Uta Bahlo
Die Liga der außergewöhnlichen Idioten
Zoff in Tottenbüttel
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Inhaltsverzeichnis
Titel Uta Bahlo Die Liga der außergewöhnlichen Idioten Zoff in Tottenbüttel Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
ENDE
Impressum neobooks
Einige Männer aus Tottenbüttel, inklusive Bürgermeister Hinnerk Hansen, hatten sich am Abend im Wirtshaus › Bei Kuddel ‹ versammelt. Am Stammtisch planten sie gemeinsam eine Bürgerinitiative gegen den Sex-Shop von Kalle Holtzapfel. Natürlich fand das Treffen in Abwesenheit des Betroffenen statt. Niemand hätte den Schneid gehabt (die Eier in der Hose), seine Abneigung von Angesicht zu Angesicht vorzutragen. Tottenbüttel hatte auf eine widerliche Art Respekt und auch ein wenig Angst. Kalle war ein aalglatter Typ, der mit allen Wassern gewaschen war. Seine schon etwas angegrauten Haare hatte er mit Gel streng nach hinten an den Kopf geklatscht. Seine grauen Strähnen führten dazu, dass man sein Alter nur grob schätzen konnte – so irgendwas zwischen Vierzig und Sechzig. Er trug immer eine dunkle Sonnenbrille – häufig auch nachts – und ein viel zu aufdringliches After Shave, Marke: Eau de Proll. Holtzapfel war vor etwa sechs Monaten, aus der Stadt ins beschauliche Tottenbüttel in Schleswig Holstein gezogen, um genau hier seinen Sexbunker zu eröffnen.
»Der Puff muss weg!« Das war Hansens kurze Ansage an seine Wähler. Kalle hatte zwar immer wieder betont, dass es sich eben nicht um einen Puff, sondern um ein ganz normales Ladengeschäft handelte, in dem gewisse Utensilien zur Entspannung verkauft werden und jeder Willkommen sei. Dennoch blieb bei den Bewohnern eine gewisse Unsicherheit, wusste doch niemand, was backstage so alles ablief – und die Übergänge von Sex-Shop zu Puff wären ja fließend. Unterstützt wurde diese Ansicht durch Gerüchte, Kalle hätte gute Kontakte zu einem Zuhälter-Kumpel, der auf der anderen Seite des Nord-Ostsee-Kanals eine Wellness-Oase und Reha-Zentrum für gestresste Prostituierte bewirtschaftete. Bei Thai Chi, Reiki, Qigong und Klangschalen Therapie kamen die Damen wieder zu Kräften und erholten sich in Feng-Shui-gestylten Zimmern. Nach dieser Zeit der totalen Entspannung schwangen die Chakren wieder im Einklang und das ›dritte Auge‹ beobachtete, was hinter dem großen Gong so abging. Nach Yoga und Ayurvedischer Ernährung floss das Chi wieder in den richtigen Bahnen. Am Abend floss noch etwas ganz anderes … da konnte es schon mal eine Flasche Wodka sein.
Allerdings ging es dem Bürgermeister weniger um diesen beknackten Sex-Shop, als
vielmehr um die Tatsache, dass dieser Holtzapfel sich für die Kandidatur zum Bürgermeister und somit als Gegner aufstellen ließ. Die erste Frage, die er sich stellte war: Durfte er das überhaupt? Antwort: Ja, er durfte. Seit circa sechs Monaten war er in Tottenbüttel gemeldet und es lagen ausreichend Unterstützungsunterschriften für seine Kandidatur vor. Die zweite Frage, die sich förmlich aufdrängte: Von wem, zur Hölle, kamen diese Unterschriften? Antwort: von Bürgern, die ihm tagtäglich begegneten, freundlich grüßten und frech ins Gesicht lächelten. Vielleicht saß der eine oder andere sogar an seinem Stammtisch. Er grübelte darüber nach, wem er solche Hinterlist zutraute. Eigentlich jedem.
Hansen war in dem kleinen Nest seit fünf Jahren nebenberuflich als Bürgermeister für die Gemeinde tätig und das sollte gefälligst auch so bleiben.
