“Sie kommen doch heute zu unserem Elternabend?”
Mist, das hatte ich ganz vergessen. Oder vielleicht auch mal wieder verdrängt. Ich habe ein Talent dazu, alles zu verdrängen, worauf ich keine Lust habe. Tante Uta schien das zu wissen.
“Ja natürlich.” Ich wollte nicht, dass sie an meinen Mutterqualitäten zweifelte. “Ich freue mich schon”, setzte ich noch eins drauf. Sie warf mir einen sehr zweifelnden Blick zu. Ich bin sehr schlecht im Lügen und wahrscheinlich fragte sie sich, wie sich jemand auf einen Elternabend freuen könnte.
Claudia konnte zum Glück so kurzfristig als Babysitter einspringen und so befand ich mich kurz vor 20 Uhr wieder auf dem Weg ins “Zwergenland”. Wieso haben nur Kindergärten immer solche dämlichen Namen? “Knirpsenparadies”, “Haus Sonnenschein”. Oder geht das nur mir so? Aber warum können sie denn nicht ganz normal heißen? Selbst etwas ganz langweiliges, wie Kindergarten 4/VI, fände ich besser als diese unerträglichen Verniedlichungen. Für mich hat das irgendwie den Beigeschmack von Scheinheiligkeit, nach dem Motto “Heute sind wir alle gaaaanz, gaaaaanz lieb zueinander” und in Wirklichkeit hauen wir uns die Köpfe ein. Aber vielleicht sollte ich einfach daran arbeiten, etwas weniger zynisch zu sein.
In Momenten wie diesen, wenn ich allein zu Elternsachen unterwegs war, hatte ich oft solche Wut auf Stefan, dass alle diese Aufgaben an mir hängen blieben. Allerdings musste ich bei meiner Ankunft feststellen, dass dies wahrscheinlich gar nicht so viel mit alleinerziehend zu tun hatte, als mit der Tatsache, dass ich eine Frau war. Entweder das oder die Kindergartengruppe hatte den allerhöchsten Anteil von alleinerziehenden Müttern. Ich konnte nur zwei Männer entdecken und die schienen sich auch irgendwie unwohl zu fühlen unter den ganzen Frauen. Ich setzte mich neben eine Frau, die ich im Kindergarten noch nie gesehen hatte. Obwohl sie tadellos gepflegt aussah und mich mit ihrem Twinset und Perlenkette an eine Stepford-Frau erinnerte und mir das eigentlich irgendwie unheimlich war, sah sie auch nett aus. Vielleicht war es ihr freundliches Lächeln.
“Guten Abend alle zusammen.” Tante Uta hatte den Raum betreten, auf dem sich die Eltern bereits auf kleinen Kinderstühlen mehr oder weniger bequem eingerichtet hatten. Fast erwartete ich, dass jetzt die ganze Gruppe antworten würde “Guten Abend, Tante Uta”, aber die anderen Mütter schienen nicht ganz so gehorsam wie ich. Eine Mutter nannte Tante Uta sogar beim Nachnamen, den ich im Übrigen nicht mal gewusst hätte.
Nach einer Stunde Vortrag von Tante Uta alle Kinder und den Kindergarten im Allgemeinen betreffend, kamen wir schließlich zur Fragestunde.
“Hallo alle zusammen. Ich bin die Mutti von der Daria” Eine leicht übergewichtige Frau Mitte 30 mit einer schwarzen Brille und in lange wallende Gewänder gehüllt, lächelte in die Runde. Auch sie schien neu zu sein, denn ich hatte sie bis jetzt noch nicht zu einem Elternabend gesehen, aber vielleicht war ich auch einfach nur unaufmerksam. “Ich wollte fragen, ob es eine Möglichkeit gäbe, Kurse für die Kinder zu veranstalten. Ich fände es zum Beispiel sehr schön, wenn die Kinder Zen Shiatsu-Unterricht bekommen würden. Das tut meiner Daria immer unheimlich gut, wenn wir zu Hause zusammen meditieren. Oder etwas Kreatives. Gestalten mit Edelsteinen zum Beispiel oder wir batiken uns eine Einkaufstasche, da tut man auch gleich noch was für die Umwelt.”
“Also wenn schon Frühförderung für die Kinder, wofür ich in den letzten Elternabenden ja schon öfters plädiert habe, dann doch bitte etwas, was den Kindern später etwas nützt. Chinesisch zum Beispiel. Oder ein Computerkurs.” Oh nein, Frau Ziegenpeter-Scharlach. Sie hieß natürlich nicht wirklich so, aber sie hatte einen langen Doppelnamen, den ich mir nie merken konnte und nach zwei Krankheiten benannt zu werden, war für die Frau völlig angemessen. Zu jedem Elternabend musste sie sich profilieren und ich bereitete mich schon mal innerlich darauf vor, dass jetzt gleich wieder eine Lobesgeschichte auf ihren Sohn Jonas kommen würde.
