„Ich komme gleich zurück“, erklärte die Frau, wischte sich die Hände an ihrer grauen Schürze ab und war sogleich hinter der nächsten Tür verschwunden. Charlotte packte die Gelegenheit und ließ den Blick durch den Raum wandern. Die altertümlichen Fliesen im Hausflur und die Holzvertäfelung an der Decke passten überhaupt nicht zusammen. Die Wandfarbe im Flur war weiß und leicht verschmutzt. Eine große Holztreppe führte in der Mitte des Flures in den zweiten Stock. Zwischen den köstlichen Apfelduft mischte sich der Geruch von verbranntem Kaminholz, der aus einer Feuerungsstätte aufstieg, die am Ende des Hausflurs lag. Als Frau Funk zurückkam, folgte ihr ein Mann, dessen Lebensalter Charlotte auf Mitte 60 schätzte. Er trug eine grüne Latzhose über einem grau karierten Flanellhemd. Seine Haare waren schon ein wenig ergraut, aber dicht. Er hatte ein rundes Gesicht, auffallend große Augen und einen stechenden Blick. Seine Wangen waren leicht gerötet und ein ungepflegter Dreitagebart zierte sein Gesicht. Der Mann war muskulös aber nicht groß und wirkte gedrungen.
„Guten Tag, Edgar Funk“, stellte er sich vor und schüttelte Charlottes Hand mit kräftigem Händedruck. „Am besten gehen wir in die Gute Stube “, sagte er freundlich und wies mit der Hand auf die rechte Tür. „Nehmen Sie schon mal Platz. Ich habe alle Flurpläne und den Bauplan vom Haus zusammen, die bringe ich Ihnen gleich.“
Damit verließ er das Zimmer und Charlotte saß mit Frau Funk alleine am Tisch, die sie mit feindseligem Blick beobachtete. Die Hausherrin sprach kein Wort, hatte die Lippen fest aufeinandergepresst und die Arme verschränkt. Zumindest bei ihr war Charlotte nicht besonders willkommen.
Verlegen schaute sie sich in der Guten Stube um. An der Wand über dem Sofa hingen Landschaftsbilder von unbekannten Malern. Auf einer kleinen Anrichte stand auf einem gehäkelten Spitzendeckchen ein gerahmtes Hochzeitsfoto, offenkundig das der Eheleute Funk, und weitere Bilder, vermutlich von Familienmitgliedern. Daneben war eine Blumenvase mit geschmacklosen Trockenblumen drapiert. In der Ecke stand eine uralte Stehlampe mit malerischen Jagdmotiven auf dem Lampenschirm. Direkt daneben ein gemütlich aussehender Ohrensessel aus einem grün-karierten Stoff. Außerdem gab es in dem Raum eine kleine Vitrine, in der allerlei Sammeltassen und schwere Kristallgläser fein säuberlich aufgestellt waren.
Bevor Charlotte darüber nachdenken konnte, warum Frau Funk so abweisend wirkte und wie sie die Situation deuten sollte, kam Herr Funk wieder ins Zimmer zurück. Er setzte sich mit den Plänen zu ihnen an den Tisch.
„Hast du denn der Frau Schumann schon einen Kaffee angeboten?“ Er richtete einen strengen Blick auf seine Frau.
Diese fragte artig: „Möchten Sie vielleicht einen Kaffee trinken?“ Ihr Augenausdruck und ihre Stimme verrieten Missfallen.
„Sehr gerne“, erwiderte Charlotte höflich und war froh, als die Dame des Hauses daraufhin das Zimmer verließ. Jetzt war sie mit Herrn Funk alleine. Sie durfte nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber vielleicht bot sich heute nicht mehr die Gelegenheit, mit dem Mann unter vier Augen zu sprechen. Daher fragte sie ihn blitzschnell. „Ich habe den Eindruck, Herr Funk, dass Ihre Frau nicht begeistert ist, dass der Bauernhof verkauft werden soll. Liege ich da richtig?“
„Ach was, da täuschen Sie sich aber“, antwortete der Landwirt, „meine Frau ist einfach nur wenig Besuch gewöhnt. Wenn jemand Neues zu uns auf den Hof kommt, da ist sie immer zurückhaltend. Natürlich will sie verkaufen!“ Seine Stimme klang gereizt.
Kurz darauf brachte Frau Funk den Kaffee in einer entzückenden alten Kaffeekanne mit passendem Zuckerdöschen und Milchkännchen auf einem großen Tablett herein. Dann nahm sie Tassen mit passenden Untertellern aus der Vitrine. Sie schenkte wortlos den Kaffee ein und setzte sich stumm neben ihren Mann. Charlotte erläuterte die Vertragsbedingungen und erklärte, dass sie gerne Bilder vom Hof und Wohnhaus machen würde. Außerdem hatte sie vor, in allen Zimmern des Hauses die Räume zu vermessen und sämtliche Stallgebäude und Schuppen zu begutachten. Sie bat Herrn Funk, ihr für ein paar Tage die gesamten Flurpläne und die Baupläne zu überlassen, und versprach, diese so schnell wie möglich wieder zurückzubringen. „Zu Hause werde ich in Ruhe alle heute gemachten Bilder auswerten und in einem Exposé verarbeiten.“
Herr Funk nickte.
