Stuff sagt: »Grade anmisten möcht ich jemand, Herr Schabbelt. – Wenn Sie erlauben.«
Der Zwerg hebt eine Zinkplatte gegen das Licht, prüft sie sorgenvoll: »Die Autotypie kommt nicht.«
»Vielleicht ist der Raster zu fein, Herr Schabbelt?«
»Was verstehen Sie davon? Hinaus habe ich gesagt! Was stinkt der Tredup hier herum? Raus! – Sieh da, zu fein. Dumm bist du nicht, Stuff. Das mag angehen. – Wen willst du anmisten?«
»Die Roten.«
»Nein. Fünfundfünfzig Prozent unserer Leser sind Arbeiter und kleine Beamte. Die Roten? Nie! Wenn wir auch rechts sind.«
»Es ist eine sehr gute Geschichte, Herr Schabbelt.«
»Erzähle sie, Stuff. Sieh, wo du Platz findest. Aber der Tredup muß raus. Er stinkt nach Akquisition.«
»Ich möchte schon gerne was andres tun«, murrt Tredup.
»Quatsch! Du tust es gern. Raus mit dir!«
»Wir brauchen ihn noch. Nachher zu der Geschichte.«
»Also stellen Sie sich dort ins Dunkel. Erzähle los, Stuff.«
»Sie kennen Kallene, den Polizeimeister? Natürlich. Nach der Revolution war er rot. SPD oder USPD, jedenfalls wurde er belohnt. Der dümmste aller Polizeidiener wurde Polizeimeister.«
»Weiß ich.«
»Und als er's war, trat er aus der Partei aus, gab das Parteibuch zurück, wurde streng deutschnational, wie er vorher gewesen.«
»Und –?«
»Na, der macht abends auf dem Rathaus Aufsicht über die Reinmachefrauen. Wenn die Büros leer sind, Herr Schabbelt!«
»Und –?«
»Da sind so ein paar junge Weiber dabei, einfach Klasse. Man kann es sich ja denken, wenn sie so rutschen über den Boden, man bekommt da Einblicke ...«
» Du kannst es dir jedenfalls denken, Stuff.«
»Na, natürlich, nicht nur der Kallene kommt bei so was auf andere Ideen.«
»Mach's kurz, Stuff. Wer hat ihn erwischt?«
»Der rote Bürgermeister!« schreit Stuff. »Der dicke Gareis. Auf seinem Schreibtisch haben sie's gemacht.«
»Und –?«
»Na, Herr Schabbelt! So eine Frage! Jetzt hat der Kallene wieder das Parteibuch.«
»Es ließe sich etwas daraus machen«, meint Schabbelt. »Aber nicht für uns. Etwa für die KPD. Tredup kann es weiterquatschen.«
»Herr Schabbelt!«
»Ich kann Ihnen nicht helfen, Stuff. Sehen Sie, wie Sie sonst Ihre Spalten vollkriegen mit Lokalem.«
»Aber wenn wir nie stänkern dürfen! Das Blatt wird so doof. Man nennt uns schon Käseblättchen.«
»Wer?«
»Ist es nicht wahr, Tredup?«
Tredup enttritt dem Schatten, ganz gallig: »Schmierblättchen. Stinkmakulatur. Hakenkreuzruh. Scheißhausklappe. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit.«
Stuff hebt seine Stimme: »Tante vom Kuhdorf. Der Langeweiler über alle Wände. Der Treppenfurz. Die Gakelei. Der Blinddarm. Der Maulwurf. Lies und schlaf.«
Tredup wieder: »Ich beeide es, Herr Schabbelt. Heute morgen erst hat mir ein Inserent gesagt ...«
Der Chef ist zu seinen Zinkplatten zurückgekehrt. »Wen wollt ihr also anstänkern?«
Beide: »Den Zirkus Monte.«
Und Schabbelt: »Meinetwegen. Daß die Nicht-Inserenten wieder einmal Angst kriegen. Und zur Belohnung wegen des zu feinen Rasters.«
»Schönen Dank, Herr Schabbelt.«
»Schon gut. Aber diese Woche laßt ihr mich nun gefälligst in Frieden. Ich habe keine Zeit.«
»Wir kommen schon nicht so. Guten Morgen.«
5
Stuff sitzt am Schreibtisch und sieht auf die immer noch schlafende Frau. Ihr Gesicht hat sich etwas gerötet, ihre eisgrauen Haarzotteln liegen um den Kopf, hängen in ihr Gesicht. Er denkt: »Die Cognacflasche ist beinahe leer. Als ich den Wenk rausschickte, stank er nach Schnaps. Jetzt säuft er sogar der besoffenen Chefin den Schnaps weg. Ich werde es ihm stecken.«
Wieder nach der Frau hin: »Ich werde ihr einen Kaffee machen lassen, einen heißen Mokka, daß sie ihn trinkt, wenn sie aufwacht. Ich werde nach der Grete klingeln.«
