hinter dem Vorhang zur Abstellkammer versteckt haben und glauben, ich würde sie nicht bemerken.“
Ihr lautes brutales Gelächter zerriss das zarte Band, das uns verbunden hatte, schuf eine Mauer zwischen uns, so unsichtbar wie unüberwindbar.
„Tut mir leid“, stotterte ich.
„Schon gut“, sagte er und tastete sich mit ausgestreckten Armen, aber ohne dass seine wissenden Hände
die Wände berührten, zurück zum Ausgang. Ich sah nicht, wie traurig er war, ich fühlte es.
Platzhalter
„Steh doch endlich auf“, sagst du, „geh doch mal raus, mach doch mal was aus deinem Leben. Sei doch
vernünftig, du kannst dich doch nicht für immer hier verstecken“, fügst du hinzu. Mein Herz verkrampft
sich, mein Mund will entgegnen, doch die Worte wollen sich nicht fügen, wie sollten sie auch, ahne ich
doch nur die Dinge und die Menschen, aber ich kenne nicht ihre Namen und weiß sie nicht zu gebrauchen.
Ach, Ihr nützlichen, nutzbaren Menschen, ein Abgrund ist Euch meine Seele, ein wenig verlässlicher Ort,
Projektion versteinerter Ängste, bespielt und bewacht vom Dämon Eurer Sehnsucht, in all den Momenten,
in denen Ihr verständnislos schaut, was ein anderer leidet für Euch, um Euch, an Eurer Stelle.
Vor meinen Füßen ladet Ihr es ab, Euer Nichtgewolltsein, Euer Unvertrauen, Euer anstrengendes Als-Ob,
das Euch zwingt, immer zu wissen, was zu tun ist, geschäftig und verständig und so überaus optimiert.
Und so nehme ich Eure heimliche Qual, schlucke, kaue, verdaue sie, kauere und verharre, richte mich auf,
nur um zu bitten, kein Blitz möge Euch treffen, kein Feind Euch zerschmettern, kein Gott Euch
zerquetschen wie lästiges Lügengewürm.
„Steh doch endlich auf“, sagst du. „Mach doch mal was aus deinem Leben!“ Wohl denn, der Platz ist frei.
Du hast es nicht anders gewollt. Nimm ihn, fülle ihn, ertrage ihn.
Das falsche Wort
„Mannloch, Mannloch, Mannloch“, wiederholte sie ein ums andere Mal, denn der Sinn des Wortes
erschloss sich ihr nicht. Böse klang das Wort, es erinnerte sie an etwas, was sie einmal gehört, aber rasch
und für immer vergraben hatte. Doch war es wohl nicht dasselbe?
Aber sie verstand ohnehin nicht, wozu das gut sein sollte, all diese Wörter, die sich zu einem ellenlangen
steinernen Band aneinanderreihten, ihr Vorwürfe machten, tagein, tagaus, sie in den Schmutz zerrten,
hättest du den Rock nicht getragen, sich an ihr vergingen mit brutalen Händen und erigiertem Glied, das
ihr Schmerz bereitete, wo man ihr Lust verheißen hatte.
Hättest du den Rock nicht getragen, mein Lieb, die Lippen nicht geschminkt, nicht gelächelt und brav
meine Küsse ertragen, wie sollte ich dem auch widerstehen?
Seit jenem Tag, an dem die Worte von Liebesschwüren in bestialisches Schnaufen übergegangen waren,
seit er sie unterworfen, gefoltert, ausgelöscht hatte, verstand sie keines der Worte mehr, kein Leichtes, kein
Schönes, keines das störrisch wie ein Krug wiederkehrte, der einfach nicht brechen wollte, so oft man ihn
auch zum Brunnen zerrte.
„Mannloch, Mannloch“, flüsterte sie noch mehrmals, bevor sie mit dem Kopf gegen die Wand schlug, nur
um die Stimme zu übertönen, die ihr einflüstern wollte, es sei nicht, was sie denke, alles sei in Ordnung
und nichts Böses werde ihr geschehen.
