»Ich werde dich schon nicht in Stücke hauen, Rieke«, sagte Karl Siebrecht trübe lächelnd. »Aber mit dir ist heute nicht zu reden.«
»Mit dir ist heute nicht zu reden, Karl, det is et! Janz unvanünftig biste!«
»Also gut, Rieke, ich bin unvernünftig. So laß mir meine Unvernunft ...«
»So redet ihr Männer alle, wenn ihr jar nischt mehr zu sagen wißt! Aba ick habe doch recht, und det Sparbuch kriegste nich!«
»Wir reden morgen weiter darüber. Gute Nacht, Rieke.«
»Wa reden nich mehr darüber, det is erledigt! – Iß erst deine Stullen, Karl, eh de ins Bett jehst!«
»Danke, ich habe keinen Hunger mehr. – Gute Nacht, Rieke.« Sie schwieg. »Ich habe gute Nacht gesagt, Rieke!« Schweigen. »Wir wollen doch nicht verzankt ins Bett gehen, Rieke! Es wäre das erste Mal!«
»Eenmal muß det erste Mal sind, sagte det junge Mächen, da fiel se! Nee, Karl, jute Nacht sare ick dir heute nich, det wäre bloß äußerlich. Ich bin Schuss mit dir!«
»Also denn nicht gute Nacht«, sagte Karl Siebrecht unter der Tür. »Aber es tut mir leid.« Er stieg die Treppe hinunter.
Oben riß Rieke die Tür wieder auf. Ohne Rücksicht auf die Nachtruhe der Mitbewohner schrie sie ihm durch das Treppenhaus nach: »Denkste, mir tut det nich leid, du olla Dussel?! Denkste, ick werde 'ne jute Nacht haben, bloß, weil du se mir wünschen tust? Det denkste?! Sei lieba vanünftig, du olla Boomaffe du!« Oben knallte die Tür. Nun doch ein wenig erleichtert, trat Karl auf den Hinterhof.
»Das ist der Kalli Flau«, sagte Karl Siebrecht. »Und das ist also die Rieke Busch. – Guten Morgen übrigens, Rieke.«
»Morjen, Karle! Morgen, Kalli! Oder muß ick Herr Flau sagen? Mir is det ooch recht.«
»Zu was denn, Rieke?« lachte Kalli und schüttelte Rieke die Hand. »Wir sind doch beide Freunde vom Karl Siebrecht, da werden wir uns doch nicht siezen.«
»Ja, ick bin ein Freund von Karle«, sagte Rieke mit Betonung. »Na, denn will ick euch man Frühstück jeben, es is allens fertig. Ick habe mir schon jewundert, det du jar nich bei mir reingeschaut hast heute uff 'n Morjen. Aba du hattest wohl keine Zeit for mir.« Sie setzte die Kaffeebecher mit einem Puff auf den Küchentisch, mit einem Schwung folgte der Stullenteller. Karl Siebrecht schaute seine Freundin besorgt von der Seite an, er fand, sie sah blaß und verweint aus. Sie zürnte ihm immer noch.
»Ich wollte auch zu dir, Rieke«, sagte er. »Aber ich habe verschlafen und mußte machen, daß ich den Kalli rausließ. Ich bin gerade vor Herrn Felten hingekommen.«
»Na, und hat der nischt jemerkt, der Felten?«
»Gar nichts, Rieke!«
»Im Gegenteil, Rieke«, lachte Kalli Flau. »Er hat mich sogar als Boten angestellt – für fünfzehn Mark die Woche!« Diese Mitteilung war nicht zum richtigen Zeitpunkt gemacht ...
