»Gehen Sie noch einmal in die Tür und rufen Sie aus, daß die Auktion beginnt. Und dann sagen Sie dem Krüger, daß er zu mir kommen möchte.«
Thiel steht auf, geht in die Tür. Kalübbe hört ihn rufen, irgend jemand antwortet. Es entsteht Gelächter, dann gebietet eine scharfe Stimme Ruhe. Nach einer Weile kommt Thiel zurück.
»Was war da eben?« fragt Kalübbe gleichmütig.
»Der Krüger wird sofort kommen. – Ach ja, irgendein Witzbold rief mir zu: ›Jung, goh no Hus, dien Mudder will di waschen!‹ Aber ein Langer hieß ihn Maul halten.«
Der Krüger tritt an den Tisch: »Bitte, meine Herren?«
»Waren keine Viehhändler heute morgen da?«
»Doch. Viehhändler waren da.«
»Wer?«
Der Krüger zögert: »Ich weiß nicht Ich kenne sie nicht.«
»Natürlich kennen Sie sie nicht. Und die sind wieder fortgefahren?«
»Die sind wieder fortgefahren.«
»Danke. Das war alles.« Der Krüger geht und Kalübbe sagt zu Thiel: »Nun rufe ich noch den Fleischer Storm an. Bei dem kaufe ich selbst mein Fleisch. Vielleicht, daß der die Courage hat und kauft das Vieh zur Taxe. Das ist halb geschenkt.«
»Und wenn nicht?«
»Gott, dann rufe ich den Finanzrat an. Mag der mal entscheiden, was geschehen soll.«
Thiel sitzt und schaut auf die besonnte Dorfstraße. Ein paar Hühner suchen in Pferdeäpfeln unverdautes Korn, über den nächsten Hofeingang streicht sacht mit aufrechtem Schwanz eine Katze. »Es wäre ganz schön hier«, denkt er. »Es ist alles beieinander, aber es ist Unrat in der Luft. Dem Kerl von der Chronik scheint auch klar geworden, daß aus der Auktion nichts wird. Da streicht er ab. Hat den Apparat noch in der Hand, vielleicht hat er was Besseres gefunden zu fotografieren. – Muhe nicht, Ochs. Ich habe auch Durst und kriege nichts, trotzdem hier Hof bei Hof Brunnen sind. – Kalübbe ist hübsch vergrätzt, aber er nimmt es zu tragisch. Bauern sind Bauern. Ein dickes Fell und seinen Dienst tun, nichts denken. Mittelalter und Scharfrichter – wo er das her hat? Er muß richtig darauf lesen. Ich habe meinen Skat und er seine Familie und wir beide Altholm, was brauchen wir da Bauern? Und hübsch ist es doch hier, wenn auch Unheil ...«
Er döst ein bißchen in der Mittagssonne vor sich hin. Die Ochsen werfen die Köpfe und wehren mit dem Schwanz die Fliegen.
4
Kalübbe steht wieder am Tisch. »Geschlafen? Ja, es ist ganz, als könnte ein Gewitter kommen. Heut ist ein Tag, an dem die Milch zusammenläuft. – Also, der Fleischer Storm will nicht. Er hat Angst. Denkt, er bekommt landauf, landab kein Vieh mehr zu kaufen. Laß ihn. Wird meine Frau ihr Fleisch bei einem andern Fleischer kaufen.«
»Und der Finanzrat?«
»Ja, der Finanzrat, der hohe Herr, der Herr Berg verstehen das natürlich nicht. Die Sache ist ihm einfach unverständlich. Aber jedenfalls soll heute einmal ein Exempel statuiert werden und die Bauern nicht mit dem Kopf durch die Wand. Wir sollen die Ochsen nach Haselhorst treiben und nach Stettin verladen. Vergnügen, was? Einen Waggon habe ich eben auch gleich bestellt. Also denke ich, wir machen los. Je eher wir dort sind, um so eher kriegen wir ein Glas Bier. Der Bahnhofswirt muß ausschenken.«
»Also denn los! Welchen nehmen Sie?«
»Lassen Sie mir den mit dem krummen Horn. Der ist zappelig. Und wenn er abhauen will, den Zaum nicht loslassen und feste mit dem Stock auf die Nase. Dann vergeht ihm schon das Rennen.«
Sie haben die Stricke vom Reek losgeknotet und machen sich an den Aufbruch. Die Tür von der Wirtschaft geht auf und Bauer auf Bauer, ein Dutzend, zwei Dutzend, drei Dutzend treten aus der Gaststube. Sie stellen sich längs des Weges auf, wortlos stehen sie da, sehen den Abmarsch an.
