Shirah stemmte die Hände in die Hüften und konterte ärgerlich: »Wir sind keine Lügner! Sulferion rückt tatsächlich mit seiner Armee nach Osten vor, und ihr beiden wärt mal lieber so schlau, uns das zu glauben! Oder was meint ihr, wo sonst das Donnergrollen und die roten Blitze am Himmel herkommen, wenn nicht vom Feuerberg, hä?!«
»Ach das …«, winkte der Elf ab und grinste zu ihr herunter. »Das ist doch bloß eine Gewitterfront und der Lichtschein der Blitze in den Wolken. Man nennt das Wetterleuchten, und es besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen … ihr ›Experten‹!« Dann fingen beide wieder an zu lachen.
»Ihr habt ja wohl keinen schummrigen Schimmer!«, fauchte die Koboldin. »Der Vulkan bricht aus, weil sich Sulferions Drache aus dem Berg befreit. Außerdem ist der Lichtschein beim Wetterleuchten weiß und nicht rot, klarifari?! Deshalb müssen wir sofort mit eurem König spre…«
Minky schob Shirah beiseite und schnarrte ihr zu: »Lass mal den Fachmann rrran. Ich verrrsuch’s mal in Elfisch.« Der Rotzling zog seinen Rotzfaden hoch, trat einige Schritte nach vorne und hob die Hand. »Gloriel!«, begrüßte er die Elfen mit dem offiziellen Gruß aus Viancáru. Er machte eine ausholende Geste und flötete in melodischem Tonfall: »Schnösel di Dösel, lall Dusel und Fusel?«
Den zwei Elfen klappten die Münder auf. »Willst du behaupten«, fuhr der Anführer den Rotzling wutentbrannt an, »dass wir Aufschneider sind, die nur Quatsch erzählen, weil sie zu viel getrunken haben?«
»Äh, nö …«, stotterte Minky und verbesserte sich: »Larilum libri Löffelstiel, flumsi-klumsi zu Lavendel?«
»Jetzt reicht’s aber!«, brauste der Elf auf. »Wenn du auch noch unseren König als ›kleckernden Bücherwurm‹ beschimpfst, führen wir euch alle in Ketten ab und lassen euch zur Strafe in unseren Silberminen schuften, verstanden?! Und jetzt macht die Straße frei!« Ohne die drei Winzlinge noch eines Blickes zu würdigen, wendeten die Elfen ihre Pferde und preschten davon. Glücklicherweise waren sie schon außer Hörweite, als Minky ihnen zum Abschied ein »Buenas-Nachos« hinterher rief.
»So’n Pech«, seufzte Pennyflax und schnallte seinen Rucksack um. »Biste denn sicher, dass das Elfisch war?«
»Selbstverrrständlich!«, schnarrte Minky beleidigt. »Hab ich im Gasthof oft genug gehört. Kann ich ja nix dafür, wenn die feinen Herrschaften Grrrütze in ihren Langohren haben!« Dann zog er die Kapuze seiner Regenjacke auf, denn es begann wieder zu tröpfeln.
Shirah schaute besorgt zu den dunklen Baumspitzen und zum Himmel hoch, an dem die letzten Lichtstreifen verblassten. Zudem kroch Nebel aus der Schlucht bei der Straße herauf. »Wir müssen unsere Füße sputen, wenn wir Viancáru rechtzeitig erreichen wollen. Aber erst mal sollten wir einen Unterschlupf zum Übernachten finden, denn man weiß ja nie, welche Diebe und Monster im Dunkeln ihr Unwesen treiben.«
Pennyflax gab seiner Freundin recht, denn die Straße war bis zur nächsten Elfenpatrouille wegen der Räuber zu unsicher. Während die drei also Richtung Osten losmarschierten und Fauch neben ihnen her flatterte, holte der Kobold seine Glühwürmchen-Laterne aus dem Rucksack und begann, im grünen Schein der Lampe seine Karte zu studieren. Darauf hatte er bei jeder Wanderung die wichtigsten Orte und Wegpunkte markiert und durch Hinweise von Meister Snagglemint ergänzt. Zu seiner Erleichterung musste in nur wenigen hundert Metern eine kleine Höhle am Wegesrand kommen, in der man bestimmt ein Lager für die Nacht aufschlagen konnte – sofern es sich nicht um einen Bären- oder Wolfsbau handelte.
Kurz nachdem sie sich auf den Weg gemacht hatten, schlichen hinter ihnen zwei Schatten aus dem Unterholz hervor und nahmen die Verfolgung auf.
