Sera war gerade mit der Reinigung des Behandlungsraumes fertig und wollte noch einmal nach Tom sehen. Sie war soeben in sein Zimmer gekommen, als sie das laute Summen hörte, welches Besuch ankündigte. Dr. Hillsborough trat in Begleitung von Direktor Peterson, Ferguson und einem ihr unbekannten Aufseher in das Zimmer ein.
„Wie geht es ihm?“, fragte Dir. Peterson die Krankenschwester.
„Den Umständen entsprechend. Er hat viel Blut verloren“, antwortete sie und Dr. Hillsborough ergänze: „Er ist aber außer Lebensgefahr.“
„War er denn in Lebensgefahr?“, wollte der Gefängnisdirektor wissen.
„Ja. Er wurde schwer am Kehlkopf getroffen, wodurch dieser so stark anschwoll, sodass er zu Ersticken drohte. Ohne den Einschnitt am Hals wäre er jetzt sicher tot“, erklärte der Arzt.
Dr. Hillsborough wusste aus Erfahrung, wozu diese Befragung diente. Eindringlich redete er auf Peterson ein: „Ich weiß nicht, was genau passiert ist, bevor ich hinzugezogen wurde, aber ich bin mir sicher, Heart hat ihm das Leben gerettet. Gehen Sie nicht zu streng mit ihm um, Sir.“
„Er hatte ihm das Messer in den Hals gerammt!“, meldete sich der Aufseher empört zu Wort. Er war einer der beiden, die an den Tatort gekommen waren, als Tom blutend am Boden lag. „Wer weiß, wie weit er noch gegangen wäre, wenn wir nicht rechtzeitig da gewesen wären!“
„Bitte“, Ferguson hob die Hand. „Sie können nicht mit Sicherheit sagen, was genau passiert ist.“
„Fakt ist, es gibt zwei Versionen, was tatsächlich geschehen sein soll“, wandte Dir. Peterson ein. „Und ich will wissen, welche der Wahrheit entspricht.“
„Darf ich fragen, wie die Versionen aussehen?“, fragte Sera neugierig. Sie wollte unbedingt wissen, was mit Tom geschehen war, da er selber noch nicht in der Lage war, zu sprechen. Wer hatte ihm das angetan und warum?
Aber der Gefängnisdirektor entgegnete ihr nur ein knappes „Nein“, bevor er sich dankend von Dr. Hillsborough verabschiedete und mit seinen Untergebenen im Schlepptau die Krankenstation verließ. Dr. Hillsborough zuckte ratlos mit den Schultern. Auch er wusste nichts Genaueres.
Keine 20 Minuten später tauchte Ferguson wieder auf. Diesmal hatte er zwei Häftlinge bei sich, die unterschiedlicher gar nicht sein konnten. Der eine war nicht zu übersehen. Er ragte fast zwei Meter in die Höhe. Dabei hatte er breite Schultern und einiges an Muskelmasse, die Sera an einen mächtigen Bodybuilder erinnerte. Von seinem kahlen Kopf rann Blut, dass Sera fast nicht gesehen hätte. Seine Haut war Pechschwarz und seine Stimme tiefer als alle, die sie jemals gehört hatte.
Der andere war zwar auch groß, aber dennoch um einiges kleiner als sein Begleiter. Er hatte relativ kurze dunkelbraune Haare, die fast schon schwarz wirkten, und diesen lässigen Out of Bed Look, den meist nur Frisöre so gut hinbekamen. Ein Drei-Tage-Bart zierte sein markantes Gesicht. Er hatte eine durchtrainierte Figur mit fein definierten Muskeln. Ein sportlicher Typ, dachte Sera. Seine blauen Augen stachen besonders hervor und das lag nicht an dem frischen Veilchen, das er trug. Sie funkelten auf eine mysteriöse Weise, die sie nicht erklären konnte. Auch ihm rann Blut am Gesicht herunter von einer Platzwunde über der linken Augenbraue. Während der Schwarze neben ihm bei Seras Anblick ihr ein Zahnpasta Weißes Lächeln schenkte, verzog der Weiße keine Miene. Er sah wütend aus.
Dr. Hillsborough bat den Riesen zuerst in den Behandlungsraum. Der Gefängnisarzt stellte seiner Krankenschwester den Sträfling als Eddie vor. Natürlich kannte er fast alle Inhaftierten durch seine jahrelange Arbeit hier. Während er die Kopfwunde reinigte und versorgte, machte er ein wenig Small Talk, doch Eddie ging nicht sehr darauf ein. Er war ein eher ruhiger Typ. Die Wunden waren nicht besorgniserregend. Ein paar wenige Blutergüsse, mehr nicht. Sera war fasziniert von Eddies tiefer Stimme. Sie klang stets ruhig und eindringlich. Er wirkte wie ein sehr sanftmütiger Mensch auf sie. Als die Behandlung abgeschlossen war, verabschiedete sich der Riese mit einem überaus freundlichen Lächeln, das Sera mit einem ebenbürtigen erwiderte.
