Früher genossen Söldner als Berufssoldaten eine gewisse Achtung, heutzutage arbeiteten die meisten von ihnen jedoch als gedungene Mörder. Der Arm des Gesetzes des durch die Niederlage im Krieg geschwächten Kaisers reichte nicht bis hierher, und so hatten sie das Recht des Stärkeren auf ihrer Seite und verkauften es zu hohem Preis an reiche Auftraggeber, die skrupellos ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen wollten. Doch in dieser abgelegenen Gegend des Kaiserreichs war Reichtum rar, und so gab es auch nur wenige Aufträge für die Söldner, die ihre Kasse deshalb mit Raub und Plünderung aufbesserten. Haseth hoffte, dass sie es diesmal bei Zechprellerei bewenden ließen.
Eine Weile später waren die Männer satt und halb betrunken. Sie räkelten sich auf den Bänken, hatten gerade einen Rülpswettbewerb beendet und grölten jetzt zotige Lieder. Der Wirt füllte sie weiter mit Bier ab, ohne dass sie es bestellt hätten. Er hoffte, dass sie bald müde wurden und einschliefen, dann konnte er Sutana losschicken, um ein paar kräftige Burschen aus dem Dorf zu holen. Noch wagte er es nicht, denn er musste feststellen, dass ihn der Anführer der Bande, ein hübscher Bursche, nicht aus den Augen ließ. Der Mann sprach ihn an, als er sechs frisch gefüllte Humpen zu ihrem Tisch brachte.
„Sag mal, Wirt, wo ist eigentlich dein Töchterchen? Wir haben gehört, sie sei eine südländische Prinzessin mit hübschen, kleinen Äpfelchen, so knackig und fest, dass man hineinbeißen möchte. Sollte sie uns nicht bedienen? Hol sie, aber ein bisschen plötzlich!“
„Sie … äh, sie ist nicht hier“, log Haseth erschrocken. „Sie muss der Schwester meiner Frau im Dorf helfen. Sie, also meine Schwägerin, ist schwanger und steht kurz vor der Geburt. Sutana und ein paar andere Frauen stehen ihr in dieser schweren Zeit bei und …“
Der Söldner machte verärgert eine unwirsche Handbewegung.
„Wenn ich Einzelheiten über deine Familie wissen will, sage ich dir Bescheid. Schade, dass das Mädchen nicht hier ist. Du hast Glück, dass deine Frau so hässlich ist. Und nun troll dich wieder hinter deinen Tresen.“
Haseths Frau war bei weitem nicht so hässlich, wie der Widerling behauptete. Im Gegenteil. Ihrem Mann, der sie sehr liebte, erschien Hanah als Schönheit. Zum Glück war sie viel älter als diese Unholde und traf deshalb nicht deren Geschmack. Der Wirt fühlte sich erleichtert. Sie hatten ihm die Geschichte mit Hanahs schwangerer Schwester abgekauft. Das meiste davon stimmte sogar, nur würde es noch ein paar Tage bis zur Niederkunft dauern. Er würde Sutana erst übermorgen zu ihr schicken.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Seitenflügel, und seine Tochter trat in die Gaststube ein.
Das Mädchen hatte die Männer durch ein Schlüsselloch beobachtet. Die meisten von ihnen sahen hässlich und brutal aus, aber ihr Anführer war ein prachtvoller Bursche, hellhäutig und mit aschblondem langem Haar. Seine blauen Augen strahlten wie Saphire. Ein so schöner Mann konnte nicht böse sein. Er würde sie vor den anderen beschützen. Sutana hatte gehört, dass er nach ihr gefragt hatte. Das meiste von dem, was er gesagt hatte, hatte sie nicht verstehen können, wohl aber, dass er sie als südländische Prinzessin bezeichnete. Das gab den Ausschlag, den Befehl ihres Vaters zu ignorieren. Sie spürte ihr Herz klopfen, hörte das Blut in ihren Adern rauschen und fühlte die Röte im Gesicht aufsteigen, als sie die Türklinke niederdrückte.
