„Freitag, der schönste Tag der Woche“, jubelt Jule euphorisch.
Nele, ihre beste Freundin seit der Sandkistenzeit, bleibt stumm. Traumverloren bürstet sie ihre pechschwarzen Haare. Das Mädchen liebt das Frisieren, das endlose Bürsten ihrer Haare. Das wirkt beruhigend, hypnotisierend auf sie. Dabei kann sie unauffällig ihren Tagträumen nachhängen. Im Moment dreht sich alles um den ersehnten Märchenprinzen. Sie hofft, ihn bald, vielleicht sogar heute Abend, kennen zu lernen.
Grinsend stößt Jule sie an. Ertappt zuckt die Freundin zusammen. Kichernd lässt sie sich zum Kleiderschrank ziehen. Unschlüssig, eine steile Falte auf der Stirn, begutachtet Jule den Inhalt des vollgestopften Schrankes. Trotz der Fülle scheint er nicht das im Angebot zu haben, was sie sucht.
Nele verliert die Geduld, stöhnt genervt.
„Entscheide dich langsam, was du anziehst, sonst brauchen wir nicht mehr loszugehen.“ Inzwischen ziemlich sauer schiebt jetzt sie mit mürrischem Gesicht Jules Kleider hin und her. Immer das Gleiche mit Jule. Dese Unentschlossenheit in allem! Mittlerweile begutachtet sich Jule in einem blauen Minikleid vor dem Spiegel, knüpft nebenbei an Neles Vorwurf an. „Das kommt darauf an, wo wir hingehen. Da hast du dich noch nicht entschieden. Also Maschseefest oder Baggi?“ Eine erneute Verrenkung vor dem Spiegel folgt. Steht ihr gut das Kleid im Matrosenstil, findet sie. „Ähh...Baggi“, sagt Nele rasch. „Na also, geht doch! Ich bin fertig!“ „Äh wie? Schon! Das ging jetzt aber schnell.“ „Na klar, ich zieh das hier an. Und du? Willst du so bleiben!“ „Geht wohl nicht anders! Ich habe meinen Kleiderschrank nicht dabei.“ Schnippisch schürzt Nele die Lippen, ihre hellbraunen Augen mit den dunklen Sprenkeln funkeln. „Eh... musst nicht gleich einschnappen. Aber ich finde dein T-Shirt wirklich langweilig. Ein beigefarbenes Shirt. Beige! Die Farbe der alten Leute! Ob da ein Junge darauf anspringt!“ „Er soll nicht mein T-Shirt mögen, sondern mich!“ „Wie soll er dich mögen, wenn ihn dein Shirt vom Kennenlernen abschreckt.“ Jule wühlt in einer Kommode. Triumphierend zieht sie ein knallrotes Tank-Top mit glitzernden, diagnonal über dem Top verlaufenden Steinen, hervor. Strahlend schwenkt sie ihr Fundstück vor Neles Gesicht. „Das passt doch viel besser in die Baggi.“ „Meinst Du? Ich weiß nicht,“ zögert Nele, schaut allerdings begehrlich auf das Shirt. „Klar, das sieht super zu deinen schwarzen Haaren aus! Und ich in blau und blond. Das wird echt geil aussehen. Los mach!“ Jetzt dreht sich Nele zufrieden lächelnd vor dem Spiegel. „So jetzt noch Farbe ins Gesicht und dann los. Da siehst du nämlich farblos aus, Jule.“ Jule seufzt. „Kannst du mir bitte den Lidstrich machen. Du weißt doch, bei mir haut das nie so hin.“ „Na gut, Lidstrich gegen Tank-Top.“ „Deal.“ Kichern machen sich die Mädchen an ihre Kriegsbemalung.
Untergehakt, voller Vorfreude, streben Nele und Jule die Lister Meile herunter Richtung Baggi. Die Disco, zwischen Raschplatz und Hauptbahnhof gelegen, ist für die Mädchen, die in der List wohnen, fußnah zu erreichen. Ein paar Schritte noch, dann beginnt das Vergnügen. Jule bleibt stehen, fasst Nele am Arm.
„Siehst du den Typen da drüben?“
„Wen? Denn im Anzug?“
„Genau. Voll krass wie der aussieht?“
„Will der etwa in die Baggi!“
„Ich weiß nicht, so wie der ausschaut!“
„Auf alle Fälle erregt er damit Aufsehen, selbst in der Baggi.“
Ihr Kichern weckt die Aufmerksamkeit des steifen Anzugträgers. Abrupt bleibt der stehen und taxiert erschrocken die Mädchen.
