Was sollte er dazu noch sagen? „ Über Nacht vom kleinen Anlageberater zum Top-Manager. Das ist doch zu schön, um wahr zu sein. Wo sitzt da der Haken?“ Er konnte keinen entdecken. Scherer spürte, wie ihn der Drang nahezu übermannte, sofort zuzusagen. Aber Berger kam ihm zuvor. „Machen Sie sich nicht zu viel Stress. Ich verlange heute Abend keine Entscheidung von Ihnen. So etwas muss natürlich überlegt, und auch mit der Familie abgesprochen werden. Überschlafen Sie das Angebot, sofern Sie heute noch zum Schlaf kommen, besser Sie lassen sich eine ganze Woche Zeit. Sie haben ja meine Mailadresse und Telefonnummer, Sie können mich also jederzeit erreichen. Scheuen Sie sich nicht, mir über diesen Weg Fragen zu stellen. Ich kann mir denken, dass noch viele auftauchen werden.“
Gleich am nächsten Morgen hatte Berger eine Nachricht von Scherer in seiner Mailbox. Sicher hatte er kein Auge zugemacht. Eine Vielzahl von Fragen. Es kostete Berger erheblichen Aufwand, um sie alle erschöpfend zu beantworten. Am gleichen Nachmittag erhielt er nochmals eine Mail von Scherer:
„Ich halte das Theater hier nicht mehr aus, habe soeben meinem Chef gesagt, was ich wirklich von ihm und dem ganzen Geschäftsablauf hier halte. Jetzt kann ich schon morgen bei Ihnen anfangen. Man verzichtet großzügig auf eine Kündigungsfrist. Ich hoffe, Ihr Angebot besteht noch? Gruß Horst Scherer.“
Schmunzelnd griff Berger zum Telefon, um Scherers Nummer zu wählen.
Tagelang saßen die beiden zusammen in Klausur. Sie arbeiteten die Details für das Unternehmen aus. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Eine Investment-Aktiengesellschaft, darauf spezialisiert, insolvente Betriebe oder solche, die kurz davor standen, zu kaufen und zu sanieren. Scherer brachte noch die Idee mit ein, Existenzgründer mit Krediten zu versorgen, oder sich an aufstrebenden Firmen zu beteiligen. Großen Aufwand betrieben sie damit, eine Firmenphilosophie auszuarbeiten, die auf größtmögliche Mitarbeiterzufriedenheit abzielt. Mittel für soziale Einrichtungen wurden bei den Gewinnerwartungen gleich berücksichtigt. Diese Vorgaben sollten genauso bei den zukünftigen Tochterunternehmen gelten. Die Standortfragen, sowie die Personaleinstellung, als auch die Firmenausstattung überließ Berger seinem Geschäftsführer: Horst Scherer.
Als Ingo Haas nach Hause kam, warf er frustriert die Aktentasche in die Ecke. Er setzte sich mit niedergeschlagen Augen an den Tisch. Seine Frau wusste sofort, was los war. „Wieder kein Erfolg?“ „Nein“, antwortete er, „das war heute die letzte Bank, die ich abgeklappert habe. Nicht einer reichte meine Geschäftsidee als Sicherheit aus. Die Wahrheit ist: Geld bekommt man nur, wenn man schon reich ist. Da erfindet man das Ei des Kolumbus, aber kann es nicht nutzen. Man könnte fast daran verzweifeln! Es scheint zu stimmen, dass sich die Banken nur für riesige Spekulationsgeschäfte interessieren. Wir kleine Kunden sind nur soweit interessant, wie wir Geld einzahlen, um diese Spekulationen zu finanzieren. Wir sollten wieder zum alten Sparstrumpf übergehen.“
Haas besaß einen Einmannbetrieb, der gerade so zum Leben reichte. Er hatte Ideen. Damit könnte er ein größeres Unternehmen aufbauen. Allerdings fand er keine Geldgeber, die in sein Projekt investieren. Die ewige Leier über Sicherheiten kannte er jetzt schon auswendig. Während die Banken bei Großprojekten irrsinnige Risiken eingingen, ja, die wahnsinnigsten Finanzblasen konstruierten, blockierten sie in der normalen Geschäftswelt unter dem Deckmantel von zu wenig Sicherheiten nahezu jegliches Unternehmertum. Man kann sich nicht mehr dem Eindruck erwehren, dass dies eine gewollte Strategie ist, die das Wachstum der großen Konzerne begünstigen soll.
