst nach der 227zigsten Minute, wird wieder geöffnet!
Und wer mich kennt, der weiß, dass das keine leere Drohung ist.
Bernadette, Sarah und ich nehmen auch an der Treibjagd teil, doch eher, weil wir meinen, dass jemand noch alle Latten im Zaun haben soll, wenn der Löwe wirklich gefunden wird.
Mein Dad ist auch vor Ort und spricht mit allen Irren ein ernstes Wörtchen. „Wer meint hier den Löwen erschlagen zu können, kann gleich wieder nach Hause gehen“, donnert mein Dad, in seiner Eigenschaft als Kommissar los, und sorgt für betretenes Schweigen.
„Wer den Löwen sieht ruft die Jagdaufseher, die Feuerwehr oder die Polizei. Auf keinen Fall wird etwas auf eigene Faust unternommen, was den Löwen in Panik versetzen und wieder angreifen lässt.“ Dad weiß was und wie man spricht.
Die Vögel am Himmel ziehen ihre Kreise und weisen uns den Weg. Knapp vor Kinobeginn wird die tote Löwin gefunden, die von einer Kugel getroffen worden und verblutet ist, zuvor hat sie ihr Junges getötet.
Alle Jugendlichen, auch die, die vorhin noch ganz groß das Maul aufgerissen haben, was sie mit dem Löwen alles machen würden, sollten sie ihn stellen, lassen Angesichts der Tragödie den Kopf hängen. Tränen fließen. Viele streicheln noch einmal die große und die kleine Raubkatze, bevor die toten Tiere abtransportiert werden.
Was für ein verfluchter Start in mein letztes Schuljahr. Schlimmer kann es wohl nicht kommen.
Fix und fertig kommen Bernadette, Sarah und ich ins Kino zurück. Dort herrscht Stunk.
Der Verrückte will wissen, welcher Blindgänger die Wurstsemmeln geklaut hat?
Nein, wir waren es nicht.
Hm?
Der Verrückte, der nicht von gestern ist, steht vor einem Rätsel.
Wir stehen vor einem Rätsel. Der Wurstsemmelteller ist geplündert. Genau genommen liegt die Wurst noch da, nur die Semmeln und die Paprika- und Tomatenbelegung sind verschwunden.
Wer oder was kann das gemacht haben? Der Semmeldieb muss jedenfalls total verblödet sein, dass er/sie das Beste zurücklässt und mit dem Gemüse abhaut. Der Intelligenzquotient der örtlichen Ganoven lässt schwer zu wünschen übrig.
Sarah geht nach Hause.
Bernadette verkauft wie immer ihre Eintrittskarten und etwas Saft und Kuchen und ich kümmere mich um die Filmvorführungen.
Na gut. Der schlimme Tag soll endlich zu Ende gehen. Aber wer hat wirklich die Wurstsemmeln geklaut? Das sind immerhin zehn Stück, die so an einem Wochentag weggehen, falls mal eine übrig bleibt, wird sie von uns Mädels oder vom Verrückten weggefuttert, aber hier war jemand schon sehr hungrig.
Hm?
Ich gieße wieder unsere schönen Blumen.
Hm?
Irgendein Vogel hat die Erde im Blumentopf von „Dagobert“ und „Daisy“ umgewühlt. Also, wenn ich den Schwachsinnigen erwische, der dem schönen „Dagobert“ und der feschen „Daisy“ die Erde aus dem Topf klaut, der kann etwas erleben!
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