Zuerst sollten wir unser Festhalten am Selbst erkennen, das wir immer in unserem Herzen tragen und das unseren inneren Frieden zerstört. Seine Natur ist ein falsches Gewahrsein, das irrtümlicherweise glaubt, dass wir selbst und andere wirklich, oder inhärent, existent sind. Es ist ein unwissender Geist, denn in Wirklichkeit existieren die Dinge nicht inhärent – sie existieren als bloße Zuschreibungen. Da dieser törichte Geist des Festhaltens am Selbst an ein «Ich», «Mein» und alle anderen Phänomene als wirklich existent glaubt oder sich daran klammert, entwickeln wir Anhaftung an Dinge, die uns gefallen, und Hass auf Dinge, die uns nicht gefallen. Dann begehen wir unterschiedliche Handlungen, die anderen Lebewesen schaden, und infolgedessen erfahren wir in diesem Leben und Leben für Leben mannigfaltiges Leiden und Probleme. Dies ist der eigentliche Grund, warum wir so viele Probleme erfahren. Da unser Gefühl eines wirklich existenten «Ich» und «Mein» so stark ist, dient unser Festhalten am Selbst auch als Grundlage für alle unsere täglichen Probleme.
Das Festhalten am Selbst ist wie ein giftiger Baum, die anderen Verblendungen sind wie seine Zweige und alle unsere Leiden wie seine Früchte. Es ist der Hauptursprung all unserer anderen Verblendungen und all unserer Leiden und Probleme. Verstehen wir dies, dann sollten wir uns sehr stark bemühen, diese Unwissenheit zu erkennen, zu verringern und sie schließlich vollkommen aufzugeben.
«Ihr solltet Beendigungen erlangen.»
Das bedeutet, dass wir die dauerhafte Beendigung von Leiden erlangen sollten. Im Allgemeinen erlebt jeder von Zeit zu Zeit eine vorübergehende Beendigung bestimmter Leiden. Zum Beispiel erleben diejenigen, die körperlich gesund sind, eine vorübergehende Beendigung von Krankheit. Dies jedoch reicht nicht aus, da es nur vorübergehend ist. Später in diesem Leben und in zahllosen zukünftigen Leben werden sie das Leiden der Krankheit immer wieder erleben müssen. Jedes Lebewesen muss ohne Ausnahme immer wieder, Leben für Leben, endlos den Kreislauf des Leidens von Krankheit, Altern, Tod und Wiedergeburt erfahren. Wir sollten Buddhas Vorbild folgen und starke Entsagung für diesen endlosen Kreislauf entwickeln. Als Buddha mit seiner Familie im Palast weilte, sah er, dass sein Volk diese Leiden unaufhörlich erdulden musste, und er fasste den festen Entschluss, Erleuchtung, die dauerhafte Beendigung des Leidens, zu erlangen und alle Lebewesen zu diesem Zustand zu führen.
Buddha ermutigte uns nicht, unsere täglichen Aktivitäten aufzugeben, die unseren Lebensunterhalt sichern oder Armut, Umweltprobleme, bestimmte Krankheiten und so weiter verhindern. Wir sollten jedoch wissen, dass wir diese Probleme nie dauerhaft beenden werden, ganz gleich wie erfolgreich wir in diesen Tätigkeiten sind. In unseren zahllosen zukünftigen Leben müssen wir sie weiterhin erfahren und selbst in diesem Leben nehmen die Leiden der Armut, Umweltverschmutzung und Krankheit auf der ganzen Welt zu, obwohl wir sehr hart daran arbeiten, diese Schwierigkeiten zu vermeiden. Außerdem entwickeln sich nun aufgrund der Kraft der modernen Technik viele große Gefahren in der Welt, die wir noch nie erlebt haben. Wir sollten uns deshalb nicht mit einer nur vorübergehenden Freiheit von bestimmten Leiden begnügen, sondern uns stark bemühen, dauerhafte Freiheit zu erlangen, solange wir diese Gelegenheit haben.
Wir sollten die Kostbarkeit unseres menschlichen Lebens bedenken. Diejenigen, die aufgrund früherer verblendeter Sichtweisen den Wert spiritueller Praxis ablehnten und als Tiere wiedergeboren wurden, haben zum Beispiel nicht die Möglichkeit sich einer spirituellen Praxis zu widmen, die allein der Schlüssel zu einem sinnvollen Leben ist. Da es ihnen nicht möglich ist, spirituelle Anleitungen zu hören, zu verstehen, darüber nachzudenken und zu meditieren, ist ihre gegenwärtige Wiedergeburt als Tier an sich ein Hindernis. Nur Menschen sind frei von Hindernissen dieser Art und haben alle notwendigen Bedingungen, um sich spirituellen Pfaden zu widmen, die allein zu immerwährendem Frieden und Glück führen. Diese Verknüpfung von Freiheit und dem Besitz der notwendigen Bedingungen ist das besondere Merkmal, das unser menschliches Leben so kostbar macht.