***
Da ein paar hundert Meter für kleine Kobolde eine ordentliche Strecke darstellten, gelangten sie erst einige Zeit später an die Stelle, wo ein Pfad von der Straße nach oben zur Höhle abzweigte. Mittlerweile hatte sich die Dunkelheit vollends über das Waldgebiet gesenkt. Die vier Freunde bekamen deshalb einen gehörigen Schreck, als sie am Beginn des Pfades eine große Gestalt stehen sahen, die eine Fackel entzündete und damit in beide Richtungen der Straße leuchtete. Pennyflax zog vorsichtshalber seine Zwille, dann näherten sie sich der Gestalt. Es handelte sich um einen Mann mit Umhang, Vollbart und Schlapphut plus Feder, der nach etwas Ausschau zu halten schien.
Schließlich gerieten die vier in den Fackelschein, und der Mann bemerkte sie. Er entpuppte sich als riesiger Kerl, der sowohl schwere Stiefel als auch eine Augenklappe trug und dessen Nase wie eine Gurke aus seinem Gesicht ragte. Vor allem aber die Narbe auf der rechten Wange verlieh ihm ein unheimliches Aussehen, was durch den Fackelschein noch verstärkt wurde.
»Psst …«, zischte der Mann und raunte mit einer tiefen Stimme: »Sind sie weg?«
»Wen meinst du denn?«, erkundigte sich Pennyflax und hielt Fauch fest, der den Fremden böse anfauchte.
»Na, die Elfenpatrouille, Kleiner. Ihr seid den beiden doch begegnet, oder?«
Pennyflax kratzte sich am Kopf. »Woher weißte denn das? Biste vielleicht so was wie ein … dings, äh … Wahrsager, der den Leuten die Vergangenheit voraussagt?«
Das Lachen des Mannes rasselte wie ein Sack voller Nägel. »Ich bin ganz bestimmt kein Wahrsager, Kleiner! Die letzten Jahre habe ich nämlich meistens die Unwahrheit gesagt. Nee, ich habe nur vorhin zufälligerweise eure Unterhaltung mit den Langohren aufgeschnappt und finde es mal wieder typisch von den Elfenherrschaften, wie sie die Meinung anderer Leute ignorieren.«
Shirah zupfte Pennyflax an der Jacke und flüsterte: »Wieso ignorieren?«
Bevor der Kobold antworten konnte, erklärte der Mann mit seiner tiefen Kratzstimme: »Weil ignorieren ›nicht beachten‹ bedeutet, kleine Dame, denn genau das ist die Art, wie die Elfen uns andere Rassen behandeln. Sie beachten uns meist nicht, weil sie zu eingebildet sind und die Nase in den Wolken haben. Ich aber glaube euch, wenn ihr sagt, dass Sulferion einen Krieg anzetteln will. Und deshalb hätte ich da ein Angebot für euch.« Der hünenhafte Mann zog seinen Umhang wegen des Regens fester um sich, schaute verstohlen in alle Richtungen und raunte: »Ich kann euch auf meiner Kutsche nach Viancáru mitnehmen, wenn ihr mir dafür einen kleinen Gefallen tut.«
Erst jetzt bemerkte Pennyflax ein Pferdegespann im äußeren Bereich des Fackelscheins, das zwischen den Bäumen auf jenem Pfad abgestellt war, der zur Höhle hoch führte. Ohne auf das Angebot des Hünen einzugehen, nickte er zu dem Unterschlupf hin. »Wir wollten eigentlich dort oben übernachten.«
»Davon kann ich euch nur abraten«, brummte der Mann und musste lautstark niesen. »In dieser Höhle haust Diebesgesindel … die nehmen euch aus wie Weihnachtsgänse an Ostern!«
»Und um welchen Gefallen geht es, Kamerrrad?«, schnarrte Minky und zog seinen Rotzfaden hoch. »Was verlangst du fürrrs Mitnehmen nach Viancáru?«
»Ihr müsst so tun, als ob meine Kutsche euch gehört und ihr Händler seid, wenn wir Elfenpatrouillen begegnen oder an ihren Kontrollstationen vorbeikommen«, erklärte der Mann überfreundlich und lächelte. Dabei entblößte er sein schlechtes Gebiss, in dem ein Goldzahn aufblinkte.
»Wozu brauchst du UNS denn dafür?«, wunderte sich Shirah. »Kannst doch selbst behaupten, ein Händler oder Füßler zu sein.«
Noch immer lächelte der Mann, und seine Reibeisenstimme rasselte: »Das wird schlecht gehen, denn ICH muss mich im Falle einer Kontrolle ja in der Kutsche verstecken. Ihr solltet euch allerdings schnell entscheiden, denn bei dem Sauwetter mache ich jeden Moment die Fliege.«
Pennyflax überlegte. Er traute diesem zwielichtigen Kerl keinen Funken über den Weg. Außerdem zupfte Shirah ein weiteres Mal an seiner Jacke und flüsterte ihm ins Ohr:
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