Aber wie gesagt, das war nicht das Parkhaus, in dem ich mich nun befand. Dieses hier hatte einen ganz anderen Charakter. Es war erheblich dunkler und privater. Und doch schien Birnbaum es dem anderen vorzuziehen. Er steuerte seinen Wagen auf einen Platz neben einer Tür, mit der Aufschrift >Privat Betreten verboten<, durch die wir zu einem Fahrstuhl gelangten, der in Form und Größe auch wesentlich einfacher war als die gläserne Kanonenkugel, mit der ich normalerweise meine Reise über die Dächer Berlins antrat.
Irgendwie war ich ein bisschen enttäuscht, mich am Potsdamer Platz zu befinden, ohne das immer kleiner werdende Dekolleté von Frau Wieland beobachten zu dürfen. (Nur wer dieses Schauspiel einmal miterlebte, kann es wirklich nachvollziehen)
Ein Blick auf die Schalttafel verriet mir, dass das Gebäude, in dem wir uns befanden, 20 Stockwerke hoch war, und ich dachte mir, dass Birnbaum eine der 21 Tasten drücken würde. Aber stattdessen zog er sein Handy aus der Tasche und drückte dort einen Zahlencode ein, der den Fahrstuhl veranlasste seine Arbeit aufzunehmen.
Beinah hätte ich den Halt unter den Füßen verloren, als ich merkte, dass unsere Fahrt abwärts statt aufwärtsging. Wenn man in einem Fahrstuhl steht, dann richtet man instinktiv seinen Körper auf die bevorstehende Fahrt ein. Man weiß genau, in welche Richtung man seinen Körper verlagern muss.
Erst jetzt erkannte ich, was Birnbaum mir vorhin zu erklären versuchte. Diese Menschen findet man weder auf Werbetafeln noch im Internet. Na klar. Wer stellt schon eine Werbetafel in den Keller? Aber wer war dieser Birnbaum? Und mit was für abscheulichen Menschen hatte er zu tun, die sich in irgend-einem dunklen Keller verstecken müssen?
Dunkel?
Glaubte ich wirklich dunkel?
Nachdem sich die Tür wieder öffnete, stellte ich fest, dass es sich um alles andere als um dunkle Kellerräume handelte. Wer sich schon einmal im Fernsehen die Serie ‚Stargate‘ angesehen hat, der würde das, was sich mir hier bot, für den großen Bruder halten.
Wir befanden uns auf einem Gang, der über seiner Brüstung völlig verglast war. Unterhalb dieser Brüstung gab es eine Art Blende, hinter der eine indirekte Beleuchtung den Teppichboden, auf dem wir standen, aufhellte. Hinter der Glasfront, die eine der Seitenwände bildete, befand sich ein Saal, der sich etwas unterhalb unseres Standortes befand und von Form und Größe an einen Tennisplatz mitsamt den dazugehörigen Auslaufzonen erinnerte. Von der Decke hingen an langen Ketten Leuchtstoffröhren herab. Alle säuberlich zueinander ausgerichtet. Ich zählte insgesamt zwölf Reihen dieser Leuchtkörper, die alle mit zwei Röhren bestückt waren. Durch ihre Anordnung entstanden Lichtkegel, sodass sie über jede der darunterstehenden Tischreihen ein Dach aus Licht bildeten. An der uns gegenüberliegenden Stirnseite des Raumes erhob sich eine Leinwand, die offenbar zu dem unter der Decke montierten Videoprojektor gehörte.
Die Anzahl an Monitoren und Computern, auf die wir herabschauen konnten, erinnerten mich an meinen Besuch im Kennedy Space-Center vor drei Jahren. Nur dass hier die Leute fehlten, die lautstark ‚Go! Go! Go!‘ riefen, um ein Spaceshuttle in der Startphase anzufeuern.
Für solche Gefühlsausbrüche waren alle viel zu sehr in ihre Arbeit vertieft. Ich hörte mich leise zu mir selbst sagen:
„Houston wir haben ein Problem.“
Birnbaum sah mir meine Verwunderung sofort an und quittierte meine verwirrten Blicke mit einem schelmischen Grinsen.