»So?« sagte Rieke, und ihre Stimme wurde wieder einmal ganz schrill. »So?! Dem haste den Posten verschafft, Karl, und was machst du?! Du kuckst in' Mond, und wir mit! Det is mit euch Männern doch ewig dasselbe: wenn ihr dußlig seid, dann seid ihr ooch egal dußlig, da jibt et jar kein Uffhören. Die schönen fuffzehn Mark, die hättest du ooch jut gebrauchen können, aber nee, dein neuer Freund muß se kriegen.«
»Ich hatte dem Felten schon gesagt«, verteidigte sich Karl Siebrecht, »daß ich nicht für fünfzehn Mark arbeiten würde, lange, ehe ich Kalli Flau kannte.«
»Kalli!« höhnte sie. »Kalli! Wat det schon for een Name is! Wenn ick det bloß höre! Kalli! Det wird ja nun woll in eene Tour jehen, Kalli vorne und Kalli hinten! Ick bin ja froh, det ick den nich ooch Karl nennen muß wie dir. Aba Kalli – det is 'n Name for 'n Hanswurst, nicht for 'n Menschen!«
»Und ich bin auch ein Hanswurst, Rieke«, lachte Kalli Flau, der ungerührt dem Streit der beiden zugehört hatte. Er hatte dabei fleißig Brote vertilgt, während Karl Siebrecht fast nichts gegessen hatte. »Warte nur, du wirst dich schon an mich gewöhnen, Rieke, und dann lachst du auch über mich. Und du sollst von mir dein richtiges, reelles Kostgeld kriegen, wenn du mich hier sitzen haben willst, heißt das, Rieke.«
»Und ich werde bestimmt etwas finden –« fügte Karl Siebrecht hinzu. »Ganz schnell werde ich etwas finden.«
»Wat du schon finden wirst!« sagte Rieke wegwerfend, war aber durch Kallis Ansprache doch etwas besänftigt. »Kuck dir lieber an, wat ick heute früh jefunden habe.« Sie zog die Tür zur Stube auf. »So haben se 'n mir jebracht, heißt det. Schon heute früh um vieren. Auf 'm Hof hat er jelegen, toll und voll, der Olle –« Der alte Busch lag auf dem Bett, noch halb in seinen Kleidern. Er sah wirklich ganz greulich aus, zerschlagen und gedunsen, wie ein Leichnam, der aus dem Wasser gezogen ist. »Und denn hat er hier noch anjejeben, jetobt hat der Mann, ick sare dir, Karl! Ick habe Tilda'n bei die Reinsberg bringen müssen, imma hat der Mann uff det Kind losjewollt! – He, Sie junger Mann!« plötzlich sprach Rieke wieder mit ihrer hellen scharfen Stimme, während sie bis dahin leise und verzweifelt geflüstert hatte. »Det is hier keen Anblick for Sie! Vorläufig jehören Se noch nich zu meine Familie! Machen Se, det Se hier rauskommen.« Und sie schloss die Stubentür mit einem scharfen Ruck vor Kalli Flau. Gleich fuhr sie, ohne allen Übergang, mit ihrer leisen verzweifelten Stimme fort: »Wat mach ick mit dem Mann bloß, Karle? Die Nachbarn saren ja, et is Dilirjum, und ick muß uff de Polizei melden, det der Mann wegkommt in de Trinkerheilstätte.«
»Das wäre vielleicht ganz gut!«
»So? Det sagst du? Du hast doch nich 'n Troppen Vastehste in deinem Kopp, Karle! Und wat mach ick, wenn Vata weg ist? Jloobste, die lassen mir Tilda'n? Jloobste, die lassen mir die Wohnung? Die stecken mir und Tilda'n in't Waisenhaus! Und denn ist allens futsch, wat ick mir hier zusammenjerackert habe. Det hier alles, det wird vakooft, und denn bin ick een Armenkind! Ha ick det nötig, een Armenkind zu werden?! Wo ick so jeschuftet habe – jeder Jroße hätte den Kram lange hinjeschmissen!«
»Rieke, wir finden bestimmt einen Ausweg. Du sollst nicht in ein Waisenhaus kommen, ich verspreche dir das! Wir müssen eben besser auf Vater aufpassen. Jetzt habe ich mehr Zeit, wir müssen rauskriegen, wer ihm zu trinken gibt.«
»Ja, sare bloß, Karle, wer jibt dem Mann zu trinken? Der Mann is doch keene Jesellschaft nich, det se ihn zu ihrer Unterhaltung mit Schnaps uffüllen! Und alle Tage toll und voll! Ach, Karl«, weinte sie, »verlaß mir bloß nich! Wenn ick dir nich mehr habe, denn hau ick den Kram ooch hin! Denn dreh ick den Jas uff ...«
Sie hatte die Arme um seinen Hals geworfen und weinte fassungslos an seiner Brust. Es war ein sehr ungewohntes Gefühl für Karl Siebrecht. Hastig strich er über ihren Scheitel. Es war doch ein schönes Gefühl! Daß er einem Menschen so viel bedeutete, das hatte er noch nicht gekannt in seinem Leben. »Weine doch nicht so, Rieke«, tröstete er. »Ich gehe doch nicht weg von dir! Warum wohl? Das sieht nur alles jetzt so dunkel aus, es wird auch wieder hell.«
»Nie, Karle, nie!« schluchzte sie. »Wir sind hin, Karle, det fühl ick!«
»Aber nein, Rieke! Denke daran, wie kurze Zeit ist es erst her, daß du dich über deine Maschine gefreut hast! Nun ist es dunkler, aber bald wird es wieder hell.«
»Schick den anderen weg, Karle!« bat sie unter Tränen. »Schick ihn bloß weg! Wat soll'n wa denn mit dem?! Det ist doch jenug, wir beede, Karl!«
»Aber, Rieke, warum soll er denn nicht bei uns sein? Das ist doch ein guter Junge, verlaß dich darauf. Warum soll ich denn nicht auch einen Freund haben, der nimmt dir doch nichts weg.«
»Doch, der will dir nur ausnützen – det kenn ick. Du bist so jutmütig, Karle, alle wollen se dir bloß ausnützen. Ick ooch – ick am allerersten –«
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