Yvonne wollte in dem Moment etwas sagen, als eine kleine Gruppe von Geschäftsleuten, die offensichtlich aus den oberen Etagen kamen, das Parkhaus betrat, um es mit ihren Autos zu verlassen. Das Licht ging aus und sie eilte erneut zum Schalter, um ihn zu betätigen. Als sie wieder bei mir stand, hingen meine Augen förmlich an ihren Lippen.
„Heißt das etwa, Sie wissen nicht was wir hier tun?“
„Nein, ich weiß es wirklich nicht“ erwiderte ich und hätte auf den Knien um eine Antwort flehen können.
„Es tut mir leid,“ sagte sie „aber das darf Ihnen nur einer der Sechs aus dem Konferenzzimmer erklären.“
Hastig drückte ich die inzwischen dritte Zigarette aus und bat sie, mich wieder zu ihnen zu bringen. Also machten wir uns wieder auf den Weg nach unten. (Wo haben die nur diese bemerkenswerten Handys her?)
Kaum dort angekommen, teilte mir Schwarzenbeck mit, dass er sowie auch seine fünf Mitstreiter davon überzeugt war, mit mir eine passende Ergänzung für ihr Projekt gefunden zu haben. Wenn ich also bereit wäre mit ihnen zusammenzuarbeiten, dann würde er sich freuen mich an Bord Willkommen zu heißen.
Selbstverständlich hätte ich noch Gelegenheit, meine persönlichen Vorbereitungen zu treffen, denn ich würde mich für eine unbestimmte Zeit fast ausschließlich in der Anlage aufhalten. Birnbaum fügte noch hinzu, dass er kein Problem darin sah, meine dadurch entstehenden beruflichen Einschränkungen für die Außenwelt darzustellen. Schließlich wäre es mehr als ein glücklicher Zufall, dass ich im weitesten Sinne für den Konzern arbeitete, in dem er eine bescheidene Rolle spiele.
Bei der Umschreibung ‚bescheidene Rolle‘ mussten unweigerlich alle schmunzeln. Und auch ich konnte mich dem nicht entziehen.
Ich hatte zwar immer noch keine Ahnung, was hier genau gespielt wurde, aber der Gedanke an die von Schwarzenbeck beschriebene Bibliothek alleine reichte aus, um die Waagschale meiner Entscheidung ein Stück in Richtung ‚Pro‘ zu beschweren.
Trotzdem setzte ich mein kühlstes Pokerface auf und fragte tollkühn. „Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen? Wissen Sie, welche Einbußen ich habe, wenn ich mich selbst für unbestimmte Zeit beurlaube? Gut meine Mitarbeiter haben in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen, dass sie in der Lage sind, den Laden über eine kurze Zeit hinweg alleine zu schmeißen. Aber auf unbestimmte Zeit?“
Schwarzenbeck stand nun vor der Aufgabe, mich zu beruhigen, was er auch ganz gut hinbekam.
„Sie können mir glauben, dass wir diese Überlegungen kennen und nicht die geringsten Schwierigkeiten haben, alles passend zu regeln. Und über Ihre eigene finanzielle Lage müssen Sie sich am wenigsten Gedanken machen. Hier haben Sie die einmalige Möglichkeit, Ihren persönlichsten Interessen nachzugehen. Und nebenbei würden sie für ihre Mitarbeit noch entlohnt werden, als ob sie gegen Mike Tyson im Ring stünden.“
Nun, dasselbe Honorar wie ein Tyson-Gegner zu erhalten, ohne dafür zu Brei geschlagen zu werden, war bestimmt eine verlockende Herausforderung.
Aber mal ehrlich, hätte ich in diesem Moment wirklich Nein sagen können, ohne mir gleichzeitig eine Mütze mit der Aufschrift
‚D O O F‘ über den Kopf zu ziehen?
Dieses Angebot konnte ich wirklich nicht ausschlagen. Birnbaum hatte mir bereits vor Stunden klargemacht, dass ich mich nur einmal entscheiden könne. Ich hatte also keine andere Wahl.
Ich hätte niemals hinausgehen und vergessen können was ich gesehen habe. Ich wäre ewig der Frage hinterhergelaufen, was ich da unten verpasst hätte.
Ich hörte Birnbaum bereits fragen, ‚Von welchem Keller sprechen Sie? Ich weiß nicht, was Sie meinen.‘ Das hatte er versucht mir klarzumachen, während ich im Mövenpick meine Überraschung mit einem Cognac runterspülte.
Also willigte ich ein.