Die beiden treiben die Dorfstraße entlang. Die Tiere gehen ruhig. Kalübbe wendet sich nach Thiel um und fragt: »Gemütlich, solch ein Spießrutenlaufen?«
»Wenn es denen Vergnügen macht!«
»Natürlich! – Was ist das?«
Das Dorf ist zu Ende. Die Straße hat einen scharfen Knick gemacht, und zwischen Ebereschen biegt die Chaussee nach Haselhorst vor ihnen. Auf beiden Seiten breite, wasserreiche Vorflutgräben und vor ihnen, dreihundert Meter weiter, haben sie ein helldunkles Gewimmel, ein Hindernis.
»Was ist das?«
»Ich kann es nicht schlau kriegen. Bauen die eine Barriere?«
»Es sieht so hell aus. Und locker. Wie Stroh. Jedenfalls kümmern wir uns um nichts. Gehen grade durch.«
»Und wenn wir nicht vorbeikommen? Die Gräben sind zu breit.«
»So warten wir. Es wird ja irgendein Wagen oder ein Auto kommen.«
Sie sind nahe, und nun ruft Thiel erleichtert aus: »Es ist nichts. Da hat einer ein Strohfuder umgeschmissen.«
»Ja. Es scheint so.«
Aber, als sie noch näher sind: »Da stimmt doch was nicht. Die laden nicht wieder auf. Die führen ja Wagen und Pferde fort!«
»Egal! Wir gehen durch. So ein Strohbund schmeißt man mit dem Fuß beiseite.«
Jetzt sind sie ganz nahe. Drei, vier Leute stehen dort beim Stroh, das quer über die Chaussee liegt. Einer bückt sich und plötzlich züngelt es auf, hier, dort. Eine Flamme tanzt. Zehn. Hundert. Rauch, weißer dicker Qualm wallt empor.
Die Stiere werfen die Köpfe hoch, sperren sich breitbeinig. Reißen den Leib herum.
Und plötzlich wirft sich der Wind in die Flammen, sengende Glut schlägt ihnen entgegen, sie stehen ganz im Rauch ...
»Los! Los! Zurück ins Dorf!« schreit Kalübbe und hämmert wild mit dem Knüppel auf die Nase seines Stiers. Dumpf dröhnt der Nasenknorpel.
Fast Seite an Seite, taumelnd, fallend, vom Strick wieder hochgerissen, rasen sie dem Dorf zu.
Dann, hundert Schritte weiter, geht das Vieh ruhiger. Atemlos ruft Kalübbe: »Diesmal muß ich einen Bericht schreiben, es hilft nichts.«
»Und was machen wir nun?«
»Nach Haselhorst lassen uns die nicht. Das ist zwecklos. Aber nun grade! Wissen Sie was, jetzt spielen wir ihnen einen Streich und treiben über Rippmerow, Banz, Eggermühle nach Lohstedt.«
»Vierzehn Kilometer!«
»Und wenn! Wollen Sie die Stiere dem Päplow wieder in den Stall stellen?«
»Ausgeschlossen!«
»Also!«
Jetzt sind sie wieder am Krug. Dort stehen die Bauern, sehen ihnen entgegen.
»Die haben auf uns gewartet. Na, eure Stiere sollt ihr deswegen doch nicht haben. – Glatt und möglichst rasch vorbeitreiben.«
Alle Gesichter sehen auf sie. Es sind junge und alte, sehr weißblonde, mehlige, glatte und ganz zerfurchte mit grauen und schwarzen Bärten und mit der Lederhaut der Herbststürme und Winterregen. Als sie sich nähern, löst sich der Schwarm auf. Ein Teil tritt auf die andere Seite der Dorfstraße, und nun, als sie vorbeiwollen, setzen sich alle in Bewegung, gehen stumm und dicht neben ihnen her, ein Geleit. Mit gesenkten und erhobenen Gesichtern, die nichts ansehen, Handstöcke in der Hand.
»Das gibt noch etwas. Das geht nicht glatt«, denkt Kalübbe. »Wenn ich nur an den Thiel herankönnte, daß er nicht die Ruhe verliert.«
Aber die Bauern gehen zu eng und jetzt laufen die Stiere fast, sie riechen den Päplowschen Stall.
Doch Kalübbe paßt auf. Im Augenblick, da sein Stier in die heimische Hoffahrt einbiegen will, gibt er ihm einen drohenden Schlag aufs rechte Horn, stößt gleich darauf die Stockspitze in die Weiche, und der Stier rast los, blindlings gradeaus, die Dorfstraße entlang.
»Das ging gut«, denkt Kalübbe laufend und wundert sich, daß die Bauern noch nicht nachgeben, weiter nebenher traben. Aber da ist auch schon Thiel dicht neben ihm. Vom Rennen atemlos flüstert er dem zu: »Kümmere dich um nichts, Thiel. Strick fest ums Handgelenk. Laß dir das Tier nicht klauen. Das gehört dem Staat und das muß jetzt nach Lohstedt, koste es, was es wolle.«
Die Bauern laufen nebenher. Es ist so viel Getrapps auf dem Weg und die Aussicht beengt. Und doch! Da vorn ist wieder das Hellgelbe, auch auf diesem Wege.
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