„Blöder Einfall von mir. Wie konnte ich nur auf diese Idee kommen,“ denkt er und dreht bei.
Als die Girls die Disco betreten, schlägt ihnen sofort dröhnende Musik entgegen. Unwillkürlich fangen ihre Schultern an, zum Hämmern der Rhythmen zu zucken. Suchend spähen sie umher, ob vielleicht einer ihrer Freunde ebenfalls hier ist. Prompt entdecken sie in der Menge drei bekannte zuckende Leiber. Zwei Unbekannte steppen um die Freundinnen herum. Kreischend tänzeln Jule und Nele auf die Mädchen zu. Obligatorischen Küsschen reihum.
Die Boys mustern die Neuankömmlinge. Einer schiebt seine Schulter vor, was lässig aussehen soll, schaut Nele herausfordernd an. Die Girls schenken dem Gebalze null Beachtung. Nichts Umwerfendes stufen sie die Möchtegerne ein. Im Gegenteil! Einer trägt das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, glaubt wohl, das sähe sexy aus. Das Präsentieren seiner Hühnerbrust ist jedoch äußerst lächerlich. Zu viel Pickel der andere. Erst mal sehen, was noch im Angebot ist, denken sie.
„Ich geh mir eine Cola holen.“ Jule, verschwindet Richtung Bartresen, der wie stets von einer Traube Menschen umzingelt ist. Ihr graut vor dem Gedrängel und der Warterei.
„Bring mir bitte auch eine mit“, schreit ihr Nele hinterher.
Na klar, wie immer! Das nächste Mal kannst du dich da durchdrängeln!
Small Talk ist nicht möglich. Sie verstehen einander kaum, so laut wummert die Musik. Man verzichtet auf jedwede Konversation, wippt lediglich im Takt der Klänge rhythmisch mit den Beinen, die Schultern zucken, ab und an ist auch der Kopf beteiligt. Nebenbei nippen sie an ihrer Cola, die lange reichen muss.
Das Scheinwerferlicht an der Decke wechselt ständig, taucht die Tanzenden abwechselnd in rosa, rot, lila, blauem und grünem Licht, in vielerlei Schattierungen.
„Das sieht echt geil aus!“, schreit Jule der Busenfreundin ins Ohr.
„Find‘ ich auch! Am besten gefallen mir die Rottöne, irgendwie verrucht!“ Brüllt diese zurück.
„Los komm, wir pogen auch!“, forderte Nele, die nicht mehr nur mit den Füßen zappeln will.
Bevor sie losziehen können, steuert ein dunkelhaariger Mann, nicht ganz ihre Altersklasse, auf sie zu. Nele wartet ab. Gut sieht er aus, ein Touch südländisch. Aber zu alt. „Hast du Lust zu tanzen?“ „Klar! Deswegen bin ich hier.“ Sie musterte ihn weiter, wie sie meint, unauffällig. Der hat was! Diese Augen! Vorsicht Nele! Dreimal tanzt sie mit ihm.
Spät ist es geworden oder früh, je nachdem von welcher Perspektive man es sieht. Seufzend schaut Nele auf die Uhr, sagt bereits zum vierten Mal.
„Ich glaube, wir müssen.“
„Du hast recht. Schade! Könnte durchtanzen bis morgen.“
„Morgen haben wir längst, Süße. Los komm jetzt!“
Ungeduldig fasst Nele die Freundin am Arm und zieht sie Richtung Garderobe. Total aufgekratzt, schwatzend und gackernd, schlendern sie die Lister Meile entlang nach Hause und schwärmen, wie toll es mal wieder war.
Wie stets bezog er Stellung an der Bar. Hier kann er alles überblicken, ohne aufzufallen. Zwei Mädchen in Minis, die knapp ihren Po bedecken, erregen sofort seine Aufmerksamkeit. Manchmal, wenn sie ausgelassen jumpen, kann er sogar ihre Slips sehen. Seine Augen suchen die mit dem knallroten Glitzertop. Ihre Brüste, die beim Tanzen hüpfen, törnen ihn an. Sein geübter Blick erkennt sofort, dass sie keinen BH trägt. Viermal tanzt er mit ihr. Einmal zu einem Schmusesong. Er achtet darauf, nicht auf Tuchfühlung zu geraten. Das wäre fatal!
Die Mädchen gehen. Ihm reicht es auch. Der Lärm der Musik, die vielen Menschen, das ständige Rotieren der Lichtorgel empfindet er inzwischen als lästig. Kopfschmerzen kündigen sich an. Überstürzt eilt er zum Ausgang.
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