Auf der Straße näherte sich ein weiterer Reiter, ein Mann wie ein Berg, auf einem riesigen Pferd. Der Reiter, der einmal Orec geheißen hatte und ein zorniger, junger Heißsporn gewesen war, erinnerte sich nicht an seinen Namen. Er erinnerte sich an gar nichts mehr, außer an die Schmerzen und deren Verursacher. Doch Gadennyn, seinen Folterer, betrachtete er nicht als Widersacher. Mit ihm war er einen Bund eingegangen gegen seinen wahren Feind: einen jungen Mann in Schwarz, dessen Bild als Fratze vor seinem inneren Auge schwebte. All die Schmerzen und die Pein hatte er nur seinetwegen erleiden müssen. Der Hass auf diesen Menschen, dem er nie begegnet war, dominierte seine anderen Gefühle: die tiefe Traurigkeit und das grenzenlose Sehnen nach etwas, was er nie haben würde: Liebe, Geborgenheit und Freundschaft. Doch im Augenblick machte ihm ein profanes Bedürfnis zu schaffen: Hunger. Er hatte seit Tagen nichts gegessen. Und er roch den Bratenduft, der aus dem Kamin des seltsamen Gebäudes, nicht weit vor ihm, herüberwehte. Er ließ den Klepper einfach im Schnee stehen und trat in den Vorraum des Gasthofs. Die gut geölte Tür der Wirtsstube öffnete sich geräuschlos.
Wäre er ein anderer gewesen, wäre noch ein Rest von Menschlichkeit und Mitgefühl in ihm übrig geblieben, so wäre er bei diesem Anblick zutiefst erschrocken. Zwei Männer rissen gerade dem Wirt einen Säbel aus der Hand und packten ihn. Einer von ihnen hielt dem dunkelhäutigen Mann mit den erschrocken aufgerissenen Augen ein Messer an die Kehle, sodass er nicht wagte, sich zu rühren. Auf dem Boden lag eine Frau im mittleren Alter, schrie und schlug mit den Fäusten auf einen Mann ein, der rittlings auf ihr saß und höhnisch lachte. Schließlich bekam er ihre Handgelenke zu fassen und drückte sie auf den Boden. Er rief:
„Ich nehme mir erstmal die Alte vor. Lasst mir aber noch was übrig von dem Mädchen!“
Die junge Frau, von der er sprach, lag halb entblößt auf einem Tisch, gepackt und festgehalten von zwei weiteren Männern, die versuchten, die Beine des strampelnden Mädchens mit Gewalt zu spreizen. Ihr Gesicht drückte entsetzliche Angst aus. Ein sechster Mann stand zu ihren Füßen am Tisch und nestelte an seinem Hosenschlitz.
„Schiebt sie ein bisschen näher zu mir“, befahl er den zwei anderen.
Jeder der Menschen in der Gaststube war so beschäftigt mit sich selbst, dass keiner den neuen Besucher bewusst zur Kenntnis nahm. Der ignorierte alles, was in diesem Raum geschah, trat auf den Tresen zu und sagte zu dem festgehaltenen und vor Todesangst schwitzenden Wirt: „Ich habe Hunger!“
Stille trat ein. Alle Augen wandten sich dem Ankömmling zu. Haseth blickte den merkwürdigen Riesen, der geistig behindert zu sein schien, fassungslos an, dann bat er: „Bitte helft mir. Ich …“
Bevor er weiterreden konnte, fiel ihm der Anführer der Söldner, der es noch nicht geschafft hatte, seinen Hosenschlitz zu öffnen, ins Wort:
„Siehst du nicht, dass du störst? Hau ab, bevor ich deine Zähne an meine Kette hänge.“
In diesem Augenblick fiel ihm aber ein, dass es nicht so gut wäre, den neuen Gast entkommen zu lassen, damit er womöglich Hilfe holte.
„Nein, warte. Bleib hier und genieße es. Weißt du überhaupt, was ich meine? Du siehst ein bisschen verblödet aus. Pass auf: Schau am besten einfach zu. Vielleicht lassen wir dich hinterher auch ran. Doch das Vergnügen, eine Jungfernschaft zu beenden, steht mir zu. Dann kommen meine Männer dran und das, was übrig bleibt, überlassen wir dir. Bin mal gespannt, ob das arme Mädchen das überlebt, hihi.“
Der Namenlose würdigte die Söldner keines Blickes. Er blickte immer noch den Wirt an und wiederholte:
„Ich habe Hunger.“ Seine Stimme klang drohend.
„Aber seht Ihr nicht, was hier los ist? Ich kann Euch nichts zu essen geben, solange diese Verbrecher …“
Einer der Männer, die Haseth festhielten, schrie:
„Halt die Klappe, sonst schneide ich dir die Kehle durch!“ und drückte sein Messer ein wenig fester an den Hals des Wirts, sodass es die Haut ritzte und ein Blutstropfen an der Schneide entlang perlte.
Der Hüne mit dem Gesicht eines zurückgebliebenen Kindes runzelte die Stirn und schien angestrengt nachzudenken. Dann drehte er sich um und verließ die Schankstube.
„He!“, rief der Anführer. „Haltet ihn auf!“
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