1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Auf gute Musik verzichtete ich auch nicht. Da ich gern mit alten Radios experimentierte, hatte ich mir auch einen alten Volksempfänger (Geobbelsschnauze) flott gemacht. "Radio Luxemburg" war damit nicht zu empfangen, da dieser Sender über Kurzwelle im 41 oder 49 Megaband ausgestrahlt wurde und die G.-Schnauze nur in der Lage war, Mittelwelle zu empfangen. Dafür konnte ich den "Freiheitssender 904" und den "Soldatensender 935" störungsfrei empfangen. Beide Sender waren für Menschen in der BRD gedacht. Ein offenes Geheimnis war es, dass die Programme von Spezialisten der DDR gemacht und aus Burg, bei Magdeburg, in die BRD gesendet wurden. Für mich war der Empfang wichtig, weil über diese Sender immer die aktuellsten Lieder der Hit-Paraden gespielt wurden und man mitreden konnte, wenn die "Luxemburg-Hörer" diskutierten. Interessant waren auch die Probleme, mit denen sich die "Westdeutschen" herumschlagen mussten. Hier wurden sie ungeschminkt dargestellt und Lösungswege aufgezeigt. Der Freiheitssender lief seit 1956 und war eine der Antworten auf das Verbot der KPD in Westdeutschland. Die Sendungen erfolgten stundenweise (etwa zwei Stunden täglich) und begannen nach minutenlanger Kennung (hier ist der deutsche "Freiheitssender 904") mit der Eröffnungsmelodie "Freude schöner Götterfunken". Manches Mal wurden die Sendungen durch konspirative Meldungen unterbrochen (z.B.: Hase ruft Igel, der Fuchs hat die Tasche vergessen). Seit 1960 liefen die Sendungen des Soldatensenders etwas mehr als zwei Stunden täglich. Eine kurze Sendung am frühen Abend und eine in der Nacht jeweils eingeleitet mit mehreren Paukenschlägen und der Nennung des Sendernamens. Auch hier war die aktuelle Musik der Hitparaden zu empfangen. Dieser Sender hatte sicher gute “Westkontakte“, denn er sprach die Probleme der Soldaten genau an. Namen, Einheitsbezeichnungen und die Kasernennamen blieben den Hörern nicht verborgen und machten den Wahrheitsgehalt der Sendung perfekt. Sogar Warnungen vor Alarmüberprüfungen gehörten zum Programm. Das muss dem Militärischen Abschirmdienst der BRD auf dem Magen gelegen haben. Mir war es egal. Zuerst interessierte mich nur die Musik, dann die Problematik. Diese Sender waren meine Begleiter, bis ich meinen Dienst in der NVA begann und dann wieder an der Offiziersschule, wo die Programme sehr gut zu empfangen waren. Leider waren beide Programme im Berliner Raum durch den amerikanischen Sender AFN überlagert und für mich unerreichbar. Schade eigentlich, denn die sozialkritischen und Antikriegslieder und die Kennung über Probleme in der Bundeswehr habe ich schon vermisst. So habe ich auch das Ende dieser Sender nicht mitbekommen. Ich glaube, diese haben ihr Wirken zu Beginn der siebziger Jahre, im Ergebnis des Grundlagenvertrages zwischen der DDR und der BRD eingestellt. Heute vermisse ich einen Rundfunksender, der ungeschminkt die Probleme aufzeigt und den arbeitenden und um seine Rechte kämpfenden Menschen Orientierung gibt. Ein Sender tut Not, der sich wohltuend von den dümmlichen, dudelnden und verblödenden Sendungen der aktuellen Funk- und Fernsehsender unterscheidet und nicht nach den Prinzipien eines Propagandisten namens Goebbels handelt, der einst forderte: „Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es dem anspruchlosen Geschmack gefällig und verständlich erscheint.“ Nun schnell zurück in die gewählte Zeitleiste anfangs der sechziger Jahre:
In der SED- und Staatsführung tat sich auch Einiges. W. Ulbricht (seit 1950 Generalsekretär der SED; am 08.04.1971 von dieser Position entfernt) leitete eine wichtige Wende ein. Er war zunehmend bestrebt, Ingenieure, Wissenschaftler, Wirtschaftsfachleute, Spezialisten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Das entwickelte gesellschaftliche System wurde geboren. Die Kybernetik, Informationstheorie und die elektronische Datenverarbeitung spielten eine bedeutende Rolle. Man analysierte die Entwicklung des Landes seit 1945 und stellte fest, dass erfolgreich gearbeitet worden war. Dabei blieben Mängel, insbesondere in der Wirtschaft, nicht verborgen.
