Ohne ein Wort ging ich voran in das trübe Licht inmitten der hölzernen Riesen. Ein kleiner geschlängelter Pfad führte durch das Dickicht. Körbe und Kisten wurden hier nicht transportiert, fiel mir auf. Am Ende grenzte ein Saum dicht stehender Nadelbäume die Wildnis aus. Ich ging weiter und spürte, dass die anderen stehen blieben.
Ich drehte mich zu ihnen um. Sie standen verloren da, aber mein Mitgefühl hatte Gurwass in den Belt gespült.
„Ich danke für die Eskorte. Ich werde die Menschen aus Gurwass als jene in Erinnerung behalten, die einen Morgengruß nicht erwidern.“
Ich drehte mich um, überschritt die Grenze und verschwand zwischen den Gräsern. Ich ließ mich sofort am Boden nieder und hantierte mit meiner Tasche, um mich mit Spucke einzureiben. Der Geruch würde mich vor Naveren schützen, bis ich zu meiner Tasche kam. Ich stülpte die Kapuze über mein Haar und ging gebückt weiter. Die vier entließen mich am südlichsten Punkt der Stadt. Ich sah das Südgebirge, dass sich über den gesamten Horizont erstreckte. Der Anblick lockte mich sehr.
Umgehend suchte ich meine Tasche. Das dauerte länger als gedacht. Ich konnte mich nicht entsinnen, Nadelbäume wachsen zu sehen. Meine Tasche hing höher als am Abend zuvor.
Mein nutzloser Arm zwang mich, auf dem Ast zu schlafen. Halbschlaf war ich gewohnt. Meine Ohren schalteten sich nie ab.
Mich zog etwas in die Berge, je öfter ich die weiß bedeckten Felsriesen sah. Die Stadt Sliber wollte ich nicht mehr sehen. Ich betrachtete sie als Nest voller Dacmen und Vomen.
Zuerst musste mein rechter Arm heilen. Abwarten und hungern. Erst der Arm, dann der Proviant, dann der Transport. Aber wie?
Nach meinen Erfahrungen im Nordgebirge schien das Südgebirge mindestens zehnmal breiter und unendlich lang. Die vorderen Bergspitzen löcherten bereits die hoch vorbeiziehenden Wolken. Höhere Berge dahinter konnte ich nur erahnen.
Im Norden überlebte ich Schneestürme und schnell wechselnde Wetterlagen. Für das Südgebirge erwartete ich schlimmere, größere Gefahren.
Ich hatte alles versucht, um Anschluss bei den Menschen zu finden. Sie wollten mich nicht. Mochte Oxba freundlich gewesen sein, ich war uninteressant für ihn, weil ich nicht kräfftern konnte. Mochten Männer und Frauen aus mir unbekannten Gründen geweint haben, als sie mich davon schickten, oder eine Schlame mir einen Stein senden. Das alles war ohne Bedeutung für mich, wie die Zeit, wenn man entschieden hat.
„Zeit ist unbedeutend, wenn Entscheidung alles ist.“
Diesen Satz lernt man im Sucherhort zuerst auswendig. Die Weisen verabschieden jeden mit diesem Satz aus dem Hort.
Meine Entscheidung stand aus. Auch wenn ich niemandem etwas bedeutete, so konnte ich das von mir nicht behaupten. Die Menschen in Gurwass waren mir nicht egal. Selbst die Vomen in Tawa kümmerten mich.
Ich hielt meinen Kurs. Die Entscheidung fiel auf dem höchsten weißen Berg, den ich sehen konnte.
Drei Tage und Nächte auf dem Ast mussten vergehen, bis der rechte Daumen erstmals zuckte. Am Tag darauf folgten die Finger und schließlich der Arm. Ich verließ den sicheren Ast und eilte zum Strand. Wasser! Zuerst schwerfällig mit gewissen Schmerzen, dann mit zunehmender Bewegung taten beide Arme wieder ihre gewohnte Arbeit. Jetzt konnte ich mich wieder riechen. Zurück auf dem Ast entschied ich mich. Wut war die Mutter meiner Entscheidung. Mir war alles egal, wenn ich nur weg kam. So schnell wie möglich da hinauf – ohne zu gehen. Zu Fuß dauerte der Weg Wochen, vielleicht Monate. Ich wollte einen schnelleren, eigentlich den schnellsten Transport, den ich kannte.
Eine Schwarzfeder zwingen mich zu tragen.
Den Armowass überlebte ich. Die Menschen in Balidan und die Wildnis konnten mich nicht töten. Was konnte mir nach alldem noch ein Vogel antun? Ich musste einfach auf diesen einen weißen Gipfel, den ich sah, der Sehnsüchte in mir weckte, die ich nicht verstand.
