Mike Nebel
Hereinspaziert!
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Inhaltsverzeichnis
Titel Mike Nebel Hereinspaziert! Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
Als ich aufwachte, blickte ich in die sabbernde Schnauze eines Hundes. Das Tier stand direkt an meinem Bett und der Hundekopf ragte weit über die Bettkante, sozusagen Hundekopf an Menschenkopf. „Kannst du mir sagen, wo ich hier bin?“, fragte ich den schwarz-braun-weiß gescheckten Zottel. Der Hund - einen, wie man ihn aus der Bergwelt her kennt, hechelte und schlabberte einige Male kräftig durch sein Maul. „Du bist hier in Sicherheit, wir pflegen dich gesund. Schon ein paar Tage liegst du hier im Bett.“ Was mich verwunderte, war nicht, dass der Hund sprach, sondern dass er es in bayerischer Mundart tat. Folglich klang es mehr nach: „Du bisd do in Sicherheit, mia pflegn di gsund. Scho a boh doge liagst du do im Bett.“
„Sind noch andere hier?“, fragte ich den Hund, „ … ich meine nicht unbedingt sprechende Hunde, ich denke eher an ... sprechende Menschen.“
„Jo, natürlich, a baar Menschn san no do, und sie sprichn olle wia i. Soa i sie holn?“
Seine Stimme klang tief und sehr authentisch. Es gab für mich keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln.
„Ja, bitte, tue das.“ Dann schlief ich erneut ein.
Als ich irgendwann später ein zweites Mal aufwachte, war wieder nur der Hund da. „Wo sind die Menschen, von denen du gesprochen hattest?“ Der Hund antwortete nicht. Er blickte mich mit treuem Hundeblick an, dann sprang er mit den Vorderläufen aufs Bett, traf mich dabei unglücklich unterhalb der Blase und begann zu bellen. Wie ein richtiger Hund.
Das dunkle, schwere Gebell fand ein schnelles Echo. Die Holztür knarrte auf und eine ältere Frau betrat den Raum. Schwarzes, längeres Haar klebte an ihrem verschwitzen, blassem Gesicht. Von breiter Gestalt war diese Frau, die sich mit langsamen Schritten auf mich zubewegte. Hinter ihr erkannte ich einen kleineren Mann, braun gebranntes, gegerbtes und hageres Gesicht und er trug ein Holzfällerhemd oder so etwas in der Art, über dem wenig fest zwei Hosenträger schlabberten. Und ein junges Mädchen sah ich, ja, jetzt sah ich sie deutlich, wie sie etwas schüchtern in der Türschwelle stand und vorsichtig ihren ersten Schritt ins Zimmer wagte. Die sehr junge Frau, fast noch ein Teenager, trug einen grünen, knielangen Rock, sicher ein Trachtenrock, und obenrum ein schwarzes T-Shirt mit einem Eichhörnchen drauf, welches bei genauerem Blick durch ihre unübersehbare Oberweite sehr gedehnt wirkte. Und ich erkannte, dass dieses Mädchen dieselben Augen hatte, wie die ältere Frau, die bereits direkt bei mir am Bett stand. Keine offenen und wachen Augen, eher fast verschlossen lagen sie bei beiden Frauen tief im Kopf, wie versteckt. Ich blickte durch die Runde und jetzt, erst jetzt, dämmerte es mir. Meine Erinnerung kam langsam und bruchstückhaft zurück. Ich erkannte den Mann. Er war es. Er hatte mich gerettet. Erst hatte er mich angefahren, um mich, den Angefahrenen, zu retten. Er nahm mich einfach mit, zu sich und seiner Familie.
