Man ist zwar allein, aber man ist nicht einsam. Und das ist ein gutes Gefühl. Ein Gefühl, das einem die Gewißheit gibt, auch die langen Monate ohne den geliebten Partner durchzustehen und auch von dieser Zeit zu profitieren, sie nicht als nutzlos zu empfinden. Dazu ist sie zu kostbar. Ich selbst habe mir seit meiner – im Schoße der Großfamilie wohlbehüteten – Kindheit nichts sehnlicher gewünscht, als daß das Talent des Malens und Zeichnens in mir schlummern würde.
Jedoch, als dann während meiner – von katholischen Ordensschwestern sorgsam begleiteten – Schulzeit Aufgaben in diesem Bereich von meinen zum Glück zahlreichen und wesentlich begabteren Angehörigen übernommen werden mußten, kam es mir schmerzlich zu Bewußtsein: Dieses Talent würde ich – trotz emsiger Bemühungen – in mir nicht erwecken können.
Statt dessen versuchte ich nun voll neuer Hoffnung das Talent des Gedanken in Worte umsetzen wachzukitzeln.
Meine ersten Schulaufsätze waren vielversprechend. Wenn auch schon mal haarscharf am Thema vorbei, so lautete das ordensschwesterliche Urteil dann doch: „Das Kind hat Phantasie“. Mein innigster Dank an die selige – vielleicht in einer anderen Welt aufmerksam lauschenden Schülerinnen ihr Wissen um die deutsche Grammatik vermittelnde – Schwester Adelfrieda (Schuhgröße 46 und die Figur eines mittelalterlichen Landsknechts). Ich werde sie nie vergessen. Machte sie mir doch Mut zu weiteren Schreibtaten . War mein Selbstbewußtsein doch zu jener Zeit durch die zeichnerischen Niederlagen ziemlich angeknackst. (Das nur am Rande: Zu jener Zeit war Schülern männlichen Geschlechts der Zugang zu dieser Lehranstalt sowie die Teilnahme am bischöflich-katholischen Unterricht strengstens untersagt.
Mit dem männlichen Geschlecht kam ich also erst später und an anderen Orten in Berührung. Hier blieben die Schüler weiblichen Geschlechts unter sich.)
Auch Jahre später – längst gedachte ich nur noch hin und wieder meiner schwesterlichen Lernjahre -, nachdem die ersten Artikel zu Papier gebracht waren, diese überraschenderweise sogar veröffentlicht wurden, konnte mich nichts und niemand mehr von meinen Schreibtischtaten abhalten.
Auch solch wohlmeinende, anspornende, enormen Aufschwung gebende Leserbriefe wie der der Frau Veronika K. vermochten mich nicht zu bremsen.
Den Inhalt will ich Ihnen nicht vorenthalten, hat sich doch jedes Wort in mein Gedächtnis eingegraben, haben die Vorwürfe mich zutiefst erschüttert.
Frau Veronika K.: „Nun aber zu dem Artikel, der mich schon im Vorheft und auch heute wieder in Rage gebracht hat. Es geht um den Bericht einer mitreisenden Ehefrau. Ich finde, dieser Bericht ist eine Zumutung!
Hat diese Seemannsfrau eigentlich schon mal relativiert, daß sie
1 keine Kreuzfahrt gebucht hat
2 sich auf dem Arbeitsplatz ihres Mannes befindet und
3 sie sich somit nach dem Rhythmus des Arbeitsplatzes und der dort tätigen Menschen zu richten hat.“
(Sie sehen – nichts blieb mir erspart!)
Aber weiter zu Frau K.: „Nicht sie ist der Nabel der Schiffswelt, nach dem sich alle zu richten haben. Sondern es gilt der Auftrag, die Ladung von A nach B zu bringen. (Aha! Geahnt hatte ich so etwas schon lange.) All diese Beschwernisse, mit denen die arme Ehefrau zu kämpfen hat, schildert sie wie eigens gegen sie gerichtete Schikane. Aber das Leben an Bord ist nun mal so. (Wie wahr, wie wahr!) Da sind Kakerlaken und Rostmaschine noch das kleinere Übel. (Ich bin zwar tierlieb, teile die Koje aber trotzdem lieber mit meinem Seemann als mit diesen flinken Krabbeltieren!)
Ich möchte Frau Marita R. den Rat geben, sich bei der nächsten Reise zurückzunehmen und daran zu denken, daß nicht sie wichtig ist, sondern die Leute an Bord und die Bewältigung der anfallenden Arbeit.“ (Versprochen – ich werde mich seekrank in meine Koje verziehen und still vor mich hinleiden!)
Da hatte ich also mein Fett weg.
