„Lassen Sie das meine Sorge sein, Captain! Gut, dass Sie die Konzeption ansprechen. Haben Sie alles verstanden? Ist Ihnen zumindest in der Theorie klar, wie es funktioniert?“
Francis verdrehte die Augen. Für begriffsstutzig hatte er sich noch nie gehalten. Natürlich konnte er den hirnrissigen Quatsch nachplappern.
„Ja, man heilt die Krankheiten mit Hilfe der modernen Medizin und bildet die Kinder jahrelang in einem Camp aus, vermittelt neuzeitliches Wissen. Was Sie leider nicht mitteilten, ist der Sinn dieses aufwendigen Plans. Glauben Sie übrigens ernsthaft, dass die Kids später als Erwachsene Ihre Befehle ausführen?“
Unerwartet brach die junge Frau neben Maggie Thornton in Gelächter aus. Francis sah erstmals ihre weißen Zähne. Jeder hatte die richtige Proportion, fügte sich makellos neben den anderen ohne die kleinste Lücke, ohne hervorzustehen. Ein derart vollkommenes Gebiss hatte er noch nie gesehen.
„Die Kinder haben keine Wahl! Sollen die ihre Ausweise selbst drucken, oder die Geburtsurkunde?“
„Klappe, Eydis!“ Die Stimme von Maggie Thornton klang eisig. Die andere Frau zuckte zusammen, wurde bleich im Gesicht. Francis hob überrascht die Augenbrauen. Die beiden Personen verband anscheinend nicht nur Skurrilität, sondern auch ein Verhältnis von Vorgesetzter und Untergebene. Das war neu.
„Sie verstehen also das Konzept, Captain. Es entsteht kein Zeitparadoxon, wenn ein Kind in seiner ursprünglichen Zeitlinie gestorben wäre. Man vermittelt modernes Wissen und erhält Mitarbeiter für das 21. Jahrhundert.“
„Die völlig abhängig sind“, mischte sich die mit Eydis angesprochene Frau wieder ein, unterbrach Maggie in brummigem Tonfall.
Diese schlug sofort mit der flachen Hand auf den Tisch, die Augenlider wurden eng. Bevor zwischen den beiden Frauen ein Streit ausbrechen konnte, ergriff Francis das Wort. Ihn interessierte weder ihr Innenverhältnis noch ihre Vorliebe für hochtheoretische und im wahrsten Wortsinn verrückte Themen.
„Fallen Sie nicht übereinander her. Es gibt keine Zeitreisen, das ist Schwachsinn! Also hören wir auf, darüber zu sprechen! Ich will wissen, weshalb ich das alles machen soll! Warum bezahlen Sie mich?“
Erneut wechselten Maggie Thornton und Eydis schnelle Blicke. Letztere verschränkte die Arme vor der Brust. Vom Reden hatte sie wohl genug. Maggie schob den Umschlag mit Geld zu Francis.
„Morgen früh um neun Uhr in Newton Mearns. Die Adresse steht auf einem Zettel zwischen den Geldscheinen.“
„Und falls ich keine Lust auf Reiten habe?“ Francis ignorierte den Umschlag, blickte die Frauen herausfordernd an. Maggie zuckte mit den Schultern.
„Nun, Sie sind mit der Miete im Rückstand und jederzeit in Gefahr, auf die Straße gesetzt werden. Der Kredit für Ihr Auto ist nicht abbezahlt. Oder besitze ich falsche Informationen? Was halten Sie davon, wenn in den Computersystemen der Banken bei Ihrem Namen eine rote Lampe aufleuchtet? Keiner würde Ihnen in den kommenden Jahren auch nur einen Penny leihen!“
Francis fühlte die kalte Wut in sich aufsteigen. Seine finanzielle Lage war mies, das stimmte. Doch die Selbstachtung hatte er damit keinesfalls verloren. Niemand durfte ihn wie einen Dienstboten behandeln! Seine Hand griff nach dem Umschlag, knüllte ihn zusammen.
„Denken Sie erst!“, forderte Eydis in ruhigem Ton. Sie packte die Hand und drückte sie fest auf den Tisch.
Francis blinzelte verwirrt. Eydis sah ihn intensiv mit ihren rehbraunen Augen an. Ein beruhigendes Gefühl ging von ihr aus, übertrug sich auf Francis. Die Logik kehrte zurück, übernahm die Herrschaft. Leider hatte Maggie Thornton Recht, es gab keine Alternative. Seine finanzielle Situation zwang ihn seit Wochen, die merkwürdigen Aufträge anzunehmen. Alt-Irisch war nicht schlecht gewesen, vielleicht konnte er dem Reiten auch etwas abgewinnen. Mürrisch steckte Francis den Briefumschlag ein.
