Was dann in einer Notsituation geschieht bzw. nicht geschieht, darf sich jeder selbst ausmalen. In solchen – oben erwähnten - Arbeitsverträgen verpflichtet er sich weiterhin, ein Jahr an Bord zu bleiben, 30 Tage im Monat zu arbeiten, unentgeltliche Überstunden zu verrichten, wann immer der Kapitän es fordert (der tut es auf Druck der Schiffseigner, denn wie würde ansonsten die Alternative für ihn aussehen?). So ein Seemann hat jedwedes Essen zu akzeptieren und nicht zu versuchen illegal vom Schiff zu entkommen. Solch ein Kontrakt enthält 52 Vergehen , die mit Kündigung ohne Zahlung geahndet werden, darunter der Beitritt zu einer Gewerkschaft.
Bis zu tausend Dollar Kaution kassieren indische Vermittler in Bombay dafür, ihre Landsleute nach Deutschland zu verkaufen. Wann eigentlich wurde der Sklavenhandel unter Strafe gestellt?
Aber wer könnte diese Entwicklung noch stoppen – ist es dafür nicht längst zu spät? Wir müssen mit ansehen, wie die Deutsche Handelsflotte Schritt für Schritt ihrem Untergang entgegensteuert. Das erzeugt Wut. Das erzeugt ohnmächtigen Zorn der Regierung gegenüber, aber auch das Gefühl von unendlicher Traurigkeit. Denn damit würden die Faszination, die Geschichte, die Eigenart und die Liebe zu einem Beruf, der für viele einmal Berufung war, unwiderruflich verlorgengehen. Denn trotz eines Lebens, das von jeher geprägt war von harter, schwerer körperlicher Arbeit, von vielen Entbehrungen – sowohl auf seiten des Seemanns als auch auf seiten seiner Familie –, eines Daseins fern jeder so oft beschriebenen Seefahrerromantik, war und ist es ein Leben, das einen nicht mehr losläßt, einen in den Bann zieht, ein einmaliges Leben in einer ganz eigenen Welt. Einer Welt, die vielen absolut nichts bedeutet: Für ebenso viele macht sie alles aus. Immer wieder haben sich Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat zu einer Schiffahrtspolitik bekannt, die sowohl den Standort Deutschland wie den Erhalt der Deutschen Flagge fördern will. Liegt es an mir, daß mir diese Bemühungen verborgen bleiben.
Wir erleben, daß andere Wirtschaftszweige mit Subventionen in Milliardenhöhe überschüttet werden, ohne daß sich irgendetwas bewegt.
Von den ursprünglich vorgesehenen 100 Millionen DM Finanzhilfe für die Schiffahrt sollen nurmehr 30 Millionen gezahlt werden.
Wohlgemerkt: sollen … Zudem sollen nach den Steuerreformvorschlägen Vergünstigungen wegfallen – wie der ermäßigte Steuersatz auf Veräußerungsgewinne, die steuerliche Übertragung von Buchgewinnen beim Schiffsverkauf und die Verkürzung der degressiven Abschreibung. Das treibe den Steuersatz von heute 28,2 auf 35 Prozent der gewerblichen Gewinne. Wie werden von den Reedern die zu erwartenden höheren Kosten und höheren Steuern wohl aufgefangen werden?
Die Tatsache, daß derzeit 95 Prozent des Welthandels über See abgewickelt werden und welche Zukunft die maritime Industrie damit hat, ist sicher anderen auch bekannt.
Aber was weiß ich denn schon? Ich bin ja nur eine Seemannsfrau, die das alles gar nichts anzugehen hat, und einmischen soll die sich gleich gar nicht! Also: Überlassen wir das Handeln doch lieber den Kompetenteren in diesem Land?!
Während einer Diskussionsrunde wurde ich letztens von einem Reeder gefragt: „Interessieren Sie diese Zusammenhänge und berührt Sie – als Seemannsfrau – die Situation Ihres Mannes und die der Seeleute?“ Ja, ist der Mann gescheit? Die Frage würde ich allzu gern an seine Gemahlin weitergeben – einmal nachfragen ob sie die Situation ihres Mannes interessiert …
Diese Zeilen wurden von mir im Jahre 1997 geschrieben. Vor fünfzehn Jahren also.
Würde ich hingehen und einige Zahlen (zum Negativen natürlich) aktualisieren, so könnten sie von heute sein.
