Nach einem kleinen Snack zur Mittagszeit ging Thomas auf sein Zimmer, um kurz bei Philip anzurufen und ihn zu fragen, ob der schon den vollen Namen und die Telefonnummer von diesem Peter herausfinden konnte. Ferner wollte er Philip erzählen, dass alles wunderbar geklappt hatte und dass er Peter ausrichten sollte, wie sehr er sich freute, doch noch die Einladung auf die Yacht annehmen zu können.
Gerade als Thomas Philip anrufen wollte, klingelte das Telefon. Der Richter war einigermaßen überrascht, aber er beschloss, mal lieber abzunehmen. Der Immobilienmakler war am Apparat und meinte, er wolle Thomas noch etwas zukommen lassen, was er eben vergessen habe. Er würde jetzt sofort einen Boten losschicken, der in zwanzig Minuten bei Thomas im Hotel sein würde.
Der Richter meinte, er würde auf seinem Zimmer warten.
Weil gleich der Bote vorbeikommen würde, beschloss Thomas, sich eben umzuziehen für den Besuch bei Jeremiah. Er wollte nicht mit Schlips und Kragen dort auftauchen wie eben in dem Immobilienbüro. Außerdem konnte er besser Philip dann anrufen, wenn er die fehlenden Unterlagen bekommen hatte. Also zog er sich legere Kleidung an. Anschließend legte er sein Jeanshemd, das er statt einer Jacke mitnehmen wollte, neben sich auf das Bett. Die Autoschlüssel seines Mietwagens steckte er ein, ferner sein Portemonnaie mit etwas Geld, seinen Führerschein und die Kreditkarte. Seinen Reisepass aber ließ er lieber im Zimmersafe liegen, da war er sicherer. Schließlich brauchte er ihn ja erst morgen.
Kaum dass er fertig war, klingelte schon wieder das Telefon. Thomas war irritiert, weil er keine weiteren Anrufe erwartete, aber vielleicht war es etwas Wichtiges.
“Hallo, mein Schatz, hier ist Martha. Störe ich dich?!”
“Nein”, log Thomas und bemühte sich, einigermaßen freundlich zu klingen. Martha wollte nur mal hören, wie es ihm ginge und redete wie ein Wasserfall. Die Minuten verstrichen, und Martha erzählte und erzählte und erzählte. Thomas fragte sich, ob sie die Familie McNamara mit diesem Telefonat finanziell ruinieren oder ob sie die heimische Telefongesellschaft sanieren wollte. Schließlich beschloss er, sie abzuwürgen.
“Du Schatz”, unterbrach Thomas sie, “ich wollte gleich bei Jeremiah vorbeischauen. Habe mit ihm einen Termin gemacht und möchte nicht zu spät kommen.”
“Oh, das ist wunderbar”, freute sich Martha, “wie war er denn? Hat er sich gefreut oder war er abweisend?”
“Er war recht zugänglich”, log Thomas, denn er hatte Jeremiah ja gar nicht kontaktiert, “ich hoffe, dass alles glatt geht.”
“Das ist schön”, erwiderte sie, “ich wünsch dir alles Gute, und ich bete dafür, dass ihr euch versöhnen könnt.”
“Ja, danke, ich kann’s gebrauchen”, murmelte Thomas ziemlich genervt.
Das machte Martha dann doch misstrauisch.
“Thomas, es ist doch alles in Ordnung oder?”
“Ja, ja natürlich”, bestätigte der und gab sich sehr locker, “du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Und schließlich betest du doch für Erfolg bei der Aktion. Dann muss es ja wohl klappen.”
Thomas hatte eben aufgelegt, als es auch schon an seiner Zimmertür summte. Er lugte kurz durch den Spion und sah einen Mann, der einen Umschlag in der Hand hielt.
Das wird der Bote sein, dachte er und öffnete.
Der Mann reichte ihm den Umschlag herein und verschwand wieder. Thomas ließ sich genüsslich auf sein Bett fallen, öffnete gespannt den Brief und zog ein Blatt Papier mit einem handschriftlich verfassten Text heraus. Als er die Nachricht las, blieb ihm fast das Herz stehen. Er rieb sich die Augen, als könne er es nicht glauben, was er da sah.
Allerdings schreckte er Sekunden später davon hoch, dass sich offenbar jemand an der Tür zu schaffen machte. Kaum dass er seinen Blick auf die Tür gerichtet hatte, wurde diese aufgestoßen, und herein stürmten zwei Polizisten, die ihre Revolver im Anschlag hatten und auf ihn richteten. Thomas hob instinktiv die Hände.
“Hola, Doctor McNamara”, meinte der eine, “das ist aber schön, dass wir Sie hier noch antreffen. Wir hatten nämlich schon befürchtet, dass Sie sich bereits aus dem Staub gemacht hätten, wie Sie das auch sonst immer tun, sobald Sie einen Deal unter Dach und Fach gebracht haben.”
