“Dem kann ich nur beipflichten”, fügte Maggie an.
Sally freute sich zwar über das Kompliment, aber gleichzeitig war sie auch frustriert.
“Allerdings wäre es mir lieber, er würde als Oberster Bundesrichter nicht Justice Dr. Thomas McNamara heißen, sondern Righteousness Dr. Thomas McNamara”, bemerkte sie seufzend.
“Und wo ist da der Unterschied?”, wollte Maggie wissen.
“Auch wenn beide Begriffe ja Gerechtigkeit bedeuten”, erklärte Sally, “so klingt Righteousness mehr nach Richtigkeit bzw. etwas richtig machen, während sich Justice mehr wie die personifizierte Justiz anhört, sprich, jemand hat das Recht für sich gepachtet oder sollte man besser sagen, unser Dr. Gnadenlos hat das Patent auf das Recht?”
Philip und Maggie waren verblüfft ob Sallys Schlussfolgerungen.
“Und obendrein gehört es dann zu seinen Aufgaben, den Präsidenten zu überwachen”, fügte Sally noch an, “und im Überwachen ist unser Kotzbrocken ja ein As. Der arme Präsident. Kaum ist der Kalte Krieg beendet, bekommt er von Dr. Gnadenlos die Hölle heiß gemacht. Hoffentlich läuft es nicht darauf hinaus, dass Dr. McNamara einen Staatsstreich durchführt, weil er seinen Willen nicht gekriegt hat.”
“Ich glaube, das müssen wir nicht befürchten”, wiegelte Philip grinsend ab, “denn dass alles auf sein Kommando hört, das funktioniert nur hier und nicht bei der Armee. Die werden ihm was husten.”
“Danke, Philip, das macht uns jetzt echt Mut”, befand Sally erleichtert.
Just in diesem Moment wurde die Tür zum Flur geöffnet, und Thomas kam von seinem Termin zurück. Er begrüßte Philip kurz, nahm ihn mit in sein Büro und schloss die Tür. Normalerweise hätte der eine Kollege dem anderen einen Kaffee oder zumindest ein Wasser angeboten, aber Kaffee kam bei Thomas eh nicht in Frage, weil er Kaffee hasste und es auch als unpassend empfand, wenn jemand in seiner Gegenwart Kaffee trank mit Ausnahme seiner Ehefrau. Bei der Schreibtischarbeit duldete er ferner überhaupt kein Getränk, weil man das ja irrtümlich hätte umstoßen können und dabei die Unterlagen verschmutzt worden wären.
Das mit den Getränken war überhaupt ein spezielles Thema bei Thomas. Er trank so gut wie nie Alkohol, nur wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ, war er bereit, ein Glas mitzutrinken. Ganz besonders hasste er hochprozentige alkoholische Getränke, und von Rum wurde ihm so schlecht, dass er sich davon übergeben musste. Vielleicht rührte seine Abneigung gegen Alkohol auch daher, dass die Bezeichnung “Rum” in Amerika nicht nur für diese spezielle Spirituose, sondern auch für alkoholische Getränke im Allgemeinen stand. Na ja, und von Rum wurde ihm ja schlecht. Kaffee war ebenfalls ein Getränk auf seiner roten Liste. Bisher hatte niemand herausbekommen, warum er Kaffee derart verabscheute, aber seine Abneigung gegen dieses Getränk war fast schon krankhaft. So sehr er Kaffee hasste, so sehr liebte er Tee, und zwar schwarzen Tee. In Ausnahmefällen trank er auch Kräutertee, zum Beispiel, wenn er krank war. Aber grundsätzlich trank er schwarzen Tee ohne Milch und ohne Zucker.
Thomas bot Philip jetzt also Platz an und setzte sich in seinen ledernen Chefsessel ihm gegenüber. Weil der Richter seinen Kollegen für einige Zeit wortlos ansah, wurde es dem langsam mulmig zumute, weil er nicht wusste, wie er das Verhalten des launischen Juristen deuten sollte. Aber was der dann vorbrachte, war für Philip der größte Triumph und fürchterlichste Schock zugleich.
“Philip”, begann Thomas, und seine Augen funkelten gefährlich, “heute ist ein historischer Tag. Das wird eine Sternstunde in der Bekämpfung des international organisierten Verbrechens und dort ganz speziell bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität. Philip, ich habe heute ganz unscheinbar per Post von einem Informanten aus Washington Dokumente bekommen, mit denen ich die ganze Organisation von Drogenbaronen vernichten kann. Sie kennen ja meine beiden ‘Lieblingsfeinde’, Miguel Ramírez und Samuel J. Barclay, diese miesen kleinen Ratten. Gegen Ramírez habe ich so eindeutige Beweise in der Hand, dass ich ihn mir zur Brust nehmen und aus ihm herausquetschen kann, wer dieser Barclay ist. Damit erkläre ich diesen Halunken den Krieg. Sie haben lange genug ihre schmutzigen Geschäfte betrieben. Aber jetzt ist Schluss damit! Das ist meine Stunde, die Stunde des Dr. Thomas McNamara! Ich werde sie einzeln an die Wand nageln und sie im Museum ausstellen lassen, als ausgestorbene Art sozusagen, wenn ich mit ihnen fertig bin. Ausgerottet von Dr. Thomas McNamara! Er erlegte den letzten ihrer Art. Dann kann ich Ihnen als meinem Nachfolger eine saubere Stadt New York übergeben und mich höheren Aufgaben am Obersten Bundesgericht widmen!”