Seine Frau bemühte sich, ihn wieder etwas aufzubauen. „Beruhige dich erst einmal. Hier schau mal, welche Anzeige ich heute im Wirtschaftsteil der Zeitung gefunden habe. Vielleicht ist das ja was.“
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„Na ja, probieren kann man das ja mal. Nach meinen Erfahrungen mit den Banken dürfte das auch nicht schlimmer werden.“ Er nahm das Telefon und rief dort an. Bereits eine halbe Stunde später saß er mit einem Paket an Unterlagen im Auto, unterwegs zur All-Invest AG.
Der Bürokomplex war vollkommen neu eingerichtet. Ein Herr Scherer begrüßte ihn und lud ihn zu einem Gespräch ein. Haas staunte gewaltig. Man ließ ihm wirklich Zeit, seine ganze Idee zu erläutern. Keine ungeduldigen Blicke zur Uhr, oder Fingertrippeln auf dem Schreibtisch störten seinen Vortrag.
„Mit diesen von mir entwickelten Montagehalterungen wird der Aufwand beim Einbau von Kunststofffenstern sowohl in Neu-, als auch in Altbauten um mehr als dreißig Prozent gesenkt. Meine Prototypen habe ich an drei verschiedene Fensterbaufirmen ausgeliehen. Die Resonanz war äußerst positiv. Die Testberichte sind den Unterlagen beigefügt. Auf diesen Skizzen sehen Sie die äußere Form der Halterungen. Die innere Mechanik wird bewusst nicht gezeigt, weil ich noch kein Patent angemeldet habe.“ „Zu teuer?“, fragte Scherer dazwischen. „Und ob. Deshalb brauche ich ja die Anschubfinanzierung. Nach meinen Berechnungen benötige ich rund zweihunderttausend Euro. Damit wären die Kosten für die Patentanmeldung, die Werkstattausrüstung, sowie zwei Mitarbeiter gedeckt. Das brächte mir auf Jahre Vollbeschäftigung.“ Zum Schluss erzählte er Scherer von seiner Odyssee bei den Banken.
„Das sieht alles gar nicht schlecht aus, aber Sie werden verstehen“, sagte Scherer, „dass ich Ihre fachspezifischen Angaben erst überprüfen lassen muss. Als Kaufmann habe ich von der Technik zu wenig Ahnung. Deshalb bitte ich Sie darum, mir Ihre Unterlagen für ein paar Tage zu überlassen, damit sich unsere Experten der Sache annehmen können.“
„Mit Vergnügen lasse ich Ihnen alles hier, was ich dabei habe.“ Haas war begeistert. So intensiv hatte sich bisher niemand mit seiner Geschäftsidee befasst. „Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen den Prototypen gerne vorführen, dazu müsste ich Sie aber in meine bescheidene Werkstatt einladen.“
„Ich denke, das wird vorerst nicht nötig sein, gegebenenfalls kommen wir darauf zurück. Ich schätze, dass wir in einer Woche die Unterlagen geprüft haben. Wir geben Ihnen dann Bescheid.“
Eine Woche später saßen sich die beiden wieder gegenüber. Diesmal hielt Scherer den Vortrag: „Sie haben gute Arbeit geleistet. Ihre Kalkulation, Ihre Marktanalyse, alles ist ordnungsgemäß. Im Prinzip ist das Konzept durchführbar. Trotzdem muss ich Ihnen sagen, dass wir den Kredit zu Ihrem eigenen Schutz so nicht erteilen können.“ Für Haas brach eine Welt zusammen, hatte er doch nach seinem Gespräch mit Scherer letzte Woche so große Hoffnungen. „Die Banken haben immer wegen zu geringen Sicherheiten den Kreditwunsch abgelehnt. Aber wie soll ich das verstehen, zu meinem Schutz?“
„Nun, ich sehe in Ihnen einen fleißigen Menschen. Sie selbst sagten, dass Sie meistens zwölf Stunden täglich in Ihrer Werkstatt zu finden sind. Sie arbeiten also jetzt schon am Limit. Wenn Sie zwei Mitarbeiter einstellen, garantiere ich Ihnen, dann arbeiten Sie mindestens vierzehn Stunden täglich. Denken Sie nur an die zusätzliche Lohnbuchhaltung, den weiteren Papierkrieg, der da auf Sie zukommt. Was ist, wenn einer von euch ausfällt? Wie sieht es mit der Urlaubsvertretung aus? Würde ich Ihnen diesen Kredit genehmigen, wären Sie nach zwei Jahren gesundheitlich am Ende, was dann ebenso das Aus für Ihre Firma bedeutet.“ Haas sank in seinem Stuhl immer tiefer. Am meisten ärgerte er sich darüber, dass dieser Scherer recht hatte.
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