Der Hauptgrund für das Ausüben dieser Anweisungen der Geistesschulung ist unser innigster Wunsch, dauerhaftes Glück und völlige Freiheit von Leiden zu erlangen. Das kann nicht durch äußere Mittel, wie zum Beispiel durch das Ansammeln materiellen Reichtums, erlangt werden. Ganz gleich wie viel Besitz wir erwerben, er wird uns kein dauerhaftes Glück und keine beständige Freiheit geben. Im Gegenteil, es ist oft unser Streben nach materiellem Besitz, welches unsere Probleme verursacht. Wenn wir endgültiges Glück und Befreiung von Leiden wollen, müssen wir die erhabenen Übungen der Geistesschulung praktizieren. Es gibt keinen anderen Weg.
Alle Lebewesen besitzen den Buddha-Samen – die Buddha-Natur. Die Anweisungen der Geistesschulung in die Praxis umzusetzen ist die Methode, die diesen Samen zum Reifen bringt. Die eigentlichen Erfahrungen oder Realisationen der Geistesschulung sind die Pfade zur Erleuchtung. Deshalb ist es für alle Wesen essentiell, in dieser Praxis Erfahrung zu gewinnen. Ganz am Ende des Sutras der Zusammengefassten Vollkommenheit der Weisheit sagt Buddha:
Ich habe die Pfade zur Erleuchtung erklärt,
damit alle Lebewesen sie erlangen mögen.
Konventioneller Bodhichitta
DIE VORBEREITENDEN ÜBUNGEN DER GEISTESSCHULUNG
Lerne als erstes die Vorbereitungen.
Bevor wir die Hauptpraxis der Geistesschulung ausüben können, müssen wir unseren Geist durch die vorbereitenden Übungen rüsten. Die außergewöhnlichen Realisationen der Geistesschulung sind von der Ansammlung von Verdiensten, der Reinigung von Negativität und dem Empfangen der Segnungen der Buddhas und Bodhisattvas sowie von der Schulung in den allgemeinen Übungen der Stufen des Pfades (tib. Lamrim) abhängig: von «Sich auf einen Spirituellen Meister verlassen» bis «höheres Sehen». Innerhalb dieser Übungen ist es besonders wichtig, einige Erfahrung in den Meditationen über dieses wertvolle menschliche Leben, Tod und Unbeständigkeit, Karma und die Gefahren Samsaras zu gewinnen.
Die erhabene Methode, Verdienste anzusammeln, Negativität zu reinigen und Segnungen der Buddhas und Bodhisattvas zu empfangen, besteht aus den sechs vorbereitenden Übungen. Diese sind:
1. Die Reinigung des Meditationsraumes und das Errichten eines Altars mit Darstellungen von Buddhas Körper, Rede und Geist
2. Das Aufstellen geeigneter Darbringungen
3. Das Sitzen in der korrekten Meditationshaltung, die Zufluchtnahme und das Erzeugen und Verstärken von Bodhichitta
4. Das Feld für die Ansammlung von Verdiensten visualisieren
5. Das Ansammeln von Verdiensten und die Reinigung der Negativität durch das Darbringen des siebengliedrigen Gebetes und des Mandalas
6. Die Bitte an das Feld zur Ansammlung von Verdiensten im allgemeinen und an die Gurus der Lamrim-Überlieferungslinie im besonderen, ihre Segnungen zu gewähren
Die sechs Vorbereitungen werden ausführlich in Lamrim-Texten wie Freudvoller Weg erklärt. Die Essenz dieser vorbereitenden Übungen und aller allgemeinen Meditationen über die Stufen des Pfades ist in Essenz des Glücksund in einer kürzeren Praxis namens Gebete für die Meditationenthalten, die beide in Anhang IIIzu finden sind. Wir sollten diese vorbereitenden Übungen in jeder Meditationssitzung über die Geistesschulung ausführen. Jede Meditationssitzung beginnen wir mit der Rezitation der Gebete bis zum Ende des Gebetes über die Stufen des Pfades und führen dann unsere Meditation über die Geistesschulung aus. Nach der Meditation rezitieren wir das Mantra und die Widmungsgebete.