Er sieht auf den Klingelknopf neben der Tür, dann auf das weiße Papier vor sich auf dem Pult. »Schließlich, was hilft ihr ein Mokka? Gar nichts.«
Er dreht an den Knöpfen des Radios. Eine Stimme ertönt: »Achtung! Achtung! Achtung! Hier ist der sozialdemokratische Pressedienst! Achtung!«
»Äh, scheiß! Werde ich meinen Riemen schreiben.«
Er setzt an, denkt nach und schreibt dieses:
» Ein kleiner Zirkus namens Monte hat auf dem Jugendspielplatz sein Domizil aufgeschlagen und gab gestern Abend seine Eröffnungsvorstellung. Die Leistungen sind in keinem Punkte überragend und kommen sie nirgends über ein Mittelmaß hinaus. Nach den Darbietungen, die unsere Vaterstadt vor noch nicht langer Zeit im Zirkus Kreno und im Zirkus Stern bewundern durfte, sind die Nummern des Monte-Programms klägliches Surrogat, das allenfalls für Kindervorstellungen ausreicht.«
Er überliest noch einmal das Geschriebene. »Das wird es tun, denke ich.«
Er klingelt. Der Lehrling Fritz kommt. »Das soll gleich gesetzt werden. Und sag dem Metteur, er soll es als lokale Spitze bringen. Ich geh jetzt erst auf die Kriminalpolizei und dann aufs Schöffengericht. Wenn noch was ist, rufe ich an. Gut. – Halt, sage der Grete, sie soll der Frau Schabbelt einen Mokka machen.«
Der Junge geht ab. Stuff sieht auf die schlafende Frau, dann nach der Cognacbuddel. Er hebt die Buddel und trinkt den Rest aus. Er schüttelt sich.
»Heute Abend werde ich mich besaufen. Heute Abend werde ich Amok laufen«, denkt er. »Mich betäuben, weg sein, vergessen. Das schweinischste Handwerk auf der Welt: Lokalredakteur sein in der Provinz.«
Er sieht betrübt durch seine Klemmgläser und schiebt ab, zur Kripo und zu den Schöffen.
Erstes Buch
Erstes Kapitel
Eine Pfändung auf dem Lande
1
Auf der Station Haselhorst steigen zwei Männer aus dem Personenzug, der von Altholm nach Stolpe fährt. Beide sind städtisch gekleidet, tragen aber über dem Arm Regenmäntel, in der Hand derbe Knotenstöcke. Der eine ist ein Vierziger und sieht verdrossen aus, der junge dürre Zwanziger blickt sich lebhaft nach allen Seiten um. Alles interessiert ihn.
Sie durchqueren Haselhorst auf der Dorfstraße. Überall schauen aus dem Grün die Dächer der Bauernhäuser, bald mit Stroh, bald mit Reeth, bald mit Ziegeln, bald mit Zink gedeckt. Jeder Hof liegt für sich, wendet meistens, von Bäumen umstanden, nur die Schmalseite seines Wohnhauses der Landstraße zu.
Sie haben Haselhorst hinter sich und gehen nun unter Ebereschen auf der Chaussee nach Gramzow. In den Koppeln steht Vieh, schwarzbunt und rotbunt, sieht sich auch einmal, langsam weiterkäuend, nach den Wanderern um.
»Es ist schön, einmal aus dem Büro herauszukommen«, sagt der Junge.
»Das habe ich auch einmal gedacht«, widersetzt der Alte.
»Immer und ewig nur Zahlen, es ist nicht auszuhalten.«
»Zahlen sind bequemer als Menschen. Man weiß, was man von ihnen zu erwarten hat.«
»Meinen Sie denn wirklich, Herr Kalübbe, daß etwas passieren kann?«
»Reden Sie keinen Quatsch. Selbstverständlich passiert nichts.«
Der Junge fühlt nach der Gesäßtasche. »Jedenfalls habe ich meine Pistole parat.«
Der Ältere bleibt mit einem Ruck stehen, schüttelt wütend die Arme, sein Gesicht läuft blaurot an: »Sie Idiot, Sie! Sie gottgeschlagener Querkopf!«
Seine Wut steigert sich noch. Er wirft Mantel und Stock auf die Chaussee, seine Aktentasche, die er unterm Mantel trug, dazu. »Da! Da haben Sie es! Machen Sie den Dreck alleine! So eine Hirnverbranntheit! Und solch ein Bulle ...« Er kann nicht weiterreden.
Der Jüngere ist weiß geworden, aus Kränkung, Ärger, Schreck. Aber er kann sich beherrschen. »Ich bitte Sie, Herr Kalübbe, was habe ich gesagt, daß Sie derart erregt sind!
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