»Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass diese Männer etwas mit dieser Sache zu tun haben?«, wollte Frank wissen.
»Es wäre schon ein ungewöhnlicher Zufall, wenn zwei ehemalige Mitglieder vom Roten Stern sich in Deutschland aufhielten und nicht involviert wären. Ich glaube allerdings nicht, dass sie aus eigener Motivation handeln«, erklärte sie.
»Sie meinen, es sind Söldner?«, verstand Bauer.
»Ich glaube ja. Sie haben über zehn Jahre in der Welt des organisierten Verbrechens gearbeitet, in der es lediglich um Profit geht. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie plötzlich idealistische Ziele verfolgen.«
»Das hieße, dass jemand anderes hinter den Bomben steckt und sie angeheuert hat«, vervollständigte Frank den Gedanken.
»Korrekt«, erwiderte Tanja.
»Also müssen wir alles daransetzen, diese Männer aufzuspüren. Über sie können wir vielleicht an die Hintermänner gelangen«, betonte Bauer.
»Für uns kann es von Vorteil sein, wenn diese Männer für ihren Auftrag bezahlt werden. Menschen, die aus politischer Überzeugung handeln, sind durch Deals mit der Staatsanwaltschaft kaum umzustimmen. Wenn sie jedoch für Geld arbeiten, stehen unsere Chancen gut, sie mit einem besseren Angebot umzudrehen«, warf die Profilerin ein.
»Dazu müssen wir sie erst einmal fassen. Danke Frau Rohte«, sagte Bauer.
»Gerne.«
»Die Fahndungsfotos wurden an alle Polizeistellen des Landes verschickt. Wir werden sofort informiert, falls sie gesichtet werden«, erklärte Frank.
»Sehr gut. Professor Neefe, Sie beleuchten die Terrorgruppe bis ins kleinste Detail. Ich will alles über diese Leute wissen!«, wies Bauer ihn an.
»Mache ich.«
»Einer meiner Mitarbeiter wird Ihnen die Zugangskarte für den Archivraum geben. Dort haben Sie Zugriff auf den Zentralrechner und auf alle Informationen über den Roten Stern, die die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten zusammengetragen hat. Die Internetverbindung dort ist sicher. Sie können also unbehelligt im Netz surfen. Ihr Handy müssen Sie allerdings aus Sicherheitsgründen draußen lassen.«
»In Ordnung«, willigte Lukas ein.
»Sie, Tanja, fertigen ausführliche Täterprofile an, mit denen wir die nächsten Schritte der Ukrainer voraussagen können. Und dann brauchen wir noch eine Motivationsanalyse für die Erstellung eines Gegenangebots, mit denen wir die beiden umdrehen können.«
»Ich setze mich gleich dran!«, bestätigte sie mit einem Kopfnicken.
»Die anderen stimmen die Fahndung nach den Ukrainern mit der Bundespolizei ab«, sprach Bauer nun zu seinen Agenten.
»Akustikus ist mit uns verkabelt, Chef«, bestätigten diese.
Lukas warf Frank einen fragenden Blick zu.
»Akustikus ist ein Überwachungsnetz, mit dem wir Telefongespräche und die Internetkommunikation überwachen können«, riss Bauer das Wort an sich, der das Fragezeichen in Lukas Gesicht bemerkt hatte. »Die zentrale Schaltstelle befindet sich auf einem geheimen Gelände in der Nähe von Berlin. Wir haben dort ungefähr 800 Mitarbeiter, die für die Auswertung der Daten zuständig sind. Sie können sich vorstellen, dass über 90 Prozent der Informationen völlig nutzlos sind. Datenmüll. Deshalb müssen wir bestimmte Filter einsetzen und nach Schlagwörtern suchen. Wenn wir Auffälligkeiten entdecken, untersuchen wir deren Relevanz und versuchen, den Ursprung der Nachricht zurückzuverfolgen.«
Lukas war beeindruckt und beunruhigt zugleich.
»Ist das legal?«, fragte er stutzig.
»Zunächst möchte ich Sie auf Ihre Verschwiegenheitspflicht hinweisen. Alles, was wir hier besprechen, ist geheim. Wenn Sie irgendetwas nach draußen weitergeben, droht Ihnen eine lange Haftstrafe wegen Landesverrat. Ist das klar?«, fuhr ihn Bauer streng an.
»Äh, ja natürlich!«, antwortete Lukas erschrocken.
Bauer schien für einen kurzen Augenblick bereut zu haben, so offen mit Lukas zu reden, der ja gar kein Angestellter des BNDs war. Er beruhigte sich aber schnell wieder.
