“Danke für das Kompliment, eh. Ich habe dich auch lieb.”
“Gern geschehen.... Und was ist mit einer Entführung von einem Bonzen? Wir können ja mit einem verwöhnten Pudel einer fetten Frau schon mal üben und uns dann hocharbeiten.”
“Nein, nein, so was machen wir nicht, das ist unehrenhaft und gemein”, meinte Joe und schüttelte mit fliegenden Haaren den Kopf.
“Natürlich ist das unehrenhaft, was denkst du denn? Das Ganovendasein ist ein knallharter Job, da bleibt keine Zeit für Sentimentalität. Laß dir doch was Besseres einfallen, du ehrenhafter Verbrecher... Robin Hood hää?”
“Warum denn nicht, beklauen wir doch die Reichen und geben einen Teil an wohltätige Zwecke ab. Da bleibt uns doch noch genug übrig, darüber läßt sich reden. ....ach Frank, sieh zu, daß du im Auto noch Schokolade auftreibst, sonst wird unsere Prinzessin unausstehlich.”
“Gemeiner Schuft.” Babs warf die leere Pralinenpackung nach Joe, dieser ahnte jedoch die Attacke und wich geschickt aus. Da die Packung zum Schutz von Leckereien und nicht zum Fliegen konstruiert wurde, fühlte sie sich nicht sonderlich wohl, kreiselnd in der Luft, und machte neben dem stillen Peter eine Bruchlandung, weil sie natürlich auch das Landen nicht gelernt hatte.
“Eh, hört mit dem Quatsch auf und denkt euch lieber einen guten Plan aus”, maulte Peter auch prompt, leicht aufgeschreckt.
“Ich denke der Staat und die Kirche kommen schon in die engere Wahl, die haben genügend Kies, und außerdem hätten wir die Bevölkerung auf unserer Seite, weil sich jeder über die ärgert.”
“Richtig John, aber wie sollen wir die aufs Kreuz legen, kannst du mir das auch noch sagen?” fragte mich Frank und schlenderte mit einer Tafel Schokolade mit Mandelsplittern an seinen Platz zurück und verfütterte sie an Babs, wie ein Vogelpapi, der seinem Küken einen tollen, dicken Wurm mitgebracht hat.
“Also aus dem Stehgreif fällt mir jetzt nix ein, aber das kommt noch, verlaßt euch drauf, das kommt noch.” Unbemerkt wurde an diesem Abend eine Weiche auf Ablenkkurs gestellt, nur um ein paar hundertstel, ein paar tausendstel Grad und doch von riesiger Abweichung vom Normalkurs, falls wir uns überhaupt jemals darauf befunden hatten. Ein Gedanke war nun festgesetzt, ein Virus eingeschlichen, der sich langsam ausbreitete, ganz langsam. Der langsam andere noch gesunde Zellen befiel und ihnen den Befehl erteilte, dem eigenen kranken Zweck zu dienen: Der Planung einer kriminellen Handlung!
Der Computer nahm mit dem manipulierten Chip die Arbeit auf, das Programm lief gnadenlos und unaufhaltsam. Tausende und abertausende von Berechnungen, Hypothesen, Pläne und Möglichkeiten ihrer Durchführung wurden simuliert und durchgespielt; irgendwo in den dunklen vergessenen Winkeln unserer Gehirne. Wo der schwarze Ritter der Seele zu Hause ist, der mit dem Nährboden des Bösen alle finsteren Wünsche und Begierden speist, die nur durch Mäßigung und durch erlerntes Sozialverhalten unterdrückt und beherrscht werden können. Die Saat war nun ausgesät, und der Tag sollte kommen, an dem der erste Spross das Licht erblicken, gedeihen und zur reifen Frucht heranwachsen würde. Jeder Mensch kennt sie, die verlockende, prächtig ausgereifte Frucht, die mit ihrem süßen Duft und drallem Aussehen für sich wirbt, bis man einfach nicht mehr anders kann als zuzugreifen, zuzupacken und sie gierig zu verschlingen. Denn dann ist Vorsicht geboten, will man nicht so elend wie Adam enden, der ebenfalls der Versuchung erlag, die verbotene Frucht schnappte, seinerseits geschnappt und übel verknackt wurde. Sollte aber diese Frucht nun wirklich ausgereift sein (oder ein Plan, wie man es nimmt), und wenn das Programm keinen Fehler gemacht hat, alle Berechnungen stimmen, dann ..., dann sollte es, ...dann könnte es, dann müßte das Ernten doch möglich sein, ebenso wie das anschließende, unerkannte Genießen und Verdauen. Diese verbotene Frucht könnte jemanden durchaus bestens nähren. Wer weiß? Wer weiß?
