„Ratsmitglieder sind doch alle gleich. Oxba hat sich nicht mal deine Sorgen angehört. Der brabbelte unverständliches Zeugs daher, jemand könne nicht, und sie sei in Gefahr. Dann war er weg. Schon wieder. Wird es brenzlig, verschwindet er.“
„Er wird seine Gründe haben, Ogala. Ich breche morgen früh auf. Übrigens, wann hast du Omdal, dein Ratsmitglied, gesehen? Er versteckt sich hinter Lumen und Vomen, berichten die Delmen.“
„Sei vorsichtig! Die Kinder haben heute Ledergreife, sogar Sturzkrallen am Strand ausgemacht. Sie meinten, so viele hätten sie noch nie gesehen.“
„Beruhige dich. Ein paar Sturzkrallen mehr machen noch keine Vorzeichen. Eine Schwarzfeder würde mich dagegen sehr beunruhigen. Ich sag den Kindern gute Nacht und sie sollen nicht so übertreiben.“
Leise entfernte ich mich. Zumindest kannte ich den Grund für die zahlreichen Jäger.
Das Rot der Schlamen war nicht zu erkennen, aber die Form ihrer Häuser. Diese Menschen verbanden viele schlanke Türme zum Haus. Ähnlich ihrer Türme waren sie schlank und groß, mancher reichte mir bis zum Kinn, jedenfalls jene, die ich hatte sehen können.
Der Gasse bis zum Ende der Bucht folgen und dort den Tag erwarten, nahm ich mir gerade vor, als ich ein dumpfes unterdrücktes Stöhnen vernahm. Ich dachte mir nichts dabei, da die gesamte Stadt aus vielen Geräuschen bestand, Stimmen, Töne, Lieder, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Das war schlimmer als das Kreischen aus der Luft. In der Stadt gab es keine Stille. Am Tag schwoll der Lärm unerträglich an und tat den Ohren weh, weil ich ihn nicht gewohnt war.
Gern hätte ich diese Schmerzen ertragen, wenn ich bleiben durfte.
Ich hörte das Geräusch wieder.
Jetzt folgte ein verzweifeltes Schluchzen.
Eine Frau.
Vor mir kreuzte eine breite mit Steinen gepflasterte Straße den Bohlenweg, durchbrach nach rechts die Front der Delmenhäuser und führte zum Hafen. An der Häuserecke stand die Pferme mit dem Rücken zur Wand. Zwei dunkle Gestalten zwangen sie zu bleiben. Die gebeugte Haltung und die schwarze Kleidung zeigten mir, was sie waren: Vomen.
Ihre Stimmen kratzten meine Ohren. Obwohl ich vierzig Schritte entfernt stand, verstand ich alles.
„Wir können dich auch zwingen, uns zu Willen zu sein.“
„Niemand wird dir glauben.“
Der eine hob den Arm, und die Frau krampfte kurz zusammen, sank aber nicht zu Boden.
Sie war für mich wie ein Naverejunges und zwei Sturzkrallen wollten nach ihr greifen. Meine Lieblinge beschützten ihren Nachwuchs. In einer lauten Stadt war der Lautlose im Vorteil und unbesiegbar, wenn ich hätte kräfftern können. Niemand hörte mich. Ich besaß nur einen Stock und meine linke Hand. Für mein Vorhaben musste das reichen. Als ich unbemerkt herankam, sprang ich mit dem Fuß voran. Der Stock traf den Hals des linken und mein Fuß die Nase des rechten Vomen. Mein Angriff erfolgte fast lautlos. Beide sackten gleichzeitig zu Boden, und ich schlug ihnen auf die Ohren. Die blieben für eine Weile liegen. Zum Glück hielt meine Kapuze. Die Pferme starrte mich an, schien aus einer Trance zu erwachen und rannte davon.
Über die Ähnlichkeit der Vomen mit Vögeln hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Die Absichten der beiden standen fest, als ob die Männer sie in die Nacht gebrüllt hätten. Die Pferme wäre nicht unversehrt zu ihrem Freund zurückgekehrt. Ich sah der Frau nach, als sie hinter der Biegung der Gasse verschwand. Ich stieg über die Bewusstlosen und bog links in die Straße ein, um einen weiteren Bohlenweg zu betreten, der dem ersten parallel um die Bucht folgte.
Über der Stadt lag ein Schleier der Angst. Wie in vielen anderen Städten blieben die Menschen abends oder nachts daheim. Ich konnte unbehelligt jeden Winkel erforschen. Die finsteren Häuser der Vomen zeigten düstere spitze Giebel und gebogene krallenförmige Säulen. Die fröhlichen runden Pfermengebäude leuchteten im Sternlicht. Die Allmenhäuser bestachen durch gerade Linien mit rechten Winkeln oder Dreiecken.
