Ich nehme einen großen Schluck und keuche, als die braune Flüssigkeit meinen Hals hinunterläuft. »Er nutzt deine Situation schamlos aus und erpresst dich auch noch. Zumal er dir alles nimmt, was du dir hart erarbeitet und aufgebaut hast.« Antje schüttelt ungläubig ihren Kopf, doch nach einem Moment hebt sie ihn rasch wieder an. »Ich kann dir zwar nicht die Stelle als Barfrau anbieten, es sei denn, du hättest eine zweite Ausbildung in diesem Bereich gemacht, aber ich brauche eine Hilfskraft. Getränke auffüllen und Tische abräumen. Du müsstest quasi das erledigen, wozu mein Barkeeper während seiner Schicht nicht kommt. Ich weiß, dass das nicht dein Traumjob ist, doch du würdest mir wahnsinnig helfen und könntest dir etwas dazuverdienen. Außerdem kann ich dich mit einem weiteren Angebot ködern«, grinst Antje jetzt siegessicher.
»Dann raus mit der Sprache!«, fordere ich sie auf. »Ich habe über der Bar ein Zimmer. Es ist wirklich nur ein kleines Zimmer mit einem Bett und einer Dusche. Aber es würde dich von der Straße holen.«
Ich lege meinen Kopf auf die Theke und stöhne: »O man, ich komm mir vor wie ein Penner.«
»Hey, so ein Quatsch. Lass dich davon nicht runterziehen, auch wenn das echt krass ist. Aber denke daran, dass nichts jemals ohne Grund geschieht.«
Daraufhin hebe ich meinen Kopf und entgegne matt: »Dein Wort in Gottes Ohr. Das ist so lieb von dir. Ich nehme dein Angebot gerne an.«
Sie lächelt und nickt begeistert. »Super, das freut mich, außerdem passt du optisch super in meine Bar. Du bist ein heißer Feger.«
Das bringt mich zum Lachen. »Mmh, das hat sich heute schon mal jemand gedacht.«
»Nein, mal im Ernst. Du bist schlank, deine langen roten Haare sind einfach wunderschön und mit deinem Nasenring wirkst du irgendwie frech, sodass sich keiner trauen wird, dir blöd zu kommen«, unterstreicht sie ihre Aussage mit einem Augenzwinkern. Wir gehen in die erste Etage und Antje zeigt mir meine neue Bleibe. Wir verabreden, uns in einer Stunde wieder unten in der Bar zu treffen. In der Zwischenzeit wasche ich mir unter der Dusche den seelischen Dreck vom Körper. Danach fühle ich mich ein wenig besser. Schnell schlüpfe ich in eine neue, hautenge schwarze Jeans sowie in ein schwarzes Tanktop und ziehe meine Sneakers an. Meine Haare trage ich gern zusammengebunden, denn sie reichen mir fast bis zu meinen Hüften. Damit sie mich gleich nicht bei der Arbeit stören, binde ich sie zu einem Fischgrätenzopf. Ich erneure mein Make- up und begebe mich anschließend auf den Weg nach unten. Der erste Abend verläuft gut und ruhig. Es ist kein hartes Arbeiten, bei dem ich mich erst beweisen muss. Ich räume Tische ab, stelle die dreckigen Gläser in die Spülmaschine, fülle Nüsse in die Schalen, die auf der Theke stehen, hole Nachschub im Getränkelager und schneide Obst zur Garnierung der Cocktails zurecht. Das geht die nächsten Tage so weiter. Bevor die Bar öffnet, wische ich den Boden einmal nass durch, womit ich Antje ein wenig Arbeit abnehmen kann. Sie hat so viel um die Ohren. Ich weiß nicht, wie es überhaupt ist, Kinder oder Eltern und eine Familie zu haben, aber ich stelle es mir sehr stressig vor, alles unter einen Hut zu bekommen. Doch wenn ich mir Antje so ansehe, bin ich mir sicher, dass sie nichts auf der Welt anders machen würde, denn sie liebt ihre Kinder, ihren Mann und auch ihren Beruf. Sie braucht die Arbeit, um leben zu können. Mit gutem Personal ist solch eine Bar schon fast ein Selbstläufer. Antje stellt mir deshalb ihren besten Barkeeper an die Seite.
Mit Tobi - dem Barmann -, dem ich unter die Arme greife, verstehe ich mich sehr gut. Von ihm habe ich nichts Negatives im Umgang mit mir zu befürchten. Weder anzügliche Blicke noch unsittliche Berührungen. Tobi ist sehr bodenständig und scheint eine gute Erziehung genossen zu haben, was man sofort merkt. Unser Verhältnis kann man mit dem eines Geschwisterpaares vergleichen.
Das Geschehene hat Spuren bei mir hinterlassen. Es sind erst ein paar Tage vergangen, doch Tobi stellt keine Gefahr für mich dar, denn er steht genau wie ich auf Männer.
