Ich legte den Hörer zurück, um mir eine passende Geschichte für ihn auszudenken. Ich wusste, es wäre das erste Mal, dass ich ihn belügen würde. Aber ich hatte immer noch das Bild vor Augen, wie ich mit beiden Händen voller Banknoten lachend um den am Boden liegenden Mike Tyson tanzte.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon und die Realität holte mich wieder ein. Noch, bevor ich mich melden konnte, hörte ich den vorwurfsvollen Ton von Klaus.
„Wo hast du dich den ganzen Tag herumgetrieben? Ich versuche schon seit Stunden dich zu erreichen. Was war nun? Was wollte Birnbaum?“
Ich entschied mich dafür, mich mit Klaus in einem Restaurant zu verabreden, und hoffte bis dahin eine passende Geschichte für ihn parat zu haben.
„20:00 Uhr in dem Restaurant mit den Mammut-Eisbeinen. Ich kann dir dann erzählen, was so los war.“
„OK Du zahlst“, drang es in mein Ohr. Klaus hatte bereits wieder aufgelegt.
‚Was bildet der sich ein? Der lässt sich diese Woche schon zum zweiten Mal einladen. Hält der mich für Krösus? ‘
Ich hinterließ meinen Mitarbeitern eine Liste mit Anweisungen für die nächsten Tage und versprach, ihnen die Schulungsunterlagen zukommen zu lassen. In besonderen Fällen könnten sie sich auch an Klaus wenden. (Wir hatten oft genug die Situation erlebt, dass Mitarbeiter des einen, in der Firma des anderen anriefen und um Hilfe baten, wenn sie ein Problem hatten, und der jeweilige Chef nicht erreichbar war. Und das war auch gut so. Ich glaube jeder von uns braucht seinen Klaus. Im Gegenzug wusste er, dass ich im umgekehrten Fall auch immer bereit war, mein Bestes zu geben.)
Ich selbst hätte ein paar persönliche Dinge zu erledigen, schrieb ich und sie sollten die Zeit ohne den ‚Alten‘ einfach genießen. Ich streute noch ein paar Begriffe wie ‚vollstes Vertrauen‘, ‚Zuverlässigkeit‘ usw. mit ein und verließ das Büro in Richtung Heimat.
Dort eingetroffen führte mich mein erster Weg zum Spiegel neben dem Telefon. (Ich möchte mal wissen, was die alle gegen diesen Anzug haben.) Dann ging es ins Bad, ins Schlafzimmer und nach 20 Minuten fühlte ich mich wie ein neuer Mensch.
Na sagen wir mal wie ein gut gebrauchter.
Wie sagte Schwarzenbeck? Lockere Kleidung. Da ich nur zum Essen gehen wollte, wählte ich eine einfache Stoffhose und ein Sweatshirt.
Immer noch grübelte ich darüber nach, was ich Klaus erzählen sollte. Aber wahrscheinlich gab es nichts, was meine lange Abwesenheit vor ihm zu rechtfertigen in der Lage wäre.
‚Na mal sehen, wie der Abend so läuft.’ Dachte ich mir.
Schließlich bin ich seit Jahren in meinem Bekanntenkreis als kreativer Mensch bekannt. Da sollte es mir möglich sein, eine entsprechende Story zu entwerfen. Außerdem war ich auch immer derjenige, der zu irgendwelchen Anlässen auf Kommando ein kleines Gedicht in den Raum warf, oder die lose Kegeltruppe, in der wir uns einmal monatlich trafen, mit einer selbst gemachten Kegel-Zeitung überraschte.
Eines Tages, so nahm ich mir schon damals vor, werde ich ein Buch schreiben. Aber ob es tatsächlich jemals dazu kommt?
Jetzt war erst einmal ein Abendessen mit Klaus angesetzt und ich hatte einen Bärenhunger. Autoschlüssel gegriffen und ab ins Restaurant.
Klaus war bei meinem Eintreffen, bereits durchs Fenster hindurch zu erkennen, wo er gerade wild mit dem Ober lamentierte.
Ich hatte mir auf der Fahrt dorthin, die lediglich von einem kurzen Stopp am Geldautomaten unterbrochen wurde, eine Geschichte ausgedacht, wonach Birnbaum sich nur erkundigen wollte, ob er sich an dem Abend im Hotel nicht daneben benommen hätte, und wenn dies der Fall gewesen wäre, sich vorsichtshalber dafür entschuldigen wollte.
Ich wusste genau, dass Klaus die Kinnlade herunterklappen würde, wenn ich ihm erzählte, dass ein Mann wie Birnbaum sich bei mir zu entschuldigen gedenke.