Die Dorfbewohner schätzten seinen wachen Verstand. Seinen Lebensunterhalt bestritt er als Manager eines großen Baumarktes im relativ neuen Industriegebiet. Dieses neu erschlossene Gebiet lag zwischen Tottenbüttel und dem Nachbarort Brunksdorf. Beide Ortschaften profitierten direkt von den zugewanderten Firmen wie einem Netto-Markt mit angeschlossener Bäckerei und einer Sparkasse. Weiterhin stand man in Verhandlung mit einem KiK-Markt und einem 1-Euro-Shop. In der Vergangenheit wurde viel in Bauland und Infrastruktur investiert. Darauf war Hansen sehr stolz. Vorher hatte er nie etwas mit Kommunalpolitik am Hut gehabt, doch das änderte sich rasch, als er bemerkte, dass man auch im Kleinen etwas verändern und in Bewegung setzen konnte. Und in Bewegung setzen wollte er etwas. Und zwar ganz aktuell: Kalles Arsch aus dem Dorf hinaus.
Als Hansen vor ein paar Jahren zufällig aus der Zeitung erfuhr, dass im Kreis Lüneburg ein Seminar stattfinden sollte – ein, man höre und staune! Schnellkurs für Bürgermeister – meldete er sich sofort an. Zwanzig Menschen aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Berufswunsch Bürgermeister, nahmen an der dreitägigen Veranstaltung im niedersächsischen ›Seehotel‹ teil. Für 530,- Euro impften Kommunal-Experten ihnen die Grundlagen der Kommunalpolitik ein, vom Baurecht bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit, von Zeitmanagement und Stressbewältigung. Ausgerechnet beim Thema Stress geriet Hansen in selbigen. Seminarleiter Professor Matthias Müller erläuterte gerade im Medienraum wild gestikulierend Schaubilder mit dem Tagesablauf eines Bürgermeisters, als Hansens Sitznachbar, ein Jüngelchen von irgendwie dreizehn, den Vortrag mit Ignoranz störte. Dieser Bubi mit seinen professionell manikürten Fingernägeln hörte nur halb hin, versendete mit seinem mitgebrachten Notebook laufend E-Mails, mit dem Smartphone WhatsApp und verließ zweimal den Raum, um zu telefonieren (wenigsten verließ er den Raum). Das ging ja gar nicht, dachte Hansen und seine Konzentration verließ ihn zwischenzeitlich komplett.
Der Professor erteilte dem Störenfried noch nicht einmal eine Rüge.
Hansen konnte ein Tattoo auf dem Unterarm des Jünglings ausmachen. Es sah aus wie ein Reh, aber das konnte nur eine optische Täuschung sein, denn wer trägt schon Bambi auf dem Arm spazieren. Klopfer? Er grinste spöttisch.
Nun fiel ein Satz des Dozenten, den sich dieser Kerl hoffentlich hinter die Ohren schrieb: »Wer glaubt, schon alles zu wissen, der hat alles verloren«. Wo er recht hatte, hatte er recht. Müller´s Vortrag nach der Mittagspause lockerte die Stimmung etwas auf. Trockene Themen wie Vergaberecht und Kommunalfinanzen strapazierten ein wenig die allgemeine Konzentration. Einige seiner Mitstreiter malten Kreise und kleine Männchen in ihren Notizblock. Aber nun ging es ans Eingemachte. Knallersätze wie: »Ab sofort sind sie keine normalen Menschen mehr, sondern Bürgermeister«, feierte die Runde fast frenetisch. Der Professor fuhr fort: »…und solche bräuchten Visionen, Strategien und Taktik.« Müller´s Vorschlag zum Zeitmanagement: sechzig Prozent des Tages planen, zwanzig Prozent für spontane Termine verwenden und zwanzig Prozent für kreative Denkpausen freihalten.
Außerdem sollten sie zum Stressausgleich das Privatleben nicht vernachlässigen
.
Da Hansen aber kein Privatleben hatte, er war mit Ende fünfzig immer noch Single, freute er sich über die Möglichkeit von einhundert Prozent Arbeitsauslastung. In diesem Punkt wäre er vielen hier in der Runde bestimmt weit überlegen.
So manches Mal kam er erst um zwei Uhr ins Bett, weil er noch die Abrechnung kontrolliert hatte, und war um sechs in der Früh wieder aufgestanden, um die Bestellungen für den Tag zu koordinieren.
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