In der Sowjetunion hatte sich unter der Führung Chruschtschows (von Januar 1956 bis Oktober 1964 1. Sekretär des ZK der KPdSU) auch so manche Starre gelöst. Kommunistische Theoretiker sehen heute (von mir nicht verstanden) in Chruschtschows Politik die Anfänge des Untergang des sozialistischen Weltsystems. Sowjetische Wirtschaftswissenschaftler, einer besonders, Liebermann, diskutierten Reformen, um die sozialistische Wirtschaft zu vervollkommnen, sie zum Wohle der Menschen, effektiver und gewinnbringender zu gestalten. Obwohl man in der Sowjetunion diese klugen Gedanken nicht aufgriff, entschloss man sich in der Führung der DDR diese, gepaart mit den eigenen Erfahrungen, in Grundsätze für ein neues ökonomisches System (NÖS) der Planung und Leitung der Volkswirtschaft zu fassen. Besonders hervorgetan hatte sich dabei Erich Apel. Dieser Mann, einst Raketenspezialist und enger Mitarbeiter Werner von Brauns in Peenemünde (Raketenversuchsanstalt der Deutschen Wehrmacht), baute von 1945/46 bis 1952 Raketen in der Sowjetunion und war ab 1958 Vorsitzender der Wirtschaftskommission der Partei. Mit Männern, wie G. Mittag, W. Halbritter, Prof. Reinhold, H. Weiz u.a., zu dieser Zeit reformbereiten Mitstreitern, begann er die Ausarbeitung der neuen Wirtschaftsstrategie. Diese wurde auf dem VI. Parteitag der SED, im Januar des Jahres 1963, von W. Ulbricht offiziell bekannt gegeben und in der Wirtschaft der DDR eingeführt. Hatte die Vormachtstellung der Schwerindustrie, bei Minderung des Lebensstandards, wie in der Sowjetunion der 1950er Jahre dem Stand der Entwicklung entsprochen, so benötigte man in der Zeit der Wissenschaftlich-Technischen-Revolution (WTR) ein flexibleres System, nämlich das NÖS. Das bedeutete, dass grundsätzliche Entscheidungen und Planvorgaben zentral getroffen, übriges dezentral entschieden und unter Eigenverantwortung der Betriebe und deren Spezialisten geplant und umgesetzt werden sollte. Dies war insbesondere notwendig, um den erhöhten Konsumtionsbedürfnissen aller Bürger gerecht zu werden, die auch das Lebensniveau in der BRD sahen und ihr Heimatland danach maßen. Da der Gewinn von erstrangiger Bedeutung war, mussten auch flexible Preise her, um einen Druck auf die Selbstkosten zu erzeugen und um sich den Weltmarktkosten zu nähern. Diese realitätsnahen Vorstellungen führten zu Konflikten, die durch die Gegner des NÖS, die teilweise auch an der Spitze der Partei- und Staatsführung zu finden waren, als Munition verwendet wurde. Mit primitiven und listigen Attacken ging man gegen die Männer um Apel vor. Auch G. Mittag wurde vom Macher zum Kritiker, zum Gegner, sicher weil der Segen aus Moskau ausblieb.
Selbst W. Ulbricht, einst begeistert, stimmte in die Kritik ein. Das NÖS blieb unvollendet.
Somit wurde wieder eine reelle Chance vertan, die Ökonomie der DDR stabil und effizient zu gestalten. Wenige Tage vor der 11. Tagung des ZK der SED, das die "kritische" Abrechnung bringen sollte, erschoss sich E. Apel in seinem Dienstzimmer (03.12.1965).
Mit dem NÖS, etwa im Juni/Juli 1963, formulierte die SED-Thesen für eine neue Jugendpolitik. Die Grundthese: Der Jugend Vertrauen und Verantwortung, Spaß und Lebensfreude. Das Jugendkommunique wurde beschlossen und bekannt gemacht.
( Beat-) Gitarrengruppen wurden gegründet und gefördert, die Weltfestspiele der Jugend und Studenten wurde vorbereitet, Jugendclubs gegründet, ein Jugendradio wurde geboren und vieles andere mehr.
Die Veränderungen in der Wirtschaft, der Jugendpolitik, der Kultur und bei der Rechtsordnung führten zu mehr Demokratie, frei nach dem Marxschen Lehrsatz: Mit zunehmenden Sozialismus muss die Rolle des Staates abnehmen. Doch dann kam im Dezember 1965 das 11. Plenum. Als Wirtschaftsplenum gedacht, wurde es zu einer Kulturtagung. Führende Politiker, aber auch Künstler, sprachen über ihr Verständnis zur Kultur und Kunst. In Wirklichkeit bekämpften die Reformgegner all die Personen, die in irgendeiner Art und Weise Reformen erdacht, in Bewegung gebracht oder unterstützt hatten. Man schlug die Mitstreiter und wollte sicherlich W. Ulbricht treffen, der sich geschickt unter die Kritiker mischte und sich somit aus der Schusslinie brachte.
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