Antje ist auch schon aufgefallen, dass wir beide uns sehr gut verstehen. Sie witzelte schon, dass wir immer das meiste Trinkgeld einheimsen würden, weil wir so viel Spaß hinter der Bar miteinander hätten.
Heute Abend ist nicht viel Betrieb und aus diesem Grund habe ich die Zeit, bei einem tollen Song mitzupfeifen und ein wenig später spüre ich eine Hand an meiner Hüfte. Ich drehe mich lächelnd um, da ich weiß, dass es nur Tobi sein kann.
Er zieht mich dicht zu sich heran und beginnt mit mir zu tanzen. Ich lache laut auf, denn es macht einfach Spaß, so losgelöst mit jemandem herumzublödeln.
Als der Popsong vorbei ist, bekomme ich zum Dank einen Kuss auf die Stirn. Tobi verneigt sich vor mir und flüstert: »Danke, Mylady.«
»Hey Tobi, zum anderen Ufer gewechselt?«, fragt jemand belustigt hinter uns. Ich wundere mich über die dreiste Frage und schaue in die Richtung, aus der die Stimme kam. Tobi lacht und drückt mich fest an seine Brust. »Bei ihrer Schönheit wäre das noch mal eine Überlegung wert.«
Ich ziehe kurz die Luft ein, als ich die Stimme endlich einem Mann zuordnen kann. Bei seiner Ausstrahlung bleibt mir fast die Spucke weg. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass er ein Nerd sei, da er eine sehr markante Brille trägt. Doch er wirkt keineswegs langweilig, sondern eher ein wenig rau und verwegen, was sicher auf seine Bartstoppeln zurückzuführen ist. Sein dunkelbraunes Haar fällt zu einer Seite und durch mein geschultes Auge kann ich bereits auf den ersten Blick erkennen, dass es schon länger nicht mehr geschnitten wurde. Die Länge steht ihm, verleiht ihm ein jüngeres, draufgängerisches und wilderes Aussehen. Nicht, dass er alt ist, ich schätze ihn auf Mitte dreißig, doch es wirkt frisch und nicht so durchschnittlich, wie einen ein Herrenkurzhaarschnitt nun mal oft wirken lässt. Er ist durchschnittlich groß, ungefähr einen Meter achtzig, zu dem Rest kann ich leider nichts sagen, da der Bartresen alles verdeckt. Leicht verlegen wende ich mich von den Männern ab, als sein Blick mich intensiv streift. Tobi steht vor ihm und begrüßt ihn per Handschlag.
O Gott, bitte nicht wieder so ein selbstverliebtes Arschloch wie mein Ex-Boss , denke ich .
Ich widme mich wieder meiner Arbeit, bringe diverse Bestellungen zu den Gästen, räume Tische ab und spüle Gläser. Antje schaut kurz bei uns vorbei und entdeckt ebenfalls Tobis schönen Gesprächspartner. Seit einer Stunde sitzt diese männliche Schönheit nun schon an der Bar, ohne dass ich weiß, wer er überhaupt ist. Mir scheint, dass sich die beiden sehr gut verstehen. Bei genauerer Betrachtung könnte der unbekannte Schöne auch schwul sein, immerhin hat er mich vorhin ziemlich komisch, fast schon eifersüchtig angeschaut. Nicht, dass er denkt, Tobi habe wirklich Interesse an mir.
Der Fremde ist extrem gut gekleidet. Abgecheckt habe ich ihn natürlich nicht. Ich bin nur rein zufällig geschätzte hundert Male an diesem Abend an ihm vorbeigelaufen. Da ist mir sein tadelloser Kleidungstil eben einfach aufgefallen.
Antje setzt sich zu ihm an die Bar und umarmt ihn zur Begrüßung. Sie unterhalten sich und lachen gelöst. Ich stehe ein wenig entfernt von ihnen am Spülbecken und kann nicht hören, was sie sagen, spüre aber, wie ihre Blicke auf mir ruhen. Vor allem seinen Blick spüre ich ganz genau. Er macht mich unsicher. Seit der Sache mit Markus habe ich Angst, mich zweideutig zu verhalten oder Blicke falsch zu deuten. Doch bei ihm scheint es egal zu sein.
Schade, dass immer die attraktivsten Männer schwul sind , schlussfolgere ich resigniert und stelle fest, dass der Getränkevorrat an der Bar zur Neige geht. Daher mache ich mich auf den Weg ins Lager, um Nachschub zu besorgen. Wenig später komme ich aus dem Getränkelager zurück, doch der Unbekannte ist inzwischen verschwunden. Als meine Schicht beendet ist, habe ich ihn bereits fast vergessen. Aber eben nur fast. Ich habe immer mal wieder kurz nach ihm Ausschau gehalten, ihn aber nicht mehr entdeckt. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann kann ich diesen Blick nicht vergessen und den dazugehörigen Körper ebenso wenig.
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