»Wir bewegen uns in einer Grauzone, um auf Ihre Frage zurückzukommen. Wir sammeln die Informationen anonym. Nur wenn die Schlagwörter fallen, verfolgen wir den Anruf oder die Mail zurück«, erklärte er.
»Wenn man so etwas hört, kann man sich nur schwer vorstellen, dass ein Attentat wie in Berlin überhaupt noch stattfinden konnte«, überlegte Lukas laut. Vor zwei Jahren war ein islamistischer Terrorist auf dem Berliner Weihnachtsmarkt mit einem LKW in eine Menschenmenge gefahren und hatte 12 Leute getötet.
»Das System ist leider nicht allmächtig. Wir laufen den Tätern meistens hinterher. Wir fangen bereits losgeschickte Nachrichten ab und können dann nur noch reagieren. Den nächsten Schritt zu erahnen gehört zur Kunst der Geheimdienstaktivität. Aber glauben Sie mir, wir haben schon die zehnfache Menge an Anschlägen vereitelt, ohne dass die Öffentlichkeit überhaupt etwas davon mitbekommt«, verteidigte Frank die Technik.
Bauer schaute auf die Uhr. Er und Frank würden sich gleich mit der Bundeskanzlerin und den obersten Köpfen des BNDs, der Polizei und des Militärs treffen, um die Gesamtoperation zu koordinieren.
»Wir treffen uns um 17 Uhr hier, um unsere Ergebnisse zusammenzutragen. Danach gehen wir geschlossen zur Besprechung im Konferenzraum.«
Mit diesen Worten verabschiedeten sie sich und ließen die anderen allein. Seit über zwei Stunden sehnte Lukas diesen Moment herbei. Endlich konnte er sich mit der hübschen Fallanalytikerin unterhalten. Vielleicht würden die nächsten Tage auf dem Gelände ja doch noch etwas Abwechslung bringen. Er setzte sich zu ihr. Sie legte ihre Unterlagen beiseite und blickte ihn erwartungsvoll an.
»Ich heiße Lukas!«, stellte er sich noch einmal persönlich vor.
»Angenehm. Ich bin Frau Doktor Rohte! Sie können aber auch Frau Rohte zu mir sagen«, antwortete sie und streckte ihm die Hand entgegen. Lukas schaute sie verblüfft an.
Nach einem kurzen Augenblick lachte sie laut.
»War nur ein Scherz. Ich bin Tanja. Sehr erfreut.«
Lukas grinste.
»Psychologen und ihre Art von Humor«, schmunzelte er.
»Immerhin haben wir Humor«, erwiderte sie. »Geschichtsstudenten gelten eher als Langweiler.«
»Ausnahmen bestätigen die Regel!«
»Und Sie sind ... ich meine, du bist eine dieser Ausnahmen?«
»Genau.«
»Deine Slapstickeinlage war ja schon ganz nett«, sagte sie und deutete auf den Kaffeefleck auf seiner Hose.
»An der Nummer habe ich ein Jahr lang geprobt und du sagst, ganz nett?! Ich bin empört!«
Tanja lachte.
»Du hast mit Frank studiert?«
»Wir haben zusammengewohnt. Für drei Jahre. In Berlin«, korrigierte Lukas.
»Und dann?«
»Die Sehnsucht nach dem Rheinland. Familie. Freunde. Und ein Jobangebot, das ich nicht ausschlagen konnte.«
»Familie? Bist du verheiratet?«. Dabei suchte sie an seiner Hand vergeblich nach einem Ehering.
»Nein. Ich bin ungebunden. Aber meine Eltern wohnen hier in Bonn«, antwortete Lukas schnell.
»Verstehe! Ein Muttersöhnchen«, erwiderte sie frech.
»Eher ein Familienmensch«, sagte Lukas leicht gekränkt.
»Ich stamme aus Hamburg«, wechselte sie das Thema.
»Arbeitest du dort?«, wollte Lukas wissen.
»Teils, teils. Ich bin drei Tage die Woche in Berlin.«
»Und wie kommst du zu dem Vergnügen, hier zu sein?«
»Das Institut, für das ich arbeite, ist dem deutschen Staat unterstellt. Ich werde oft von Bauer in Anspruch genommen. Er hat mich heute Nacht abholen lassen und ist mit mir nach Bonn geflogen. Ich wundere mich ohnehin, dass wir nicht von Berlin aus arbeiten.«
»Das Verteidigungsministerium steht immer noch hier. Und die Terroristen haben im Video verlangt, dass sich die Bundeskanzlerin in Bonn aufhält.«
»Aber wieso Bonn? Heute hat die Stadt doch keine politische Bedeutung mehr. Berlin wäre doch das viel logischere Ziel.«
Читать дальше