DIE HAUPTPRAXIS: SCHULUNG IN DEN ZWEI BODHICHITTAS
Die Hauptpraxis der Geistesschulung hat zwei Teile:
1. Schulung in konventionellem Bodhichitta
2. Schulung in endgültigem Bodhichitta
Es gibt zwei Arten von Bodhichitta: konventionellen Bodhichitta und endgültigen Bodhichitta. Üblicherweise bezieht sich der Begriff «Bodhichitta» oder «Erleuchtungsgeist» auf den konventionellen Bodhichitta. Konventioneller Bodhichitta ist als ein primärer Geist definiert, der durch großes Mitgefühl motiviert ist und spontan zum Wohle aller Lebewesen die Erleuchtung anstrebt. Er ist eine Methode für das Heranreifen unseres Buddha-Samens und eine Ansammlung von Verdiensten, die die Hauptursache für das Vollenden des Formkörpers eines Buddhas ist.
Endgültiger Bodhichitta ist als eine Weisheit definiert, die durch konventionellen Bodhichitta motiviert ist und Leerheit, die endgültige Natur der Phänomene, direkt realisiert. Er dient der Beseitigung der zwei Hindernisse – der Hindernisse zur Befreiung und der Hindernisse zur Allwissenheit – und ist eine Ansammlung von Weisheit, die die Hauptursache für das Vollenden des Wahrheitskörpers eines Buddhas ist. Wenn wir diese zwei Bodhichittas praktizieren, befinden wir uns auf der Hauptstraße, die zum Zustand der vollen Erleuchtung führt.
SCHULUNG IN KONVENTIONELLEM BODHICHITTA
Die Schulung in konventionellem Bodhichitta hat zwei Teile:
1. Praxis in der Meditationssitzung
2. Praxis in der Meditationspause
PRAXIS IN DER MEDITATIONSSITZUNG
Die Praxis in der Meditationssitzung hat sechs Teile:
1. Meditation über das Gleichstellen vom Selbst und anderen
2. Über die Gefahren der Selbst-Wertschätzung nachdenken
3. Über die Vorteile nachdenken, andere zu schätzen
4. Meditation über das Austauschen vom Selbst mit anderen
5. Meditation über Nehmen und Geben
6. Meditation über Bodhichitta
MEDITATION ÜBER DAS GLEICHSTELLEN VOM SELBST UND ANDEREN
Auch wenn diese Meditation im Urtext der Geistesschulung in sieben Punkten nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist sie doch implizit enthalten. Eine vollständige Erklärung dieser Praxis ist in Shantidevas Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas zu finden, wo er sagt:
Zuerst sollte ich mich der Meditation
Über das Gleichstellen vom Selbst und anderen widmen.
Weil wir alle insofern gleich sind, als wir Glück erfahren und Leiden vermeiden wollen,
Sollte ich alle Wesen schätzen wie mich selbst.
Die Meditation über das Gleichstellen vom Selbst und anderen ist eine der besten Methoden, zuneigungsvolle Liebe zu entwickeln, das Herz der Praxis der Geistesschulung. Sie ist eine äußerst wichtige Praxis für uns, da wir ohne die Erfahrung des Gleichstellens vom Selbst und anderen nicht die Realisation des Austauschens vom Selbst mit anderen erlangen können.
Was müssen wir in dieser Meditation gleichstellen? Wir müssen unsere Liebe für uns selbst und unsere Liebe für andere gleichstellen – d.h. uns selbst und andere gleichermaßen wertschätzen. Das ist nicht möglich, solange wir nicht hinreichend mit dem Dharma vertraut sind. Zur Zeit ist es so, dass wir bei dem Gedanken «ich» das Gefühl haben, dass das Objekt dieses Gedankens von größter Wichtigkeit ist; wenn wir aber «sie» denken, erachten wir dieses Objekt als weit weniger wichtig. Dies zeigt deutlich, dass wir andere nicht gleich wertschätzen wie uns selbst. Wenn wir mit Schwierigkeiten und harten Zeiten konfrontiert sind, werden wir leicht deprimiert, aber von den Schwierigkeiten anderer fühlen wir uns selten oder überhaupt nicht betroffen. In der Tat freut es uns vielleicht sogar, von den Missgeschicken gewisser Menschen zu hören. Das zeigt, dass wir unsere Liebe für uns selbst und unsere Liebe für andere noch nicht gleichgestellt haben.
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