„Schön“ erwiderte Schwarzenbeck „Sie werden feststellen, dass es die richtige Entscheidung war. Ich schlage vor, dass wir uns morgen früh um 9.00 Uhr wiedersehen. Dann werden wir auch die Gelegenheit haben, Ihnen die komplette Einrichtung zu zeigen.“
Er wandte sich zu Birnbaum und fragte „Reinhard würdest du unseren Gast bitte wieder zu seinem Auto bringen?“
Birnbaum schaute auf die Uhr. „Ja, ich glaube es wird langsam Zeit für uns.“
Auch mein Blick ging in Richtung meines Handgelenks, und ich stellte fest, dass es inzwischen 16.30 Uhr war. Gleichzeitig mit meinem Magen fiel mir ein, dass ich seit heute früh noch nichts gegessen hatte.
Wir waren bereits an der Tür, als sich Schwarzenbeck noch einmal an mich wandte. „Ich brauche sicherlich nicht zu erwähnen, dass alles was Sie heute gesehen und erlebt haben, dieses Gebäude nie verlassen darf.“
‚Der muss mich wirklich für blöd halten‘ dachte ich bei mir, wie er mich fast schon mitleidig aufforderte.
„Und bitte lassen sie morgen diesen scheußlichen Anzug weg. Wir bevorzugen hier alle etwas Lockeres.“
„Ich weiß was Sie meinen“, erwiderte ich und musterte Birnbaum in seinem Managerzwirn demonstrativ. Diesmal hatte ich die Lacher auf meiner Seite. Also, es ging doch 1:1.
Auf dem Weg zu meinem Auto, welches ich an diesem Morgen in einer Tiefgarage am Kurfürsten Damm zurückließ, sprachen wir nicht ein einziges Wort.
Ich betrachtete die Fußgänger, die es anscheinend alle eilig hatten nach Hause zu kommen. Wie immer zu dieser Uhrzeit waren die Straßen wieder einmal restlos verstopft, sodass wir nur langsam vorankamen.
Ich genoss in diesem Moment unser Schweigen genauso, wie ich es verabscheute. Ich hatte noch so viele Fragen, aber konnte sie nicht stellen. Noch nicht. Morgen würde ich sie stellen, schwor ich mir. Morgen würde ich mich nicht länger vertrösten lassen.
Unsere Fahrt dauerte volle 30 Minuten. Endlose 30 Minuten. Ich ertappte mich dabei, dass ich bereits zum vierten Mal mein Bargeld überprüfte und hoffte, dass es für die aufgelaufene Parkgebühr reichen würde. (Man sollte diese Parkhaus-Betreiber für ihre Preise alle vor Gericht stellen und der Wegelagerei bezichtigen. Ein paar Jahre als Galeerensklaven würde denen bestimmt guttun.)
Ich hatte Glück. Offensichtlich war wieder einmal die Schranke an der Ausfahrt defekt. Ein Umstand, der mir bereits auffiel, bevor mich Birnbaum ein paar Meter davon entfernt aussteigen ließ und mir mitteilte, dass er mich am nächsten Tag um 8:45 Uhr vor den Arkaden treffen wollte.
Ich stieg in mein Auto und stellte fest, dass die Schranke immer noch senkrecht stand. ‚Nun, heute sind diese Wegelagerer noch einmal ungeschoren davon gekommen‘, dachte ich so bei mir und verließ die Garagen mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen.
Ich fuhr direkt in meine Firma, in der Hoffnung noch jemanden anzutreffen. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es bereits kurz nach 18:00 Uhr war, sollte sich dieser Wunsch nicht erfüllen. Ich ging in mein Büro und riss im Vorbeigehen noch ein paar Notizen von der Wand, die für mich neben der Tür platziert worden waren.
Der erste Zettel enthielt eine Auflistung von Arbeitsmaterialien, die dringend benötigt wurden, die zweite Notiz betraf die Schulungsunterlagen der letzten Woche, die ich normalerweise immer sofort meinen Mitarbeitern zur Verfügung stellte, wenn ich frisch geschult (und endlos motiviert) von einem Seminar kam.
Diesmal hatte ich sie mit nach Hause genommen, um sie dort zu studieren. Lieber hätte ich an ihrer Stelle ein spannendes Buch gelesen, aber zurzeit war nichts Interessantes auf dem Markt, und mein vermeintliches Gespräch mit Birnbaum hatte Vorrang.
Als Letztes las ich eine Mitteilung, der ich entnahm, dass Klaus den ganzen Tag über versuchte mich zu erreichen. Ich nahm den Hörer ab und begann seine Nummer zu wählen. Kurz vor der letzten Zahl fiel mir auf, dass ich eigentlich nicht wusste, was ich ihm überhaupt sagen sollte.
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