“Fahren wir bald eh, sonst kriege ich morgen wieder den Arsch nicht aus dem Bett, ich will nicht schon wieder einen Anschiß.” Seit Peter die Schreinerlehre angefangen hatte wirkte er öfters leicht gereizt, denn er wußte, wenn er diese Lehre wieder abbrechen würde, würde es nie etwas werden mit einer eigenen Bude und einem fahrbaren Untersatz. Also machten wir uns auf die Heimfahrt, mit den verschiedensten Eindrücken, neugewonnenen Erfahrungen und mit der dicken Lippe, welche es Joe wieder einmal schmerzhaft bewiesen hatte: Er war und blieb auf ewig ein Mißverstandener in einer ihm fremden Welt, zu einer ihm fremden Zeit.
Kronenkorken, Zigarettenkippen und Vogelscheiße markieren den Aussichtsplatz auf dem Dach meines Appartements, den ich an diesem Abend aufsuchte. Ich kam sehr oft hier her, in lauen Sommernächten, wenn mir nach Grübeln zumute war. Eine Fensterluke, im von Spinnengeweben durchsetzten Dachboden ermöglichte mir dem Weg, gab die Aussicht frei auf den weniger romantischen Teil der Stadt. Hinterhofidylle mit tristen Farben, schrulligen Formen, verdreckten Fenstern, frei von jeder Art künstlerischen Schnörkel. Ich trat eine weitere Zigarettenkippe aus, welche sich nahtlos in das Schicksal ihrer Artgenossen einreihte. Dann nahm ich meine Bluesharmonika, spielte ein trauriges Lied und ließ meine Gedanken einem willkürlich gewähltem Tagtraum nachjagen. Ich saß bereits seit zwei Stunden hier oben, sah das Tageslicht gehen, sah das kurze Aufflackern des Abendrotes, den Sieg der Dunkelheit. Nichts war mehr zu sehen von den häßlichen Antennen, Satellitenschüsseln oder von den plumpen Schornsteinen. Es gab nur noch mich, die Lichter der Stadt und ein schwachrotes Leuchten in der Ferne, welches den Standort der Dillinger Hütte bestimmte. Der dumpfe Klang von Vorschlaghämmern auf grobes Blech drang aus der benachbarten Montagehalle und lieferte den akustischen Background zu meinem trostlosen Blues. Bis das Tapsen leichter Schuhe das Kommen einer leichten Person ankündigte, die ich schnell als Jenny identifizierte.
“Hat dir schon mal jemand gesagt, daß du noch schlechter als Bob Dylan spielst?”
“Ja du, jedesmal wenn du mich beim Spielen erwischst.”
“Du bist schon recht lange hier oben. Ich hocke die ganze Zeit allein unten rum und langweile mich. ...Hörst du mir überhaupt zu?”
“Entschuldige, was hast du gesagt?”
“Nicht so wichtig, sag mir lieber was mit dir los ist, und warum du stundenlang ins Nichts glotzt.”
“Siehst du die Lichter überall da draußen, Tausende, ein ganzes Meer davon? Sie verkörpern Tausende von Menschen, Tausende von Träumen und Hoffnungen.” Ich machte eine kurze Pause und führte meine verrückten Gedanken fort.
“Die stehen jeden Morgen auf und tun haargenau das, was sie jeden Tag tun. Sie hoffen auf Dinge, die nie eintreten, und sie werden ständig desillusioniert.”
“Oh je, es ist noch schlimmer als ich dachte, du hörst dich ja schon an wie Joe der Philosoph.”
“Ich will doch nur wissen, warum die das machen, warum schmeißen die nicht einfach alles hin und pfeifen auf den ganzen Mist?”
“Das weiß ich nicht John, aber ich bin froh, daß nicht alle Menschen so sind wie du, wo kämen wir denn dann hin? Und vielleicht gefällt ihnen ja ihr Leben so wie es ist, vielleicht wollen die gar nix anderes.”
“Ja, wahrscheinlich hast du sogar Recht. Aber es gibt noch so viele Dinge die es zu sehen, erleben, fühlen und zu schmecken gilt.”
“Du mußt einfach mit dem zufrieden sein, was du hast, so schlecht geht es dir doch gar nicht.”
“Stimmt, ich habe gute Freunde, auf die ich zählen kann. Wer kann das schon mit Sicherheit von sich behaupten? Und eine charmante Beraterin, ohne die ich wohl aufgeschmissen wäre.” Meine verspannten Gesichtszüge lockerten sich, Jenny hatte es wieder geschafft, ohne es zu wissen. Sie hatte mich auf den Boden der Realität zurückgeholt, lächelnd. Die Erde hatte mich wieder. Speziell in dieser Zeit war ich wankelmütig, aufbrausend, ständig zwischen himmelhoch jauchzend und tiefer Depression; zwischen zurückgezogener Isolation und nervtötender Aufdringlichkeit. Gefangener des ständig brodelnden Lavastromes der Emotion, der in mir kochte, jederzeit bereit auszubrechen. Doch Jenny besaß den Schlüssel zu meinem Inneren, sie allein besaß die Macht, mein Temperament zu zügeln und zu kontrollieren. Sie bildete den ruhenden Pool in meinem ansonst unruhigen Leben.
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