Kleine Helden
„Bin ein kleiner König, gib mir nicht so wenig, lass mich nicht im Regen stehn, denn ich muss noch
weitergehn“, sangen die Kinder in ihren himmlisch schönen Gewändern, durch die sie sich für das
diesjährige Nikolauslaufen in ehrenwerte Edelmänner, glitzernde Prinzessinnen oder hurtige Hexen
verwandelt hatten.
Die fröhliche Schar wollte eben weiterziehen, als ihnen die bedrohlich anschwellenden Rufe des
Schlachters entgegenschallten, der den schon oft der Tür verwiesenen bettelnden Obdachlosen mit
Leberwurstresten und gemeinen Ausdrücken bewarf und wohl drauf und dran war, ihn zu Tode zu
prügeln.
„Los, kommt“, flüsterte eine kleine Hexe und als hätten sie sich abgesprochen, liefen die Kinder schnell
zum Eingang, umringten schützend den Bettler und begannen ihr fröhliches Singspiel erneut, sodass der
Schlachter gar nicht anders konnte, als den armen Mann seines Weges ziehen zu lassen.
Und ewig schreit die Lerche
Es war der 21. Juni 1916, die in blau-weiß-rote Trachten gekleideten Mädchen tanzten fröhlich zum
Gesang der Knaben, die teils noch fiepsend, teils schon brummend „Alouette“ angestimmt hatten, und
gemeinsam zogen sie zum Dorfanger, an dessen Wegessaum aus längst verstreuten Samen bunt blühende
Sommerboten gewachsen waren, die nun darauf warteten, von wilden wie zaghaften Burschen gepflückt
und an die Mädchen verschenkt zu werden.
Keine Mutter konnte sich schützend vor sie werfen, kein Vater sie bewahren, als das Stakkato der
feindlichen Artillerie ihre Fröhlichkeit zerbrach. Zufrieden lehnte sich deren Oberbefehlshaber zurück,
nicht ahnend, dass der entsetzte Schrei der Feldlerche ihn zeit seines Lebens in furchtbaren Albträumen
verfolgen würde.
Ein Feuer, das nichts erhellt
Vom tiefen Feuer des Widerstandes entfacht, im festen Glauben, dies sei der Moment, in dem sie mit
jeglicher Deutschtümelei, mit der Wurstbrotmentalität einer auf dem rechten Auge blinden Gesellschaft
und einer sich zusammenrottenden Meute aufräumen konnte, haute Aphrodite von Stolzenfels in die
Tasten, entwarf flammende Reden gegen das Wiedererstarken dessen, was doch für immer verbannt sein
sollte.
Tränen der Rührung purzelten zu Boden, als sie ergriffen von ihrer zutiefst antifaschistischen Haltung die
soeben geschriebenen Zeilen überflog, bis ein lautes Türenschlagen sie erschreckte. Kam man schon, sie
zu holen? Schwadronierten bereits Fackelzüge vor ihrem Haus? War der Tag der Machtübernahme erneut
gekommen?
Aber nein, lediglich der Nachbar hatte seinen SUV mal wieder in ihrer Einfahrt geparkt. Enttäuscht und
gelangweilt griff sie zu dem Schüsselchen mit Karamellbonbons, um kauend zu konstatieren, dass sich
nichts, aber auch gar nichts durch ihre flammende Rede verändern würde.
Mit den Augen der Dunkelheit blickte Schmuel Rosenherz ins Antlitz seiner Vorfahren, von denen keiner
die Deportation und das unendliche Grauen überlebt hatte. Keine beflissentlich wiederholte
Glückskeksmoral und kein im Armsessel zurückgelehntes Fraternisieren brachten sie zurück.
Umso mehr musste es ihn empören, dass all diese Sonntagsredner es sich anmaßten, ihr Schicksal auch
nur zu erwähnen, einen dieser aufgeregten Vergleiche zu ihrem lächerlich ereignislosen Heute zu ziehen,
um sich fern jeglicher Gefahr von einer Schuld reinzuwaschen, die niemals, niemals, enden konnte, weil
sich in ihr das jeglicher Erhabenheit trotzende Alltägliche mit dem Ungeheuerlichen verbündet hatte.
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