„So da sind wir nun. Diese Räumlichkeiten wurden von einer mir befreundeten Baufirma entdeckt, als die Projektierung des Platzes nur aus ein paar Bleistiftzeichnungen bestand. Niemand weiß genau, wann und wofür dies hier geschaffen wurde. Und offensichtlich weiß auch niemand mehr, dass dieser Ort überhaupt existiert. Wir haben es lediglich etwas erweitert und unseren Bedürfnissen angepasst, wobei das größte Problem damals die Trockenlegung der Anlage war. Das alte Gemäuer hier unten ist nach all den Jahren leider nicht mehr ganz dicht. Auch heute noch laufen die Pumpen rund um die Uhr, damit wir nicht absaufen. Aber machen Sie sich keine Gedanken deswegen. Wir sind hier auf dem modernsten Stand der Technik. Alle lebenserhaltenden Maßnahmen sind hoch technisiert und computergesteuert.“
Dass in diesem Hightechtempel alles computergesteuert war, das hätte er nicht extra erwähnen müssen, denn dies war selbst für mich nicht zu übersehen.
„Wenn Sie sich das Ganze ansehen wollen, dann haben wir dafür bestimmt später noch die Gelegenheit dazu. Aber jetzt gehen wir erst einmal zu unseren Gastgebern, die schon darauf brennen sie kennenzulernen.“
Dann ging er einfach in eine Richtung los und forderte mich auf ihm zu folgen. Ich griff ihm mit einer Hand auf die Schulter, drehte ihn mit einem Ruck zu mir um und sah ihm fest in die Augen.
„Was ist das hier? Habt Ihr vor euer eigenes Raumfahrtprogramm hier zu betreiben? Ist das eine militärische Einrichtung? Sie wollen mir doch nicht immer noch weismachen, dass dies eine Philosophierstube ist. Also, raus mit der Sprache.“
Trotz dieses Überraschungsangriffs erlangte er unglaublich schnell seine Fassung zurück. Er schaute kurz in eine der unzähligen Überwachungskameras und seine Mimik und Gestik verriet mir, dass er gerade irgendjemand zur Ruhe mahnte. Anscheinend musste er der Person am anderen Ende der Übertragungsleitung mitteilen, dass er die Situation im Griff hat und keine Hilfe benötigt.
„Wenn Sie antworten wollen, dann müssen Sie mir schon folgen. Ich versichere Ihnen, dass weder das Militär noch die NASA oder irgendeine andere Organisation dieser Art hiermit etwas zu tun hat.“
Abermals wandte er sich von mir ab und lief einfach los. Und diesmal folgte ich ihm.
Erst jetzt fiel mir auf, dass niemand der Männer und Frauen, die hier vor den Monitoren saßen, sich für diese kleine Szene, die ich ihnen bot, interessierte. Alle arbeiteten so konzentriert, dass sie anscheinend nicht einmal unsere Anwesenheit bemerkten.
Wie würden die wohl reagieren, wenn ich Birnbaum auf den Händen folgte? Oder wenn ich mit einer Partygesellschaft hier eine Polonaise veranstaltete und laut singend zwischen ihnen hindurch tanzte? Was musste man tun, um diese Leute aus der Ruhe zu bringen?
Der Einzige, der uns anscheinend wahrnahm, das war ein Mann, der hastig an uns vorbeilief und hinter einer Stellwand gleich neben der großen Projektionsleinwand unten im Saal verschwand. Ich kannte sowohl diesen Blick wie auch diese Gangart nur zu gut. Genauso sah auch ich jedes Mal aus, wenn ich mich aus irgendeiner Veranstaltung heimlich verdrückte, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen.
Schön dachte ich so bei mir. Wenigstens ein menschliches Wesen scheint es hier noch zu geben.
Birnbaum lief in der Annahme, dass ich ihm folgte, weiter und ich tat es ihm gleich. Gerade hatte ich diesen Lungenpieper aus den Augen verloren, da steuerte Birnbaum bereits auf eine Tür mit der Aufschrift >kleiner Konferenzraum< zu.
Noch bevor wir sie erreichten, um sie zu öffnen oder wenigstens anzuklopfen, wurde dies mit einem kleinen Summen scheinbar von innen erledigt.
Mir war sofort klar, dass unser Weg vom Fahrstuhl bis zu diesem Raum von jemandem Schritt für Schritt verfolgt worden war, der uns nun auf diese Art Einlass gewährte.
„Also, doch so eine Stargategeschichte.“ murmelte ich vor mich hin. Allerdings in einem schien Birnbaum Recht zu haben. Niemand der fünf anwesenden Personen machte auf mich einen militärischen Eindruck.
Beim Betrachten des ovalen Konferenztisches in der Mitte des Raumes hätte ich beinahe salutiert und ein lautstarkes ‚Guten Morgen Mr. Präsident‘ in den Raum gerufen. Schließlich sah der Mann am anderen Ende des Raumes tatsächlich so aus, wie der Präsident der Vereinigten Staaten im Allgemeinen gerne dargestellt wird.
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