Im Hinblick auf die politische Lage in Europa war der Skandal um Redl tatsächlich von Brisanz: Das Säbelrasseln zwischen Österreich-Ungarn und Russland verschärfte sich ja immer mehr, weil beide Mächte ihren Einfluß auf den Balkan ausbauen wollten. Als sich Österreich-Ungarn 1908 Bosnien und die Herzegowina einverleibte, standen alle Zeichen bereits auf Krieg. Die Spionageaffäre belastete daher die ohnehin gespannten Beziehungen von neuem.
In einer geheimen Aktion wurde Alfred Redl auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem Grab ohne Grabstein beigesetzt (Gruppe 79, Reihe 27, Nummer 38); das Grab wurde später von aufgebrachten Bürgern geschändet. Als der Skandal einigermaßen abgeflaut war, stellte man einen Grabstein auf, der jedoch 1944 von den Nationalsozialisten wieder entfernt wurde. Heute ist das Grab offiziell aufgelassen und neu belegt. (11)
Das österreichische Abwehramt stellte bei der abschließenden Bearbeitung lediglich fest, dass Redls Konto bei der Neuen Wiener Sparkasse seit Anfang 1907 auffallend hohe Einlagen verzeichnet hatte: von 1905 bis 1913 waren insgesamt 116700 Kronen eingezahlt worden.
Die militärischen Auswirkungen dieses Spionagefalles waren enorm, denn Redl hatte Österreich durch seinen Verrat der Aufmarschplanung gegen Russland riesigen Schaden zugefügt. Vor allem warf man ihm vor, dass die schweren Rückschläge, welche die Wiener Strategen in den ersten Kriegsmonaten auf den östlichen Kriegsschauplätzen hinnehmen mussten, nur wegen der verratenen Kriegspläne möglich geworden seien. Und nach dem Ende der Monarchie wurde Redl sogar für deren Untergang verantwortlich gemacht.
Der Geheimdienst bemühte sich nach Kräften, die Affäre in der Öffentlichkeit zu verharmlosen, was allerdings nur bedingt gelang. Geschichtswissenschaftler gehen davon aus, dass der Geheimnisverrat Redls zu den verheerenden Niederlagen Österreich-Ungarns während der ersten Monate des Ersten Weltkrieges zumindest beigetragen hat; Andere waren der Ansicht, Redl habe überhaupt keine bedeutende Rolle gespielt, sondern sei lediglich als eine Art Sündenbock für Niederlagen nützlich gewesen. (12)
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(1) Moritz, Verena/Leidinger, Hannes. „Oberst Redl. Der Spionagefall. Der Skandal. Die Fakten.“ Salzburg/Wien 2012.
(2) Vgl. Markus, Georg. „ Der Fall Redl.“ Wien 1984 (S. 33-35).
(3) Moritz, Verena/Leidinger, Hannes. a.a.O. --- Pethö, Albert. „ Agenten für den Doppeladler. Österreich-Ungarns geheimer Dienst im Weltkrieg.“ Graz 1998 (S. 231 ff).
(4) Vgl. Pethö, Albert: „Der Fall Redl“. In: Krieger, Wolfgang (Hrsg.): „ Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart.“ München 2003 (S. 138-150). Der Ulanenleutnant Stefan Horinka soll sein letzter Liebhaber gewesen sein.
(5) Entspricht nach heutigem Wert etwa 35000 Euro.
(6) Janusz Piekalkiewicz: „ Weltgeschichte der Spionage.“ Wien 2002 (S. 258 ff).
(7) Moritz/Leidinger, a.a.O. (S. 110)
(8) Pethö, a.a.O. (S. 229)
(9) Markus, a.a.O. (S. 233) und Pethö, a.a.O. (S. 142). --- Außerdem: Schmieding, Walther (Hrsg). Egon Erwin Kisch. „ Nichts ist erregender als die Wahrheit.“ Reportagen aus vier Jahrzehnten. Köln 1979 (Bd. 2, S. 79).
(10) Moritz/Leidinger, a.a.O. --- Opitz, Manuel. „Alfred Redl. Der Jahrhundertspion
mit Vorliebe für Sexorgien.“ In: „WELT“ – Digital vom 16.4.2013.
(11) Gruber, Clemens M.: „ Berühmte Gräber in Wien. Von der Kapuzinergruft bis zum Zentralfriedhof.“ Wien 2002 (S. 60).
(12) Knightley, Philipp: „ Die Geschichte der Spionage im 20. Jahrhundert.“ Bern 1989.
DER AMATEURSPION (CARL HANS LODY)
Gustav Carl Gottlieb Hans Lody wurde am 20. Januar 1877 geboren (1)und am 6. November 1914 in London als erster deutscher Spion des Ersten Weltkrieges hingerichtet. Sein Vater war verbeamteter Jurist und in den Städten Oderberg und Nordhausen jeweils einmal Bürgermeister (2). Weil die Eltern früh verstarben, wuchs der Junge zunächst bei Pflegeeltern in Leipzig auf, ab 1887 kam er in ein Waisenhaus nach Halle.