„Eydis ist Ihre Lehrerin“, verkündete Maggie. „Dafür entfallen vorläufig die Treffen im Pub. Es gibt ein paar neue Entwicklungen, die meine Aufmerksamkeit erfordern.“
„Wie schade! Ich werde das Zeitreisengeschwätz vermissen!“
Maggie verzichtete auf eine Erwiderung. Wortlos standen sie und Eydis auf und verließen den Pub. Francis ging an den Tresen, hob die Hand. Kieran, der Wirt, nickte seinem Stammgast zu und schob ihm ein volles Glas hin. Francis trank es sofort zur Hälfte aus.
„Es wird Zeit für einen vernünftigen Job, so wie ich ihn mir vorstelle. Man gräbt ein paar Knochen aus, oder liest schaurige alte Texte über die Tragödien der Vergangenheit, die das alles verursachten. Keine Emotionen, nur Kopfschütteln darüber, dass sich vor tausend Jahren die Leute aus irgendwelchen Gründen dauernd gegenseitig umgebracht haben.“ Er sah Kieran ins Gesicht. „Du hörst doch in der Stadt das Gras wachsen? Was sagt die Gerüchteküche über Maggie Thornton?“
Kieran zuckte hilflos mit den Schultern.
„Sie ist Aufsichtsratsvorsitzende einer Firmengruppe. Ab und zu steht ein Bild von ihr in der Zeitung. Sie spendet für soziale Projekte in der Umgebung von Glasgow.“
„Was für Firmen sind das, was stellen die her?“
„Nichts, sie verwalten offensichtlich ausschließlich Vermögen.“
Francis ergriff das Bierglas, drehte den Kopf. Einige bekannte Gesichter waren anwesend, saßen in Gruppen an den Tischen. Ein älterer Mann warf Pfeile auf eine Dartscheibe, ließ sich bei jedem guten Treffer feiern, bestand darauf, das sein Bierkonsum allein dafür verantwortlich sei. Ein junges Pärchen an einem Ecktisch hatte nur Augen für den jeweils anderen. Insofern sah alles normal aus.
Zwei Männer weckten die Aufmerksamkeit von Francis. Sie redeten kaum miteinander, beobachteten jedoch genau die Umgebung. Ihre Blicke gingen zur Seite, als Francis sie ansah.
„Diese Typen da drüben am Tisch“, sprach er den Wirt an. „Sind sie vorher schon einmal hier gewesen?“
„Nein, sie kamen einige Minuten nach Maggie Thornton in den Pub, tranken seitdem nur Orangensaft. Wer war eigentlich das junge Mädchen, das sie bei sich hatte?“
Francis hatte nur den Vornamen gehört, der ihm wenig sagte. Wahrscheinlich stammte sie aus dem Ausland, was ihre betonte Aussprache erklären würde. Ein weiteres Glas später faltete Francis den Zettel mit der Adresse auseinander, der im Briefumschlag gelegen hatte. Diese Thornton spendierte verdächtig viel Geld. Die Gegenleistung stellte nicht das Problem dar. Vielmehr hasste Francis das geheimnisvolle Getue und seine Abhängigkeit.
„Du solltest dir eine Freundin zulegen!“
Francis wehrte ab, betrachtete mit Interesse, wie sich ein neues Glas mit Bier füllte. Kieran und seine Sprüche!
„Ich habe im Moment wenig zu bieten, außer einem schäbigen Zimmer in einer Absteige.“
„Falsch! Du kannst dich anbieten, einen ehrlichen Typ. Früher warst du oft mit dieser Sabrina im Pub. Was ist aus ihr geworden?“
„Sabrina ist Geschichte, genauso wie der Rest meines Lebens. Was ist mit dem Bier?“
Kieran zögerte einen Moment, bevor er das Getränk zu seinem Gast schob. „Du grübelst zu oft über die alte Sache. Es war dunkel und die einsame Farm mit der Mauer ideal für die Übernachtung des Spähtrupps.“
Francis verzog das Gesicht und griff routiniert das Glas. „Du kennst die Story ja schon auswendig. Bin ich so ein Schwätzer? Ich hätte an Sprengfallen denken sollen, es war meine Schuld. Mach noch ein Bier fertig, ich habe seit ein paar Minuten Geld dafür!“
Kieran resignierte. Nach Ablauf einer Stunde hatte der Umsatz für seinen Stammkunden stark zugenommen. Francis beobachtete die beiden merkwürdigen Männer. Etwas stimmte mit ihnen nicht, davon war er immer mehr überzeugt. Er wechselte knappe Worte mit Kieran, worauf der Wirt mit den Dart-Spielern ein Täuschungsmanöver verabredete. Während Francis die Toilette aufsuchte, blockierten sie die Tür und feierten lautstark ihre Ergebnisse. So entstand eine undurchdringbare Menschenmenge.
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