Philip saß da wie gelähmt. Einerseits war er be geistert, weil Thomas vor so einem großen Erfolg stand, über den sich auch er, Philip, freute. Andererseits war er ent geistert, weil sein Kollege sich in derart große Gefahr begab. Wieso konnte der nicht warten, bis dieser Smith ihm die letzte fehlende Information auch noch zuspielte? Und wenn Thomas diesen Schlag gegen das organisierte Verbrechen unter Dach und Fach gebracht hatte, konnte er doch immer noch die Versöhnungsaktion starten.
Allerdings teilte Philip die Meinung seines Kollegen, dass das mit der Versöhnung nicht funktionieren würde. Zum einen konnte sich nur schwerlich jemand vorstellen, dass Thomas sich wirklich mit seinem Bruder Jeremiah versöhnen wollte. Er hasste und verachtete diesen doch so sehr, dass er ihn schon vor Jahren aus den Staaten vertrieben hatte. Wenn er gekonnt hätte, hätte er ihn am liebsten in den Knast gesteckt, aber “unglücklicherweise” hatte der kleine Bruder nichts Ungesetzliches getan. Ein netter Bursche war dieser Jeremiah McNamara. Vor allem war er aber nicht so verkniffen wie sein älterer Bruder. Er hatte eine völlig andere Lebensphilosophie, und er wollte mit dem christlichen Glauben nichts mehr zu tun haben, weshalb er sich auch selbst als bekennenden Heiden bezeichnete. Das hatte Thomas ja auf die Palme getrieben, wo jeder in der Familie McNamara gefälligst überzeugter Christ zu sein hatte. Natürlich hielt sich Thomas für einen vorbildlichen Christen, ging er doch regelmäßig zur Kirche und gehörte dem Vorstand dort an. Das war für seine Mitmenschen allerdings kein Argument dafür, wirklich Christ zu sein. Denn bei Thomas’ Verhalten konnte man durchaus anzweifeln, dass er überhaupt Christ war. Interessant wäre sicherlich auch Gottes Meinung zu diesem Thema gewesen.
Obwohl Philip damit rechnete, dass sein Einwand jetzt nicht gerade auf Gegenliebe bei seinem Kollegen stoßen würde, wagte er sich doch vor.
“Thomas, ich schätze Sie sehr. Sie sind ein genialer Jurist, wir hatten nie einen fähigeren Richter hier in New York. Ihre Urteile waren absolut gerecht. Aber ich darf Sie auch freundlichst darauf hinweisen, dass Sie und ich Richter sind und keine Staatsanwälte. Deshalb gehört das, was Sie da vorhaben, gar nicht in unseren Kompetenzbereich...”
“Entschuldigung”, unterbrach ihn Thomas aufgebracht, “das ist mir auch klar. Und ich bin bestimmt nicht so dämlich, dass ich das Verfahren gegen die Drogenbosse anstrengen werde. Wenn ich aus Venezuela zurück bin, werden wir uns einen Staatsanwalt suchen, dem wir vertrauen können, damit der das Material einsetzt, um dieses ganze Verbrecherpack zur Strecke zu bringen. Und glauben Sie mir, Philip, ich werde bei all diesen Lumpen die Höchststrafe verhängen. Es ist schon ein absoluter Jammer, dass wir hier in New York die Todesstrafe nicht mehr vollstrecken, obwohl wir es dürften. Aber lebenslang in einem Gefängnis zu verrotten, wenn man zuvor im Prinzip der mächtigste Mann des Landes war, das kommt dem Tod fast gleich.”
Ich glaube, Sally hat hellseherische Fähigkeiten, dachte Philip entsetzt, okay, ich starte jetzt noch einen letzten Versuch, ihn von dieser Wahnsinnsaktion abzubringen. Und wenn er dann nicht einlenkt, lasse ich es bleiben. Er ist dann eh keinem guten Argument mehr zugänglich. Und außerdem würde ich ihm glatt zutrauen, dass er noch denkt, ich sei ein Spion, der eigentlich zur gegnerischen Seite gehört.
“Okay, das kann ich nachvollziehen”, befand Philip, “aber bei einer Sache ist es mir gar nicht wohl. Thomas, warum wollen ausgerechnet Sie diesen Grundbuchauszug besorgen? Smith hat doch so gute Arbeit geleistet. Vertrauen Sie ihm nicht mehr? Ich habe eher Sorge, dass etwas schiefgeht, wenn Sie nach Venezuela fahren, und das auch noch so plötzlich. Heute ist der 10. Juli, und am Donnerstag haben wir den 13. Juli...”
Weiter kam er nicht, weil Thomas ihn unterbrach.