Für den Rest des Tages hatte ich mir einen alten Freund ausgedacht, mit dem ich mehrmals telefoniert hätte, um ihn daran zu hindern, eine Dummheit zu begehen. Ich wollte ihm erzählen, dass dieser Freund von seiner Frau verlassen wurde, und ich nun nach Lindau am Bodensee fahren müsste, um mich um ihn zu kümmern. (Da soll noch mal einer sagen ich hätte keine Phantasie!)
Tatsächlich hatte ich Freunde am Bodensee. Es waren Ralf und Elke, die ich damals in Sri Lanka kennengelernt hatte.
Wir hatten zusammen eine Rundreise über die Insel mit all ihren Buddhastatuen überstanden und anschließend noch 10 Tage gemeinsamen Badeurlaub genossen. Zu jeder Malzeit gab es Reis, sodass wir uns damals ausmalten, welches europäische Gericht wir in Deutschland als Erstes genießen würden. Für mich stand die Antwort wie immer fest. Es würde meine selbst gemachten Bratkartoffeln sein.
Wie so oft am Ende eines gemeinsamen Urlaubs tauschten wir damals unsere Heimatadressen aus. Normalerweise landen die kleinen Kärtchen, welche man mit der Adresse des anderen ins Reisegepäck mit nach Hause nimmt, entweder sofort im Papierkorb, oftmals aber erst nach dem ersten Besuch beim Anderen.
Urlaubsbekanntschaften halten selten länger als die ersten Liebesbeziehungen eines Teenagers.
Mit Ralf und Elke lief es tatsächlich mal anders. Wir sind auch heute noch miteinander befreundet und telefonieren regelmäßig.
Allerdings lernte Klaus, diese meine Freunde niemals kennen, sodass ich ihm diese haarsträubende Geschichte auftischen konnte.
Klaus erklärte dem Ober bei meinem Eintreffen gerade, wie man ein Filet Stroganoff zubereite, und verlangte, als dieser sich weigerte, das komplette Rezept als Diktat aufzunehmen, umgehend den Koch zu sprechen.
Der Ober verließ daraufhin wutschnaubend den Tisch und marschierte unter lautem Getöse in die Küche. Ich nutzte diese Pause um Platz zu nehmen und meinen Freund zu begrüßen.
Demonstrativ öffnete ich mein Portemonnaie und fragte Klaus, ob das Restaurant seinen Ansprüchen genüge. Schließlich hätte ich gegebenenfalls noch eine Kreditkarte dabei.
Klaus lachte und erklärte mir, dass es immer dasselbe wäre mit diesen ausländischen Obern. Kaum ein Wort Deutsch sprechen, aber nicht dazu bereit etwas dazuzulernen.
Ich pflichtete ihm bei und wies mit Nachdruck darauf hin, dass ein deutsches Nationalgericht wie Filet Stroganoff selbstverständlich nur von deutschen Köchen zubereitet werden sollte.
Ich rief den Ober zu uns, um mir etwas zu trinken zu bestellen, musste aber mit seinem Kollegen vorlieb nehmen, weil der Erste leider dringend nach Hause musste, um sich um seine Familie zu kümmern.
„Wie viel benötigst du so pro Abend?“ fragte ich Klaus, der schlagartig zu seinem Humor zurückfand und mit einer Gegenfrage konterte.
„Wie viel was? Meinst du Ober, Köche oder Restaurants?“
Wir lachten beide so laut los, dass selbst die Damenrunde am Nebentisch uns mit pikierten Blicken strafte.
„Nun aber zu dir“, begann Klaus diesmal im gemäßigten Ton. „Was war nun los?“ Dabei beugte er sich erwartungsvoll nach vorn, als ob nun ein Erfahrungsbericht folgen würde, so wie ihn Leute nach einem Blind Date bei ihrem besten Freund abliefern.
Ich erzählte ihm meine vorbereitete Geschichte und hatte das Gefühl, dass er mir jedes Wort glaubte.
An der Stelle mit Birnbaums Entschuldigung ging ich in Deckung, um dem Bier auszuweichen, welches Klaus, beim Versuch in diesem Moment etwas zu trinken, quer über den Tisch prustete.
Wir saßen bis ca. 23:30 Uhr zusammen und schwelgten wieder einmal in gemeinsamen Erinnerungen.
Beim Thema, Birnbaum malten wir uns die tollsten Situationen aus. Klaus hätte ihn nur zu gerne mit gesenktem Haupt und einer Entschuldigung auf den Lippen, vor seinem protzigen Schreibtisch gesehen. Ich gab noch eins drauf und sah mich in der Situation ihn zu degradieren, indem ich ihm öffentlich seine Krawattennadel abriss und sie vor der ver-sammelten Mannschaft des Vorstandes auf den Boden warf.
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