Es gibt ihn – den VdS
“Zwei Seemänner in der Familie wäre mehr als man ertragen könnte“. Oder: “Wenn unsere Männer nach monatelangem Einsatz nach Hause kommen, haben wir Wracks, die wir erst einmal zum Leben erwecken müssen.“
Diese, die Situation der Seemannsfamilien so treffend schildernden Zitate zweier Ehefrauen – erschienen in einer der Ausgaben der Verbandszeitschrift der Seemannsfrauen – wollen mir nicht aus dem Sinn.
Lassen sie doch erahnen, was unseren Männern da heutzutage abverlangt wird. Sie haben richtig gelesen – es gibt ihn tatsächlich: den VdS, den Verband der Seemannsfrauen. Denn wer sonst sollte sich für die Belange des Seemannes einsetzen, wenn nicht dessen Ehefrau? Der Seemann ist dazu nicht in der Lage, ist er doch die meiste Zeit des Jahres weg von daheim. Fern jeder Möglichkeit, seine Interessen zu vertreten. Eben dies tun seit der Gründung des Verbandes im Jahre 1987 die ca. 180 Frauen, die sich dort inzwischen zusammengeschlossen haben.
Hierbei handelt es sich nicht – wie aus unwissendem Munde oft zu hören – um ein seemännisches Kaffeekränzchen oder einen für den jährlichen Adventsbasar seefahrtbezogene Strick- und Häkelwaren produzierenden Club einsamer Ehefrauen.
Ehefrauen oder Freundinnen, die auf diese Weise ihrer Zeit, die sie ja ansonsten ausschließlich dem Warten auf den Seemann widmen, eine bedeutungsvollere Note verleihen möchten.
Sehr wohl hat Frau hier die Möglichkeit, sich bei den regelmäßig stattfindenden Treffen einmal alles von der Seele zu reden. Wer sonst versteht die Sorgen und Nöte, wer sonst könnte sich besser in unsere Situation hineinversetzen, wenn nicht eine Leidensgefährtin ?
Einem Landmenschen gelingt dies kaum. Auch die Vertrauensseemannsfrauen – gewiß eine tolle Idee und immer eine Anlaufstelle, um Rat und Hilfe zu erfahren. Das politische Engagement dieser Frauen – von noch größerer Bedeutung?
Übrigens – niemand hält Sie davon ab, diesem Verband beizutreten. Das dürfen auch Nichtseemannsfrauen und -männer. Ja, auch männliche Wesen werden hier nicht diskriminiert, sondern herzlich aufgenommen.
Vielleicht gibt es einige unter Ihnen, die sich für die Seefahrt interessieren und denen sie nicht egal ist.
Denn, bis auf den bekannten Kurzzeitschock bei den unzähligen Tankerkatastrophen der letzten Jahre, die Öffentlichkeit bleibt über die wirklichen Zustände in der Seefahrt uninformiert.
„Im Grunde haben wir viel erreicht und doch eigentlich nichts. Unsere Kontakte zu Presse, Funk, Fernsehen und Politikern haben leider immer noch keine Verbesserungen in der Seefahrt bewirkt. Selbst die Gewerkschaften scheinen hier gegen Mauern anzurennen. Da uns aber der Einfluß und auch die finanziellen Mittel fehlen, um effektiv arbeiten zu können, sind wir noch mehr auf die Zusammenarbeit mit den einzelnen Seemannsfrauen und den Gruppen angewiesen. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben, die Öffentlichkeit weiterhin auf die Mißstände in der Seefahrt aufmerksam zu machen.“
So das Resümee zum fünf jährigen Bestehen des VdS. Weitere fünf Jahre sind nun vergangen, und während dieser Zeit waren die Seemannsfrauen alles andere als untätig. (Dazu mehr am Ende dieses Buches). Daß sich all diejenigen, die sich aktiv im Verband engagieren und die trotz aller Niederlagen nicht aufgeben, nicht in ihren Bemühungen nachlassen, auch wenn es oft genug hoffnungslos aussieht, an den stetigen Kampf gegen die bekannten Windmühlen erinnert, daß sich all diejenigen nicht entmutigen lassen, statt dessen weiterhin für den Erhalt des Arbeitsplatzes und für bessere Arbeitsbedingungen ihrer Männer kämpfen, verdient jede Anerkennung und Unterstützung!
Denn diese Minderheit hat unser Staat einfach vergessen. Wen interessieren in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit die Belange von nur noch ca. 9000 Menschen?
Die Vernichtung eines ganzen Berufszweiges wird dabei in Kauf genommen.
Читать дальше