Unschlitt gießt den Viertelliter Wein in sich hinein und verlässt ebenfalls den Gefechtsstand, um im Schatten des einzigen Feigenstrauchs am Hang des Wadis zu schlafen. Solange sich weder Menschen noch Fahrzeuge nähern, ist mit einem Feuerüberfall kaum zu rechnen.
Hesse und Börger sehen sich mit einem vielsagenden Blick an.
"Beobachtungsstand vernichten", knurrt Börger, "auch wieder so 'n Blödsinn, weil sie nichts Besseres wissen. Selbst wenn es gelingt, ist noch alles wie vorher. Die Amis setzen neue Leute ein und wir werden wieder beharkt."
Marsmann nimmt die Kopfhörer ab, die er schnell übergestreift hatte, als er Unschlitt hörte. Die Zeichen, die aus dem Apparat kommen, werden immer leiser. Marsmann zaubert Meldungen, mit denen nichts anzufangen ist, erfindet Aufgefangenes vom Ami, das ebenso wenig besagt. Unschlitt darf nicht wissen, dass "Dora" nicht mehr mitmacht, dann muss Marsmann mitmachen, vorn in den Schützenlöchern. Er wendet nicht den Kopf, als er auf Börgers Geknurr erwidert: "Gelingen wird es schon. Der Name Malleck bürgt für Maßarbeit."
"Überhaupt, wenn Malleck dich mitnimmt", stichelt Börger. Marsmanns Blicke streicheln "Dora". Er hat lautlos und viel auf das Gerät geflucht, aber in diesem Augenblick ist es ihm lieb und teuer. "Der Funker ist der wichtigste Mann im Gefechtsstand", sagt er schadenfroh, "also unabkömmlich."
Ein Schatten erscheint am Eingang, Unteroffizier Malleck schiebt sich herein. Er rückt an einer Kiste, setzt sich darauf, streckt die Beine von sich und ächzt behäbig. "Kinders, wer hätte das gedacht, heißer als am Südpol, was?"
Die Drei schweigen. Marsmann hat wieder die Hörer auf und kritzelt auf einem Funkformular, als käme eben eine Generalstabsmeldung durch den Äther. Vertraulich stößt Malleck ihn an. "Was zu trinken da?"
Marsmann geht zu Unschlitts Kanister und lässt einen Trinkbecher voll laufen. Malleck nimmt kleine Schlucke. "Wenn wir erst den Ami ins Meer gejagt haben - Kinders, das wird ein Spaß beim Schneefegen in der Sahara." Da wieder niemand antwortet, lacht Malleck allein. Dann steht er auf und rückt sein Koppel zurecht. "Tja, Obergefreiter Hesse, dann machen Sie sich mal fertig: kleines Sturmgepäck und MPi. In einer Stunde hauen wir ab. Aber gut rasiert bitte. Die Amis sollen nicht glauben, wir hätten keine Klingen mehr."
Börger fährt herum, seine Augen hinter den Brillengläsern funkeln. "Wieso Hesse?"
Malleck schaut auf Börger herab. "Wieso nicht? In unserem Haufen kann Hesse als einziger Englisch. Gute Empfehlung für solch Unternehmen."
"Ich brauche ihn hier. Seit wann ist es üblich, Schreibstubenleute auf Stoßtruppunternehmen zu schicken?"
"Seit wann ist es üblich, dass sich Schreibstubenhengste gegen den Befehl eines Stoßtruppführers stellen?"
Börger spürt die Entschlossenheit Mallecks und versucht es mit der Kameradentour. "Hör mal, Malleck, du kannst dich wirklich nicht beklagen. Haben wir dich je zu kurz kommen lassen? An die Ausgehscheine in Neapel will ich gar nicht erinnern."
Malleck zwinkert Börger freundlich zu. "Die waren von dir. Aber du sollst ja auch nicht mitkommen."
"Hesse ist der einzige Mann, den ich noch habe."
Malleck tippt sich nachsichtig an die Stirn. "Mir brauchst du doch nichts vorzuzaubern wie dem Oberleutnant. Der Ami, der euch gefangen nimmt, kommt vor ein Feldgericht. Wegen Feindbegünstigung."
"Lass die Flausen, mir ist es ernst, und ... "
"Zum Teufel, mir auch!" Malleck kann ebenso brüllen wie Unschlitt.
"Der Oberleutnant hat extra gesagt: Freiwillige!" "Deshalb habe ich doch Hesse freiwillig ausgesucht. Der soll endlich ein Soldat werden. Die zarte Pflanze vergammelt uns ja sonst in der Schreibstube!" Wiederum lacht Malleck über den eigenen Witz.
"Darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen", zischt Börger.
Jetzt flüstert Malleck fast. "Aber mein letztes Wort. Hesse kommt mit und außer Truff kein anderer." Abgehackt wie auf dem Kasernenhof sagt Malleck. "Obergefreiter Hesse!"
Hesse springt auf. "Jawohl, Herr Unteroffizier!"