Thomas hätte diesem Kerl am liebsten eine Standpauke gehalten und ihn angeschnauzt, wie er sich so eine Frechheit erlauben könnte, aber die Lage war wirklich ziemlich prekär für ihn. Also sagte er besser mal nichts und wartete ab. Der Kollege des Redners hatte inzwischen den Brief an sich genommen und präsentierte ihm diesen, indem er ihm das Blatt unter die Nase hielt.
“Sieh mal, was für ein nettes kleines Liebesbriefchen das hier ist”, fand er.
Der sah sich nun auch die Zeilen an. Für einen Augenblick war er dadurch abgelenkt. Thomas realisierte das sofort und nutzte die einzige Chance, die sich ihm bot. Blitzschnell packte er mit der einen Hand sein Jeanshemd und mit der anderen das Kopfkissen von der freien Seite des Doppelbettes. Dieses schleuderte er den beiden Polizisten an den Kopf, so dass die etwas benommen zurückwankten. Dann flüchtete er aus dem Zimmer und stürzte die Treppen hinunter.
Die zwei Männer nahmen zwar recht schnell die Verfolgung auf, aber in diesem großen Hotel war es relativ schwierig, jemanden zu stellen, weil es so viele Treppenaufgänge und Aufzüge gab. Das war Thomas’ Glück, weil er auf diese Weise noch vor seinen Verfolgern den Haupteingang des Hotels erreichte und schnell ins Auto springen konnte. Die beiden Polizisten sahen nur noch, wie er gerade mit quietschenden Reifen den Parkplatz verließ.
“Mierda”, schimpfte der eine, “jetzt ist er uns doch durch die Lappen gegangen.”
“Ach, weißt du, Antonio”, tröstete ihn der andere, “der kommt nicht weit. Vielleicht ist es sogar gut, dass er abhauen konnte. Das macht unsere Version umso glaubwürdiger. Bedenke, wir haben den ‘Liebesbrief’ mit seinen Fingerabdrücken drauf, und vor allen Dingen mit denen von unserem sehr wertgeschätzten Señor Miguel Ramírez. Natürlich sind auch unsere drauf, aber das tut nichts zur Sache. Niemand bei der hiesigen Polizei weiß, dass wir für einen kolumbianischen Plantagenbesitzer arbeiten, der mit seinen landwirtschaftlichen Produkten sehr viel Geld verdient. Wie clever von Miguel, dass er überall seine Informanten hat.”
“Da hast du auch wieder Recht, Ernesto”, pflichtete Antonio ihm bei, “aber wir sollten schnell unsere nichts ahnenden Kollegen anrufen und ihnen stecken, dass der Herr Richter auf der Flucht ist, weil wir ein sehr brisantes Dokument bei ihm gefunden haben.”
Daraufhin benachrichtigte Ernesto seine Kollegen bei der Polizei. Die leitete sofort eine Ringfahndung ein. Das war ja ein Ding. Der ehrenwerte Richter aus New York war das fehlende Glied in der Beweiskette. Er führte ein Doppelleben, arbeitete offiziell für die Gerichtsbarkeit, und inoffiziell machte er mit den Drogenbaronen aus Kolumbien Geschäfte. Was hätte auch sonst dafür der Grund sein können, dass ein Staatsbeamter wie Thomas McNamara sich derart für Immobilien in Venezuela interessierte und vielleicht sogar noch weiterempfehlen wollte? Denn obwohl er als Richter nicht gerade schlecht verdiente, so waren diese Immobilien eigentlich für ihn preislich eine Nummer zu groß. Das hatte den Makler, der natürlich im Auftrag der Mafia handelte, stutzig gemacht.
Und die Mafia reagierte sehr schnell. Zufällig war nämlich Miguel Ramírez, der wahrscheinlich ungekrönte König im Drogengeschäft, zurzeit gerade in Cumaná, was Thomas allerdings nicht wusste. Deshalb hatte er Thomas auch diesen “Liebesbrief” schreiben können mit folgendem Inhalt:
Lieber Thomas!
Ich freue mich außerordentlich, dass wir uns endlich mal persönlich kennenlernen können. Leider war ein Treffen ja aufgrund der Tatsache, dass wir vorsichtig sein wollten, bisher nicht möglich. Wie schön, dass du unter dem Vorwand, eine persönliche Angelegenheit regeln zu müssen, vor Ort sein kannst. Wir werden natürlich über weitere Investitionen in Immobilien reden, aber ich denke, wir sollten uns auch einfach mal einen netten Abend zusammen machen. Komm doch heute Abend in das kleine Restaurant, das dem Immobilienbüro gegenüber liegt. Dort erwartet dich ein Taxifahrer, der angewiesen ist, dich in meine bescheidene Villa in der Nähe des Strandes zu bringen. Ich freue mich auf dich. Herzlichst... Dein Miguel.
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