Mehr als die Ahnung eines Plans hatte ich nicht. Zuerst musste ich essen und dann für Vögel jagen.
Der heiße Mittag nötigte die Jäger der Lüfte, die über mir nisteten, zur Heimkehr. Als ich sechs fette Kleptrons am Stock trug, war ich zuversichtlich.
Da mir unbekannt war, wie ich mit Kraft Steine heiß machen konnte - ich glaubte jedenfalls, das sei möglich - half ich mir anders. Dafür brauchte ich Holz, das tote Fleisch der Pflanzen, einen roten Blodanth und meinen eigenen ehemals faustgroßen Saramanth, den ich an der Grenze zum ewigen Eis ausgegraben hatte. Vor einer Woche entzündete ich das letzte Mal ein Feuer. Rieb ich langsam den roten gegen den durchsichtigen Stein, fiel roter Staub auf Holz. Rieb ich ganz schnell, fiel weißer Staub und entzündete den roten Staub und das Holz. Ein Feuer brannte.
Ich versuchte die verschiedensten Steine. Schwarzer Arkanth, gelbgrüner Azuranth, brauner Oroanth, gelboranger Lavsanth, violetter Zulianth, blauer Hazwoanth oder grasgrüner Tremolianth. Nur mit dem roten Stein, Blodanth, konnte ich ein Feuer machen.
Im Kampf ums Überleben bedurfte es nicht mehr, dafür andauernde Wachsamkeit und stete Lauerstellung. Zudem hielt mein Feuer hungrige Zähne auf Abstand.
Ich nahm meine Beute aus und briet sie. Das ergab Proviant für mehrere Tage. Mich der Früchte der Menschen bedienen? Jene um Proviant fragen, die mich vertrieben? Niemals. Ich fand in der Wildnis überall Essen.
Eine Schwarzfeder zu zähmen, um mich zu tragen, war gemein. Aber ich wollte es durchziehen, weil ich mich dazu entschieden hatte. Einmal entschieden ging ich bis ans Ende.
Was ich mit Schönfell und ihren Vorgängern anstellte, damit sie mich leben ließen, wollte ich mit einem Herren der Lüfte wagen.
Ich könnte in die Stadt gehen, beim nächsten Pfermenhaus anklopfen und fragen, wie diese zu zähmen seien. Niemals. Diese Leute sollten nicht denken, sie könnten mir Dienste erweisen, die ich erwidern musste.
Insgeheim hoffte ich Menschen am Gürtel zu sehen. Eine Delegation, die zu mir kam, und mich in die Stadt einlud, mit Entschuldigungen und Versprechen. Diese Art Hoffnung ließ ich zuerst sterben.
Am nächsten Tag jagte ich mehr Kleptrons, winkte kleine Ledergreife mit frischen Kadavern heran. Ab da folgten mir fliegende Schnäbel. Sie aus der Nähe zu betrachten, sie zu unterscheiden, hatte ich in den Jahren zuvor nie versucht.
Bisher genügte mir zu wissen, wer mich fressen wollte und konnte. Dann gab es jene, die mich fressen wollten, aber nicht konnten, und viele, die zu beidem nicht in der Lage waren. Schwarzfedern besaßen bis zu fünf Meter gestreckte, gefiederte Körper mit sechs Flügeln. Sie konnten Stunden segeln. Sie flogen von den Bergen herab. Ihre Nester mussten groß und schwer sein, benötigten festen Untergrund, nicht das Schwanken der Bäume. Mit meiner Fütterung wollte ich ihre Aufmerksamkeit gewinnen. Ich ging davon aus, dass sie mich sahen, wie ich sie sehen konnte. Ohne Kapuze war weißes Haar auffällig genug. Sie sollten mich fressen wollen und zu Boden stürzen. Dann wollte ich bereit sein. Am Boden fielen sie den Naveren zum Opfer, die ich besiegte.
Ich warf die lebende Beute zu den kleinen Fressern in die Luft. Nach zwei Tagen kamen sie zu mir geflogen und warteten bereits auf die Nahrung. Sturzkrallen und Ledergreife stritten miteinander und hackten aufeinander ein. Statt sich zusammenzuschließen und mich anzugreifen, suchte jeder einzelne seinen Vorteil, um ein saftiges Stück zu bekommen.
Zum Schluss lag die Hälfte der Kleptrons zerfetzt am Boden und wurde Beute der kleinen Nestres. Ob ich richtig handelte, wusste ich nicht. Aber meine zukünftigen Transportmittel schienen mich genau zu sehen - wie ich sie.
Das Fressfest der Kleinen sollte die Neugier der Großen wecken, wie der Teppich im Belt vor wenigen Tagen viele Vögel angelockt hatte.
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