“Sie sind doch nicht etwa abergläubisch, Philip?!”, knurrte der Jurist verärgert.
“Wieso abergläubisch?!”, erwiderte Philip irritiert.
“Weil Sie den 13. Juli so explizit erwähnen”, gab Thomas zurück.
“Ich habe halt nur erwähnt, dass Sie derart plötzlich nach Venezuela reisen wollen. Es hat nichts mit dem Dreizehnten zu tun. Ich halte das wirklich für einen dummen Aberglauben mit der Dreizehn, die Pech bringen soll.”
“Da bin ich aber beruhigt”, befand Thomas immer noch ziemlich aufgebracht, “und ich werde Ihnen zudem noch beweisen, dass die Dreizehn kein Pech bringt.”
Aber dann schoss der Richter plötzlich mit dem Oberkörper vor, stemmte die Fäuste an der vorderen Schreibtischkante auf, kniff die Augen zusammen und fauchte: “Ich werde sie alle kriegen, Philip! Alle! Kein Einziger von diesen Schweinehunden wird mir entrinnen! Ich mach’ sie fertig! Die haben lange genug gedacht, dass ich nichts gegen sie machen kann. Ausgelacht haben sie mich. Aber das ist jetzt vorbei. Wer zuletzt lacht, lacht am Besten. Wie ich schon sagte, Philip: Ich werde sie alle einzeln an die Wand nageln und verrotten lassen! Und ich werde ein Messingschild daneben anbringen lassen: Erlegt von Dr. Thomas McNamara. Das wird der schönste Tag in meinem Leben! Und dieser Tag ist nicht mehr fern! Das wird mein größter Triumph, Philip, und Sie werden daran teilhaben!”
Philip war seinerseits ein bisschen zurückgewichen, als sein Kollege auf ihn wie ein Tiger mit gefletschten Zähnen zugeschossen kam. Etwas erschreckt murmelte er: “Ja, natürlich, das wird es wohl, Thomas...”
“Ich dachte mir, dass Sie davon etwas benommen sein würden, Philip, aber das macht nichts. Sowas erlebt man nicht alle Tage”, ließ sich der Richter vernehmen.
“Gewiss nicht”, erwiderte Philip und verdrehte innerlich die Augen.
Der glaubt das wirklich, was er da sagt, dachte Philip, der hält sich für unverwundbar.
Thomas hatte sich inzwischen wieder etwas beruhigt und ließ sich zufrieden in seinen Sessel fallen. Er lächelte verschmitzt und hatte ein Bein lässig über das andere geschlagen.
“Ich sehe, Sie sind immer noch baff, Philip!”, bemerkte er mit sichtlicher Genugtuung, “na ja, ich kann verstehen, dass Sie das erst mal verkraften müssen. Schlafen Sie einfach eine Nacht darüber, und morgen bereden wir die Details.”
Sprach’s und machte eine Handbewegung wie “und nun hebe dich hinweg, mein Knappe”.
Philip stand auch gehorsam auf und wandte sich zum Gehen.
“Okay, dann bis morgen, Thomas. Obwohl, halt, wir gehen doch zu dem Empfang beim Bürgermeister?!”
“Ja, sicher. Wir treffen uns um 16.00 Uhr bei mir und gehen gemeinsam hin. Ach ja, und, Philip, kein Sterbenswort zu irgendjemandem. Auch nicht zu den Sekretärinnen. Weder zu Ihrer noch zu meinen. Je weniger Leute davon wissen, desto weniger können sich verplappern und von unseren Gegnern ausgefragt werden. Sie wissen schon, was ich meine?!”
“Gewiss!”, antwortete Philip ergeben und verließ das Büro.
Er schlich wie betäubt durch das Vorzimmer von Thomas’ Büro und murmelte nur leise vor sich hin: “Er hat den Verstand verloren. Sally hatte Recht! Er hat tatsächlich den Verstand verloren!”
Er verließ das Vorzimmer, ohne die beiden verblüfft dreinschauenden Sekretärinnen noch eines Blickes zu würdigen, was ganz untypisch für ihn war. Denn normalerweise hatte er immer noch ein paar freundliche Worte für sie parat oder einen Scherz.
Alldieweil rief Thomas seine Tante Laetitia an. Die hatte nämlich noch Kontakt zu ihrem anderen Neffen und somit auch dessen Adresse. Schließlich musste er ja wissen, wie er Jeremiah erreichen konnte, und außerdem wäre es sehr peinlich für ihn geworden, wenn er noch nicht einmal hätte sagen können, in welchem Ort der jüngere Bruder wohnte.
Laetitia war extrem erstaunt, als Thomas nun von ihr diese Information haben wollte.
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