Philip war wie erschlagen, als er seinen Kollegen so reden hörte. Er schüttelte den Kopf und hauchte fast tonlos: “Wie?”
“Wie?!”, wiederholte Thomas und grinste dieses beinahe unnachahmliche Lächeln, zu dem nur sein Doppelgänger in der Lage war, “wie ich das angestellt habe, meinen Sie?! Nun, vor gut achtzehn Monaten setzte sich ein Mann namens Smith mit mir in Verbindung. Er wählte diesen weit verbreiteten Namen, weil er anonym bleiben wollte und erzählte mir, er habe Anhaltspunkte, wie die Drogenmafia ihr Geld waschen würde. Gegenwärtig könnte er noch nichts Konkretes sagen, aber er würde Nachforschungen anstellen. Dazu bräuchte er allerdings absolute Diskretion und sah in mir den idealen Partner, so eine Aktion durchzuziehen. Und er wollte sich mit mir immer nur von öffentlichen Telefonen aus in Verbindung setzen. Ferner rief er stets aus verschiedenen Städten an der Ostküste an. Seine Post versandte er über ein Postfach, das er unter diesem Decknamen angemietet hatte. Damit auch in meiner Umgebung niemand Verdacht schöpfen oder Kenntnis von der Aktion erlangen konnte, bat er mich, ebenfalls ein Postfach anzumieten, und zwar unter meinem richtigen Namen. Er würde sich dann als eine Art Literaturversand für Juristen ausgeben, so dass man denken würde, Dr. McNamara hätte einen kleinen feinen Fachzirkel aufgetan. Auf diese Weise würden weder die Sekretärinnen noch andere Kollegen und Mitarbeiter noch die Familie etwas von diesen Aktivitäten erfahren. Und ich durfte ihn auf keinen Fall von mir aus kontaktieren, weder telefonisch noch schriftlich, damit niemand in seiner Umgebung erführe, dass er mit mir in Kontakt stehen würde. Das stellte allerdings auch kein Problem für mich dar, weil er in relativ regelmäßigen Abständen anrief, so dass wir uns beraten konnten. Tendenziell kontaktierte er mich auf meinem Mobiltelefon nach Dienstschluss im Büro, wenn die Sekretärinnen schon gegangen waren. Meistens machten wir eine Zeit aus, wann er mich wieder anrufen würde, so dass ich mich darauf einstellen konnte. Und nun sind wir kurz davor, den Sack zuzubinden. Smith hat mir noch die restlichen Informationen zugesandt, die ich brauche, um die Kerle zu schnappen und vor Gericht zu bringen.”
“Allerdings”, Thomas machte eine Pause, “fehlt noch ein einziges Detail. Smith sagte, er würde auf die Info noch warten. Es handelt sich dabei um einen Grundbuchauszug einer Immobilie in Venezuela. Über dieses Land wickeln die Schweine von Drogenbossen ihre Geldwäsche ab bzw. es ist nur ein Glied in der Kette der schmutzigen Geschäfte. Das Prinzip ist ganz einfach. Man kauft Immobilien und verkauft sie wieder und so weiter und so weiter. Nachher blickt niemand mehr durch, wer wann wo einen Kredit aufgenommen und wieder abbezahlt hat. Und wahrscheinlich will auch niemand den Durchblick haben, weil genügend Leute geschmiert oder bedroht wurden. Auf jeden Fall verkaufen diese südamerikanischen Lumpen uns nicht mehr für dumm. Und das Schönste ist, dass sie keine Ahnung haben, dass über ihren Köpfen schon das Damoklesschwert schwebt. Bisher konnten sie ihre schmutzigen Geschäfte abwickeln, und wir waren nicht in der Lage, etwas dagegen zu machen. Wenn wir mal Anhaltspunkte hatten, dann verflüchtigten sich Beweise, Zeugen und Ermittler schneller, als Schnee in der Sonne schmilzt. Aber diesmal ist das nicht so, denn jetzt kommt mein Geniestreich. Weil ich weiß, was für einen Grundbuchauszug ich brauche, werde ich selbst nach Venezuela fliegen und ihn mir besorgen. Und wissen Sie, wie ich das tarnen werde? Ich werde behaupten, dass ich meinen Bruder, mit dem ich mich vor Jahren zerstritten habe, besuchen und mich mit ihm versöhnen will. Damit kann ich bei der Bewerbung für das Bundesrichteramt noch zusätzliche Pluspunkte sammeln, und zwar egal wie es ausgeht. Denn selbst wenn das mit der Versöhnung nicht gelingt, wovon ich mal ausgehe, kann ich immer sagen, dass mein Bruder es nicht wollte. Dann soll mir noch jemand nachsagen, ich wäre nicht bereit, Streitigkeiten aus dem Weg zu räumen. Okay, soweit zu meinem Part bei der Aktion. Sollte mir aber irgendwas zustoßen, brauche ich jemanden, der eingeweiht ist und die Sache zu Ende bringen kann. Bisher wissen nämlich nur dieser Smith und ich von der Sache. Deshalb werde ich Sie morgen über Tag gründlich in dieses Material einarbeiten, damit Sie komplett im Bilde sind. Ich fliege dann am Mittwoch nach Venezuela, besorge mir am Donnerstag die Unterlagen und bin spätestens am Sonntag wieder zurück. Und am Montag werden wir unseren Überraschungsangriff starten. Ich freue mich jetzt schon auf die völlig ungläubigen Gesichter dieser Schurken, das können Sie mir glauben!”
Читать дальше