Nun kam der zweite Verletzte herein. Er setzte sich ohne ein Wort zu verlieren auf den Behandlungstisch. Im Gegensatz zu Eddie war seine Laune unter dem Nullpunkt. Dr. Hillsborough und er tauschten schlecht gelaunte Blicke aus. Auch sie schienen sich bereits gut zu kennen und nicht auf eine angenehme Weise, dachte Sera. Schweigend machte sich der Gefängnisarzt an die Arbeit. Sera runzelte die Stirn. Ihren Gesichtsausdrücken nach zu urteilen, hatten die beiden eine Diskussion. Aber es war mucks Mäuschen still. Waren die beiden telepathisch oder was war hier los? Dr. Hillsborough kniff die Augenbrauen nach unten und sein Patient rollte seine als Antwort. So ging das ein paar Sekunden lang bis der Arzt schließlich das Schweigen brach.
„Sie werden es wohl nie lernen. Wollen Sie mir nicht verraten, was diesmal vorgefallen war?“
„Ich war nur zur rechten Zeit am rechten Ort. Ich habe wohl ein Gespür dafür“, antwortete Doc bissig.
„Ach kommen Sie schon Heart. Ich möchte Einzelheiten.“
Verächtliches Schweigen.
Die Beiden konnten sich also nicht besonders gut leiden, ging es Sera durch den Kopf.
„Was ist mit Tom passiert?“, meldete sich Sera frustriert. Sie wollte endlich die Wahrheit. Sie spürte, dass er sie kannte. „Warum wurde er so zugerichtet, dass irgendjemand diesen chirurgischen Eingriff vorgenommen hat? Sie wissen es doch oder etwa nicht?“
Erst jetzt schien der schlecht gelaunte Patient Seras Anwesenheit richtig wahr zu nehmen. Er richtete sich etwas auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann nahm er sich die Zeit, sie von oben nach unten genauestens zu betrachten, bevor er argwöhnisch auf sie einging.
„Sie sind also die neue Krankenschwester in diesem Gott verlassenen Ort. Ich muss schon sagen, Pink steht Ihnen viel besser als ihrer Vorgängerin, dieser alten Schrapnelle! Nichts für Ungut Doktor, ich weiß sie beide waren befreundet. Nun, um auf Ihre Fragen zurück zu kommen“, er legte seinen Kopf demonstrativ in den Nacken als müsste er angestrengt nachdenken. „Ja, ja und ja“, er beugte sich extra weit nach vorne, um ihren Ausweis zu lesen, der an ihrer Brusttasche befestigt war. „Schwester Sera Goodwin.“
Sie fühlte sich durch seine arrogante, selbstgefällige Art herausgefordert. Wer dachte er, wer er war? Nur weil er so unverschämt gut aussah, musste er nicht so frech sein! Sie verschränkte ebenfalls die Arme vor ihrer Brust und hob das Kinn an, um ihm ihre Stärke zu zeigen. Sie würde sich von so einem Angeber sicher nicht einschüchtern lassen.
„Ich hatte nur eine Frage gestellt, die man mit ja oder nein beantworten kann“, gab sie schnippisch von sich.
„Stimmt. Scheiße!“, grinste Heart. „Aber ja, ich weiß was passiert ist. Ja, ich weiß warum er verprügelt wurde und ja, ich weiß wer ihm den Hals wie eine Weihnachtsgans aufgeschnitten hat. Ich kann Ihnen sogar sagen, wer die Schweinehunde waren, die ihn in die Mangel genommen haben. Ich bin also die Antwort auf all ihre Fragen!“
Das klang wie ein billiger Anmachspruch. Er musste selbst kurz über sich lachen, hatte sich aber sofort wieder im Griff.
„Wollen Sie uns nun erhellen und sagen was passiert ist oder weiterhin ein Arschloch sein?“, fragte Dr. Hillsborough und tupfte etwas Alkohol auf die Wunde an Hearts Augenbraue. Heart zuckte klagend mit dem Kopf weg. Er rollte genervt seine Augen und gab klein bei.
„Na schön. Eddie und ich kamen in den Waschraum. Drei Kerle waren gerade dabei, Tom zu verprügeln und… Sie wissen schon“, er machte eine kleine Pause und legte den Kopf schief.
Sera verstand und ließ schockiert die Arme sinken, aber Heart versicherte ihr sofort, es sei nicht soweit gekommen.
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