Als ich auf der Westseite der Bucht anlangte, begannen die Sterne zu verblassen. Rufe ertönten auf der anderen Seite. Dort erwachten die beiden Vomen. Ich erreichte unbeachtet das Wasser.
Der rechte Arm bewegte sich nicht, obwohl er warm war. Er sah kerngesund aus. Unsere Sonne erhellte den Himmel, ohne sich zu zeigen. Die ersten Schiffsgeräusche drangen zu mir. Die Delmen, die auf den Schiffen schliefen, erwachten und begannen mit den Vorbereitungen für die Abfahrt.
Die vier Schiffe verloren sich in dem großen Hafen. Damals in Plawass legten zwanzig, dreißig Schiffe auf einmal an.
Wenn ich in Ruhe ein Bad nehmen wollte, dann jetzt. Inzwischen kam ich mit nur einem Arm zurecht. Ich stand bis zur Hüfte in den Wellen und hoffte. Kneten, hauen, kneifen. Nichts half. Der Arm blieb taub. Mein DAL war weich wie eine Messi. Ich konnte ihn leicht anlupfen. Oxba hatte sich über die Härte gewundert. Bedeutete ein weiches Armband, dass ich kräfftern konnte? Ich wusste nicht, wie ich die Kraft nutzen konnte, und niemand brachte es mir bei. Ich streichelte den lebendigen Reif. Ich fühlte seinen zarten Druck, wie er sich gegen die Finger wölbte. Das machte mich glücklich.
Der Meeresgigant hatte etwas bewirkt, ihn weich gemacht. Hätte ich kräfftern können, hätte ich mich den beiden Vomen offen entgegengestellt. Ich bereute nicht, sie niedergeschlagen zu haben. Sie hatten Abscheuliches mit der Pferme vorgehabt. Sie konnte sich nicht wehren. Zwei gegen eine. Feige.
Wie ich die Vomen einschätzte, wollten sie sich rächen - egal an wem. Diese Gruppe interessierte sich nicht, ob sie im Recht oder Unrecht war. Sie wollten Macht über andere und mit brutalem Zwang bekamen sie diese – meiner Erfahrung nach.
Bevor ich Gurwass betrat, drohte mir der Tod. Jetzt ebenfalls. Dann hatte sich nichts geändert. Es gab nur einen Tod, keine Steigerung.
„Verschwinde und stirb!“
Dass ich vor allem mit den Vomen stritt, seitdem ich Städte besuchte, akzeptierte ich. Sie logen oder verdrehten die Wahrheit zur Lüge.
Machten die Schwarzen Ärger wegen zweier niedergeschlagener Männer, blieb ich nicht still. Die Stadt hatte ein Recht auf die Wahrheit und nicht auf Vomen-Lügen. Sollte ich dabei sterben, schien mir das ein guter Tod zu sein.
Mochten sie mich foltern wie in Padent, Aciber oder Tawa. Mochten sie mich lähmen und verprügeln wie in Puwen. Vergiften wie in Targent und Salent oder die Haut aufschlitzen wie in Tawa. Mich durchbohren wie in Daciber. Niemals duldete ich Lügen, um anderen zu gefallen.
DAL leuchtete kurz auf, ohne zu schmerzen, was auch immer das bedeutete.
Die Schiffsbesatzungen lärmten ebenso wie die Bewohner. Die Hafenstadt erwachte zu Leben und ich hätte mir gern die Ohren zugehalten. Ich ließ mir Zeit mit dem Anziehen. Die ersten Sonnenstrahlen strichen die Dächer gelb, bis sie in ihren echten Farben glänzten.
Der Lärm schwoll an und bald setzten die Kopfschmerzen ein. Dann wollte ich zu den Menschen gehen - mit ungewissem Ausgang für mich.
Gurwass beachtete mich nicht. Auf dem Sand sitzend lehnte ich mich an einen Felsen und überblickte die Bucht. Menschen strömten aus den Häusern, betraten andere Gebäude, verließen die Stadt zum Pflanzengürtel oder brachten Ballen auf Schiffe. Loxmen trugen aus deren schwimmenden Laderäumen hohe Kistenstapel in die Stadt. Ich konnte dem nicht nachgehen, obwohl die hölzernen Boxen mich anzogen. Vielleicht starb ich heute oder entschied direkt über die Berge das Land zu verlassen. An einen dritten Weg glaubte ich nicht, erhoffte ihn aber.
Am Ende des Hafens versammelten sich viele Bewohner. Bunt gemischt standen sie in kleinen und größeren Gruppen und sprachen miteinander. Der Lärm ließ meinen Kopf sofort schmerzen. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, dann zu gehen, blieb ich sitzen. Hier und heute war alles anders.
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