“Wir haben ein italienisches Au Pair, so dass unser Jonas bereits perfekt Italienisch und natürlich auch Englisch spricht. Chinesisch wäre da eine gute Ergänzung.” Der arme Jonas tat mir leid.
“Als nächstes schlägt sie Grundwissen an der Börse vor“, murmelte die nette Frau neben mir. Ich kicherte.
“Aber dass die Kinder im Einklang mit sich leben, ist doch viel wichtiger als Computerkenntnisse oder eine Sprache in dem Alter.” Darias Mutti hatte offensichtlich noch keine Erfahrung mit Frau Ziegenpeter-Scharlach.
“Und wie wollen Sie denn dann bitte ihr Kind auf die Marktwirtschaft vorbereiten? Unsere Kinder müssen sich verkaufen können, Fähigkeiten besitzen, um in dieser Gesellschaft zu überleben.”
Bitte, ich wollte nach Hause. Ich wollte meine E-Mails checken! Dem Rest der anwesenden Eltern schien es nicht viel anders zu gehen. Ich hörte ein kollektives Stöhnen. Tante Uta hatte anscheinend auch genug.
“Ich werde mich bei der Kindergartenleitung erkundigen, was da möglich ist und Sie informieren. Wenn es ansonsten nichts weiter gibt, wünsche ich Ihnen einen guten Nachhauseweg.”
Als ich endlich in unsere Straße einbog, sah ich, wie gerade unser neuer Nachbar die Haustür aufschloss. Ich hörte ihn noch im Treppenhaus, als ich das Haus betrat. Ich nahm mir besonders viel Zeit, die Treppen hochzugehen, da ich eine neuerliche Begegnung unbedingt vermeiden wollte. Mir war mein Auftritt vom Umzugstag noch peinlich. Bei näherem Nachdenken wusste ich wirklich nicht mehr, warum ich mich so aufgeregt hatte über einen Umzugskarton im Haus.
Ich war im ersten Stock angekommen, als ich plötzlich Schritte nach unten kommen hörte. In einer Kurzschlussreaktion (erwähnte ich bereits, dass ich dazu neige, in Stresssituationen erst zu handeln und dann zu denken?) drehte ich mich zur nächsten Wohnungstür um (zum Glück war es nicht die von Frau Kling, denn die hätte sicher sofort die Tür geöffnet) und tat so, als wäre ich ganz darin vertieft, meinen Schlüssel in meiner Tasche zu suchen um die Tür aufzuschließen. Irgendwie hoffte ich, dass mir meine langen Haare mein Gesicht verdecken würden, sodass er mich nicht erkennen würde.
“Ach, sind Sie umgezogen?” hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und blickte in die hellgrünen Augen von Herrn Auwald (den Namen hatte ich dem Klingelschild entnommen).
Ich errötete leicht. Einen Moment erwog ich, mich ganz zu verstellen und einfach so zu tun, als wäre ich jemand ganz anderes und ich hätte ihn in meinem ganzen Leben noch nicht getroffen. Wenngleich eine wunderbare Vorstellung, erschien sie selbst mir zu unglaubwürdig, als dass ich damit hätte durchkommen können.
“Huch, das ist ja gar nicht meine Tür”, brachte ich schließlich hervor. Ich lachte kurz, was in meinen Ohren unheimlich künstlich klang. Ich bin nun einfach ganz furchtbar im Lügen. Und errötete noch etwas mehr.
Er schaute mich leicht belustigt an. “Na, falls Sie doch noch umziehen und Hilfe mit Ihren Kartons brauchen, ich helfe gern, damit sie nicht im Weg rumstehen.” Mit diesen Worten drehte er sich um und lief die Treppe weiter herunter.
Mir war das Ganze so peinlich, dass ich nicht einmal Claudia davon erzählen wollte. Außerdem wollte ich endlich allein sein, um meine Mails zu checken. Ich war ja so gespannt, ob ich wohl eine in meiner Phantasielos-Inbox hatte.
To: Illa.Hasemann@web.de
From: Ethnofreak@hotmail.com
Subject: Aw: Der Geburtstag deines Sohnes
Werde da sein. S
Kürzer ging es ja wohl kaum. Manchmal dachte ich, wenn mir Stefan von seinen Exkursionen E-Mails dieser Art geschrieben hätte, statt mich völlig zu ignorieren, hätte ich mich wahrscheinlich daheim nicht vor Sehnsucht verzehrt und das Ganze wäre schon wesentlich früher zu Ende gewesen. In dem Fall hätte es allerdings auch keinen Lukas gegeben und von daher war es auch wieder gut.
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