Trösten konnten mich da nur noch mein zu jener Zeit verfügbarer Ehemann und die Tatsache, daß mit meiner Art von Humor eben nicht jeder klarkommt.
Aber was ich als weitaus schlimmer empfand war der Gedanke daran: Welcher Kapitän würde mich nach diesem vernichtenden Urteil überhaupt noch auf sein Schiff lassen? Geschweige denn, ließe mich für längere Zeit mitfahren? Undenkbar!
Wären die Folgen für Schiff und Mannschaft doch nicht abzusehen!
Nun habe ich gerade vor einigen Tagen erfahren, daß ich – so um Ostern rum – meinen geliebten Seemann auf einer 14tägigen Reise begleiten und seinen Dampfer heimsuchen darf.
Ein Kapitän ist bereit mich mitzunehmen. Er kennt mich eben noch nicht. Und der Brief einer gewissen Veronika K. scheint ihm auch noch nicht bekannt zu sein. Hoffen wir, daß er so ahnungslos bleibt.
Immerhin sind es noch gut fünf Wochen bis zu meinem Erscheinen!
Ich habe es ja gewußt
Nichts wäre furchtbarer und auf Dauer unerträglicher, als deprimiert dazusitzen und zu warten, daß der Seemann endlich, endlich wieder heimkehrt. Wenn man quasi in eine seelische Starre verfallen würde, aus der man erst bei der Rückkehr des Partners erwacht um wieder richtig zu leben. Dann wäre man die absolut falsche Frau für so einen Mann. Wenn ich sehe, wie glücklich er ist, wenn es für ihn wieder losgeht, er wieder einsteigen kann, dann muß ich mich einfach mit ihm freuen. (Trotz der oft schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord ist er froh, ein nächstes Schiff gefunden zu haben. Jedesmal kann es das letzte sein. Und mit der Angst müssen wir leben.)
Liebe ich ihn doch, diesen großen, sensiblen, romantischen Brummbären, mit dem man so herrlich rumalbern und lachen kann. Ihn, der in allem Negativen immer noch ein Quentchen Positives entdeckt, der mich mitreißt.
(Nur an Bord muß er von Einsatz zu Einsatz immer intensiver suchen um etwas Positives zu entdecken.)
Ihn, der in grauer Vorzeit einmal so hitzköpfig und leicht aufbrausend war. (Seit er meiner Pflege und Obhut untersteht, braust es bei weitem nicht mehr so häufig und so stark.) Ihn, der mich auf stundenlangen Gewaltmärschen hinter sich herschleift. Ihn, dem die Gabe verliehen wurde, einem die Wohnung innerhalb von Sekunden in einen chaotischen Zustand zu versetzen. („Es ist mir ein Rätsel, wie ich das immer schaffe!“ Zitat Seemann.)
Mir allerdings auch!
Ihn, der weil Modellflugzeugbauer, ständig im Keller vor sich hinwerkelt und mich mit so nebensächlichen Aufgaben wie der Entsorgung einiger Kilo Styroporspäne und Holzflöckchen betraut. (Oder, war es umgekehrt? Na, egal.)
Nur die Sache mit dem Gips – daß der nämlich überall im Treppenhaus und in der Wohnung sorgsam verteilt werden muß –, die werde ich in einer Schaffenspause im Bauplan überprüfen müssen.
Ein kleiner Tipp an alle sturmerprobten Ehefrauen, die sich im Besitz ähnlich veranlagter Ehemänner befinden: „Halten Sie Ihren Staubsauger, mehrere Ersatzbeutel und eine harte Wurzelbürste bereit, sobald ER verkündet: „Heute wird Styropor abgeschliffen!“
Dieser Stoff verteilt sich so schön im ganzen Raum und auf dem ganzen Ehemann. Um Verwechslungen auszuschließen – der Staubsauer eignet sich für die Wiederherstellung der Räumlichkeiten, die erwähnte, extra harte Bürste für die des Gemahls. Als ich diesen nach seiner ersten Schleifaktion zu Gesicht bekam, hegte ich die Vermutung, er habe sich mit Schnee paniert. Nur die Tatsache, daß es in unseren Breitengraden im Mai verhältnismäßig selten schneit, ließ mich eine andere Ursache seines Zustandes in Betracht ziehen.
Ich wurde dann sehr schnell aufgeklärt!
Seit jenem unvergessenen Tag bin ich Fachfrau für die Beseitigung von Werkstoffen aller Art.
Ich warte mit Spannung auf den Augenblick, an dem ihm der Gips aus den seemännischen Ohren rieselt! Ich denke – allzuweit sind wir von diesem Ereignis auch nicht mehr entfernt!
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