Alles spielte sich vor ein paar Tagen ab. Harmlos ging es los, wie auch an den Tagen zuvor, als ich hinter dem Spar-Laden die kleine Bergstraße hinauf wanderte, viele Kurven nahm, später eine Alm-Wiese überquerte, um die Wegstrecke etwas abzukürzen. Steiler und steiler ging es durch knietiefes Wiesenkraut hinauf. Der eigentliche Grund der Almüberquerung war jedoch: Ich wollte auf Tuchfühlung mit den braun gefleckten Milchkühen gehen, die mich bereits aus einiger Entfernung angafften, als wäre ich ein unbekannter Eindringling, der ich zweifelsfrei auch war. Das dutzendfache Milchvieh, anfangs noch träge und teilnahmslos im Blick, gab mehr und mehr ihr typisches Blöken von sich, und musikalisch untermalt durch ihre umherschwenkenden Kuhglocken, trottete es auf mich zu. Erst behäbig, fast schon gemütlich, doch als ihre Anführerin ihre Hufe mächtig in den weichen Boden drückte und sie nur einen Augenblick später ihr Tempo merklich erhöhte, und zwar so erhöhte, dass ihr fetter Euter derart wuchtete, dass ich leider vergeblich hoffte, sie könnte aus dem Gleichgewicht geraten, blieb mir nur noch eins: die Flucht! Nicht nach vorn, sondern den Abhang hinunter zurück ins Tal. Die Anführerin geriet keineswegs aus ihrem Gleichgewicht, alle anderen auch nicht, und so liefen sie stampfend und blökend, während ich mich erst in slalomhaften Trippelschritten, dann springend, später nur noch purzelnd und kullernd die Wiese bergab bewegte. Der Aufschlag auf der asphaltierten Bergstraße war hart. Noch härter war nur einige Momente später der Schlag vom Traktor, der mich am Bein traf, kaum dass ich mich wieder aufgerappelt hatte und erneut zu Boden ging. Was ab diesem Moment mit mir war, ließ sich, meiner lädierten Erinnerung geschuldet, kaum bis gar nicht rekonstruieren. Fehlendes Bewusstsein, obwohl es doch nur ein Bein- und kein Kopftreffer war.
Der Mann, der bei mir am Bett stand, nahm sich viel Zeit und erzählte mir die ganze Geschichte von unserem Zusammenstoß. Der Mann auf dem Traktor war Alois und Alois ließ sich auf einem Schemel nieder, nah an meinem Bett mit freundlichem, zufriedenem Gesichtsausdruck.
„Es klaffen Lücken in meinem Kopf, erzählen Sie mir, wo ich bin und was passierte. Sind Sie der Mann, der den Traktor fuhr? Sind Sie in mich rein?”
„`S tut ma leid, auf oamoi warst du do, voa meim Bulldog. Warum hosd mi ned gehört, oan Bulldog hört doch jeda, du depperta Bursch! Ned zua ändern, i sog dia, wos passiad is …“
Wie ich Alois richtig verstand, hatte es sich so zugetragen, dass er mich, den angefahrenen Wandersmann, auf den Anhänger seines Traktors legte, tief ins weiche Heu hinein. Er brachte mich auf seinen Hof, hatte dort länger mit seiner Frau über den Vorfall und über mich gesprochen, und beide kamen zu dem Entschluss, nicht die Polizei einzuschalten, doch waren sich beide, sicher mangels ausreichender medizinischer Kenntnisse, auch einig, den Dorfarzt in dieser Angelegenheit zu kontaktieren. Ich wurde ein zweites Mal ins weiche Heu des Hängers verfrachtet, doch nun stand ich bereits unter Betäubung der reichlichen Gabe vom Obstschnaps.
Jeder, ob unten im Tal oder oben in den Bergen, kenne ihn bestens, da er im Umkreis von vielen Kilometern der einzige seiner Zunft war, der etwas von ärztlicher Hilfe und kleineren Noteingriffen verstand. Alois und der Fleischer waren dank Stammtisch im Wirtshaus bestens miteinander, schemenhaft konnte ich erkennen, wie sich beide herzten, bevor ich merklich grobschlächtiger auf einer Behandlungsliege geradegerückt wurde. Sodann folgte der wirklich harte Teil für mich und mir wurde klar, mehr Schnaps hätte mir für eine noch intensivere Betäubung gutgetan.
Mit jeder kleinen Einzelheit, die Alois von sich gab, kam mehr und mehr auch meine Erinnerung an diese Ereignisse zurück, ganz besonders an den Moment, als der mich behandelnde Fleischer versuchte, mein kaputtes Bein zu beugen und ich vor unsäglichem Schmerz auf ihn einzutrommeln begann, ohne ihn wirklich zu treffen. Der Befund war wenig überraschend und für jeden sichtbar: Geschwollenes Knie, und zwar so sehr geschwollen, wie ein kugelrunder Ballon nur sein kann. Ein Ballon, dem man so schnell wie möglich seine Luft, oder in meinem Fall, die darin angestaute Gewebsflüssigkeit unverzüglich heraussaugen musste. Der Arzt, eine hünenhafte, mächtige Erscheinung, schob mir mit seinem dicken Daumen den Unterkiefer nach unten, griff mit der anderen Hand nach einem Stück Hartgummi, und drückte mir dieses in den Mund. Rabiat, aber in gewisser Weise auch wie selbstverständlich. Hier, beißen Sie darauf, aber habe ich Ihnen schon erzählt, wie sich mein Golfspiel in den letzten Wochen gemacht hat? Famos, kann ich Ihnen sagen.
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