«Ihr solltet den Pfad praktizieren.»
In diesem Zusammenhang ist mit «Pfad» kein äußerer Pfad gemeint, der von einem Ort zu einem anderen führt, sondern ein innerer Pfad, ein spiritueller Pfad, der uns zum reinen Glück der Befreiung und Erleuchtung führt. Eine ausführliche Erklärung der Stufen des Pfades zur Befreiung und Erleuchtung findet sich in den Büchern Moderner Buddhismus, Wie wir unser Leben verwandeln, Das neue Meditationshandbuch und Freudvoller Weg.
Die Praxis der Stufen des Pfades zur Befreiung kann in die drei Schulungen der höheren moralischen Disziplin, der höheren Konzentration und der höheren Weisheit zusammengefasst werden. Diese Schulungen werden «höhere» genannt, weil sie durch Entsagung motiviert sind, einen aufrichtigen Wunsch, dauerhafte Befreiung von den Leiden dieses und zukünftiger Leben zu erlangen. Deshalb sind sie der eigentliche Pfad zur Befreiung, den wir üben müssen.
Das Wesen moralischer Disziplin ist es, unangemessene Handlungen aufzugeben, reines Verhalten zu bewahren und jede Handlung mit einer tugendhaften Motivation richtig auszuführen. Moralische Disziplin ist für alle äußerst wichtig, um zukünftige Probleme für uns selbst und für andere zu vermeiden. Da sie unsere Handlungen rein macht, werden auch wir rein. Wir müssen sauber und rein sein, doch genügt es nicht, einen sauberen Körper zu haben, da unser Körper nicht unser Selbst ist. Moralische Disziplin ist wie eine große Erde, die die Ernte spiritueller Verwirklichungen trägt und nährt. Ohne moralische Disziplin zu bewahren, ist es sehr schwierig, in unseren spirituellen Schulungen Fortschritte zu machen. Schulung in höherer moralischer Disziplin bedeutet, durch Entsagung motiviert zu lernen, tief mit der Praxis der moralischen Disziplin vertraut zu sein.
Die zweite höhere Schulung ist die Schulung in höherer Konzentration. Das Wesen von Konzentration ist es, Ablenkungen zu verhindern und uns auf tugendhafte Objekte zu konzentrieren. Es ist sehr wichtig, uns in Konzentration zu schulen, denn mit Ablenkungen können wir gar nichts erreichen. Schulung in höherer Konzentration bedeutet, motiviert durch Entsagung zu lernen, tief mit der Fähigkeit vertraut zu sein, Ablenkungen zu stoppen und uns auf tugendhafte Objekte zu konzentrieren. Ganz gleich welche Dharma Praxis wir üben: Wenn unsere Konzentration klar und kraftvoll ist, können wir leicht Fortschritte machen. Normalerweise sind Ablenkungen unser Hauptproblem. Die Praxis der moralischen Disziplin verhindert grobe Ablenkungen und Konzentration verhindert subtile Ablenkungen. Gemeinsam führen sie zu schnellen Ergebnissen in unserer Dharma Praxis.
Die dritte höhere Schulung ist die Schulung in höherer Weisheit. Das Wesen der Weisheit ist ein tugendhafter intelligenter Geist, dessen Funktion es ist, Verwirrung zu vertreiben und tiefgründige Objekte gründlich zu verstehen. Viele Menschen sind sehr intelligent darin, ihre Feinde zu zerstören, sich um ihre Familien zu kümmern, das zu finden, was sie begehren und so weiter, aber das alles ist nicht Weisheit. Selbst Tiere haben diese Art der Intelligenz. Weltliche Intelligenz ist täuschend, während Weisheit uns nie täuschen wird. Sie ist unser innerer spiritueller Meister, der uns auf richtige Pfade führt, und sie ist das göttliche Auge, durch das wir vergangene und zukünftige Leben und die besondere Verbindung zwischen unseren Handlungen und unseren Erfahrungen, die als «Karma» bekannt ist, sehen können. Karma ist ein sehr umfassendes und subtiles Thema, das wir nur durch Weisheit verstehen können. Schulung in höherer Weisheit bedeutet, motiviert durch Entsagung über die Weisheit zu meditieren, die Leerheit verwirklicht. Diese Weisheit ist äußerst tiefgründig. Ihr Objekt, Leerheit, ist nicht Nichts, sondern die wirkliche Natur aller Phänomene. Eine ausführliche Erklärung der Leerheit findet sich im Buch Wie wir unser Leben verwandeln.
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