"In einer Stunde sind Sie marschbereit. Andernfalls werde ich Sie melden wegen Befehlsverweigerung. Verstanden?"
"Jawohl, Herr Unteroffizier!"
Malleck verschwindet, Schweigen ist im Gefechtsstand. Mit hängenden Mundwinkeln philosophiert Marsmann vor sich hin: "Wen Malleck einmal hasst, den hasst er."
Börger ist weiß vor Wut. "Immer habe ich ihm dazwischengefunkt. Jetzt denkt er, kurz vor Toresschluss kann er Hesse noch fertigmachen."
"Er wird ihn schon nicht umlegen", brummelt Marsmann.
"Aber er weiß genau, dass es ein Himmelfahrtskommando ist", Börger wütet, "und da denkt er, wenn ich kaputtgehe, soll es Hesse auch. Ich muss Unschlitt finden."
Hesse, von Dankbarkeit gegen Börger erfüllt, ist die Szene um so unangenehmer. Leise, aber bestimmt sagt er: "Ein Malleck ist dem Oberleutnant mehr wert als zehn Schreibstubenleute. Unschlitt würde Malleck recht geben, und womöglich müssen Sie noch für Truff mit."
Verstört setzt sich Börger wieder. An diese Möglichkeit hat er nicht gedacht. Hesse versucht ihn zu beruhigen. "Es wird nicht so schlimm werden. Den Beobachterposten wird auch Malleck nicht knacken können. Der wird zufrieden sein, wenn er bei der Rückkehr melden kann, er habe ihn entdeckt und schlage direkten Pakbeschuss vor."
Börger scheint überzeugt. Hesse beginnt sich zu rasieren. Er wird sich bemühen, keinem Befehl Mallecks zuwiderzuhandeln. Wer so lange beim Barras ist, lässt sich nicht auf die billige Art hereinlegen. Ich bin mit weniger Illusionen eingezogen worden als die meisten, die geglaubt haben, es wäre nicht für Hitler, sondern für Deutschland, geht es Hesse durch den Kopf. Er hört des Vaters Stimme, als der ihm beim letzten Urlaubsabschied die Hand presste, dräng dich nie nach vom. Ich habe es immer so gehalten, bei 999 nicht zuletzt mithilfe Börgers. Doch was ich Börger eben gesagt habe, ist nur die Hälfte von dem, was ich denke. Wenn ich nicht gehe, muss ein anderer mit. Alle wollen leben.
Hesse zieht sich die Frontkluft an, nimmt seine Maschinenpistole und überprüft sie. Seit sie in den tunesischen Kessel eingeflogen worden sind, hat er sie noch nicht benutzen müssen. In Afrika hat er keinen Menschen getötet. Und wie ist es in Russland gewesen? Er hofft es und weiß, dass es Selbstbetrug ist. Das berühmte Weiße im Auge des Gegners hat er zwar nie gesehen, aber wie oft haben sie drauflosgeschossen. Auf Befehl oder aus Angst und Selbsterhaltung? Beides ist zusammengefallen, ist zu einer Handlung geworden, die kein denkender Mensch ohne Zwiespalt vollführt.
Hesse steht, wie befohlen, bereit. Börger begutachtet ihn, dann gibt er Hesse einen verstohlenen Knuff und flüstert: "Geben Sie auf sich acht."
Hesse nickt und schaut vor Verlegenheit auf die Uhr. Es ist so weit. Er grüßt halb ernst, halb ironisch, macht eine Kehrtwendung und tritt aus dem Gefechtsstand. Malleck und Truff kommen vom Feigenstrauch, Malleck hat sich wohl bei Unschlitt abgemeldet. Hesse geht auf Malleck zu und will sich vorschriftsmäßig melden. Vergnügt winkt Malleck ab. "Schon gut, Obergefreiter Hesse. Jetzt hört der Kasernenhof auf, und der Spaß fängt an."
Einige Stammleute sind plötzlich in der Nähe. Sie tun kameradschaftlich, zuversichtlich. In manchen Gesichtern steht Schadenfreude, in anderen Neugier. Die Neugier erinnert an die von Menschen, die einen Leichenzug betrachten. Auch Tolcke ist wieder aufgetaucht. So lange "dicke Luft" im Gefechtsstand war, hat er sich nicht sehen lassen. Schon morgen können sie gefangen sein. Dann ist es gut, wenn man sich keinen zum Feind gemacht hat.
"Wiedersehen, Oberfeld" , spottet Malleck, "in ein paar Stunden sind wir wieder da. Hoffe auf entsprechenden Empfang."
Ein Stück hinter dem Gefechtsstand macht der Pfad eine Kehre, die unter Feindeinsicht liegt. Vor der Kehre klettern die drei hinunter ins Wadi. Halten sie sich hintereinander an seiner Steilwand, dann kommen sie ungesehen aus der Gefahrenzone. Es ist oft genug erprobt von denen, die nach vorn in die Schützenlöcher müssen. Aus dieser Tatsache lässt sich ungefähr bestimmen, in welcher Richtung sie den Beobachterposten suchen müssen.
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