Lody begann mit 14 Jahren eine Lehre in einer Kolonialwarenhandlung, brach sie jedoch ab und heuerte dann in Hamburg als Schiffsjunge auf dem Segelschiff ‚ Sirius‘ an. Er wurde zum Matrosen befördert, übernahm schließlich sogar Offiziersaufgaben und ließ sich dann ganz formell zum Seemann an der Navigationsschule in Geestemünde ausbilden. Diese Schule absolvierte er am 27. Juni 1900 mit der Prüfung zum Steuermann.
Anschließend trat er als Einjährig-Freiwilliger in die Kaiserliche Marine ein. Nach der Beendigung seines Militärdienstes fuhr er als Erster und Zweiter Offizier auf deutschen Handelsschiffen zwischen Italien und den USA durch die Welt. Weil er die Navigationsschule noch ein zweites Mal absolvierte, erhielt er im Jahr 1904 das Kapitänspatent, worauf er in den folgenden Jahren (bis 1909) als Zweiter und Dritter Offizier auf verschiedenen Dampfern der HAPAG-Linie fuhr. Bedauerlicherweise musste er in dieser Zeit feststellen, dass seine Sehkraft immer mehr nachließ. Kurzentschlossen verdingte er sich als Reiseleiter für ein amerikanisches Reisebüro. Dabei lernte er perfekt Englisch, das er allerdings mit leichtem amerikanischem Akzent sprach.
Im Grunde war er eine gescheiterte Existenz, denn er hatte um diese Zeit bereits mehrere Berufswechsel hinter sich. Frisch von einer Amerikanerin geschieden, war er auf der Suche nach beruflichen Perspektiven. Fritz Prieger, ein Bekannter aus Marinetagen und inzwischen Direktor des Marinegeheimdienstes, schlug ihm vor, sich als Freiwilliger anwerben zu lassen, um sich dann 'mit Flottenbewegungen möglicher Kriegsgegner zu beschäftigen'. (3)
Lody sprach zunächst als 'Charles A. Inglis' beim amerikanischen Konsulat in Hamburg vor und gab an, seinen Pass verloren zu haben, worauf man ihm ohne weiteres einen Ersatzausweis von der Botschaft in Berlin kommen ließ; dies bedeutete für ihn die nötige Starthilfe.
Dann bot Lody in Berlin der deutschen Adrmiralität seine Dienste als Auslandsspion an. Zunächst vertröstete man ihn, nahm ihn dann aber aufgrund seiner ausgezeichneten Sprachkenntnisse an und setzte ihn als Agent des Marinenachrichtendienstes ein. Geld in größerer Menge bekam er von seinem Arbeitgeber, dem Nachrichtendienst.
Das Metier des Geheimdienstes war um diese Zeit für die deutsche Admiralität noch relativ neu; man verfügte über wenig Erfahrungen und konnte Lody weder in geeignetem Maße ausbilden, noch auf seine Aufgaben vorbereiten. Deshalb war er vorwiegend auf sein eigenes Geschick und die eigenen Ideen hinsichtlich Tarnung, Täuschung und Beschaffung von Informationen angewiesen. Lody stand ein simpler Code zur Verschlüsselung seiner Kommunikation zur Verfügung; diese lief über einen scheinbar unauffälligen Country Club, an den er seine kodierten Telegramme und Briefe schickte.
Zunächst wurde er auf Umwegen über Dänemark und Norwegen nach Edinburgh in Schottland geschleust; dort nahm er seine Spionagetätigkeit in der Flottenbasis Rosyth auf. Nun befand Lody sich im Herzen der britischen Seemacht; jeden Morgen fuhr er vom 'North British Hotel' am Bahnhof mit dem Bus zum Firth of Fort. (4) Dort lagen nicht nur Handelshäfen und Marinebasen, die für den Krieg wichtig waren, sondern das Gewässer war auch der Zugang zu den Industriezentren mit Kohle- und Metallverarbeitung im britischen Norden. Und dort gab es die wichtigste Brücke nach Schottland und starke Artilleriestellungen; weite Bereiche der Bucht waren zudem vermint.
Er war erst ein paar Tage aktiv, da hatte er bereits so viel herausgefunden, dass er eine telegraphische Meldung an eine Stockholmer Deckadresse senden konnte. Sie lautete: " Must cancel. Johnson very ill last four days. Shall leave shortly. Charles." (Ich muss abbrechen. Johnson sehr krank die letzten vier Tage. Werde bald abreisen. Charles). (5)Der Admiralstab wusste nun, dass sich vier Kriegsschiffe zur Überholung im Dock befanden und im Firth of Forth mehrere große Einheiten lagen, welche in absehbarer Zeit auslaufen würden. Daraufhin erhielt das deutsche U-Boot U-21 den Befehl, in diesem Gebiet anzugreifen und so versenkte es am 5. September 1914 das erste Kriegsschiff überhaupt: den britischen Kreuzer Pathfinder.
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