Als Charlotte merkte, dass Frau Funk mit dem Begriff nichts anzufangen wusste, erklärte sie ihr: „In einem Exposé steht eine Beschreibung Ihrer Immobilie, darin enthalten sind in der Regel auch Bilder und Grunddaten zum Objekt, wie Baujahr, Grundfläche, Preis. Ich habe hier ein Exposé einer anderen Immobilie, das ich angefertigt habe und das im Internet freigeschaltet wurde. Das dürfen Sie sich gerne mal anschauen, damit Sie sich einen Eindruck verschaffen können.“ Sie kramte in ihrer Tasche, holte das entsprechende Dokument heraus und reichte es Frau Funk. „So in der Art werde ich das für Ihre Immobilie auch machen. Das Ganze wird dann, nachdem Sie beide es abgesegnet haben, ins Internet gestellt. Und eine Kurzausgabe hängt in meiner Filiale im Schaufenster aus. Das wäre schon alles. Der Kundenkontakt läuft ausschließlich über mich. Ohne mich sollte keine Besichtigung stattfinden. Ich werde mich immer vorher mit Ihnen abstimmen, wann wir einen gemeinsamen Termin mit Kaufinteressenten vereinbaren können.“
Edgar Funk nickte erneut. Seine Frau saß regungslos am Tisch. „Wenn Sie beide keine Fragen mehr haben“, schlug Charlotte vor, „dann lassen Sie uns gleich mal mit der Besichtigung des Hauses anfangen.“ Dann stand sie rasch auf, in der Hoffnung, so aus dieser unangenehmen Situation zu entkommen. Sie vermutete jetzt schon, dass bei der Größe des Objekts jede Menge Arbeit auf sie wartete.
Und es stellte sich heraus, dass sie mit ihrer Vermutung Recht hatte, denn durch die ständigen An- und Umbauten hatte das alte Bauernhaus mehr Wohnfläche, als es auf den ersten Eindruck vermuten ließ.
Herr und Frau Funk führten Charlotte zuerst durch das große Wohnhaus. Sie fotografierte einen Raum nach dem anderen und notierte sich Informationen zu den Fenstern und den Böden, die teilweise mit alten Holzdielen ausgelegt waren. Immer begleitet von den bösartigen Blicken der Dame des Hauses.
„Ich hab ja nicht gewusst, dass Sie hier jedes einzelne Zimmer anschauen wollen“, stieß Helene Funk mürrisch hervor. „Ich dachte, Sie interessieren sich eher für den Stall und das Land. Wenn ich geahnt hätte, dass Sie überall Bilder machen, dann hätte ich gestern extra noch gründlich geputzt“, brummte sie feindselig und warf ihrem Mann dabei einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Frau Funk, nochmal“, entgegnete Charlotte, „nicht alle Bilder kommen in das Exposé, aber ich muss doch den Kaufinteressenten am Telefon Auskunft geben können, wenn sie mich fragen, ob das Kinderzimmer nach vorne oder nach hinten heraus liegt und ob die Decke im Wohnzimmer vertäfelt ist und welche Farbe die Fliesen im Gäste-WC haben. Durch die Bilder habe ich für mich persönliche Informationen, die bei telefonischem Kundenkontakt mit Interessenten der Immobilie von Bedeutung sein können.“ Als Maklerin hatte Charlotte manchmal mit Verkäufern zu tun, die anstrengend waren, was die Immobilienbeschreibung und vor allem die Bewertung ihrer Häuser betraf. Aber Frau Funk schoss den Vogel ab.
Charlotte nahm sich vor, auf alle Fälle Herrn Funk nochmal darauf anzusprechen, ob seine Frau auch wirklich mit dem Hausverkauf einverstanden war, und zwar bevor sie sich zu Hause an die Arbeit der Erstellung des Exposés setzte.
„Hier kommen wir zu einem extra Wohnbereich“, erklärte Herr Funk, als sie vor einer Tür im zweiten Stock des Hauses standen. „Dazu gibt es auch an der Seite des Hauses einen separaten Eingang. Trotzdem haben wir hier auch eine Verbindungstür zu unserem Flur gelassen. Hier haben meine ledige Schwägerin und die Schwiegermutter früher gewohnt. Beide sind verstorben. Nun ist unser Sohn hier eingezogen.“
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