Mike Nebel - Komparsen-Blues

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Im Berlin der 80iger Jahre mischt sich Tagträumer, Taugenichts und Möchtegern Cineast Ronny Luschke als Komparse ins Filmgeschäft. Ob als Leiche, Soldat oder Polizist, als Mann für alle Fälle erlebt Ronny allerhand skurrile Situationen mit dem Filmvolk. Nebenbei treibt er sich selbst bei einem Kurzfilm Intermezzo an den Rand des Wahnsinnes, flüchtet vor einer absurden Theatergruppe und gibt auch den versierten Pornofilmberater zum Besten.
Für Alle, die nicht nur wissen wollen, wie man gekonnt eine Leiche spielt, sondern auch für alle, die den etwas schrägeren Humor lieben. Absurde Komik mal anders!

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Mike Nebel

Komparsen-Blues

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Inhaltsverzeichnis Titel Mike Nebel KomparsenBlues Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Der Hundefuttermann

Die Vorbereitung

Der Mann am Tisch

Die Leiche

Nachbarschaftshilfe

Das Bild

Lottchens Geburtstag

Ghettoblaster

Schauspielerquartett

Der Edelkomparse

Klein Hollywood, bitte melden!

Die Horde der schwächelnden Soldaten

Pornoabteilung

Bitte einsteigen, die nächste Zeitreise startet jetzt!

Donnerstag ist Kinotag

Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig

Impressum neobooks

Der Hundefuttermann

Mein Name ist Ronny Luschke und damit ist schon so einiges gesagt. Ich hatte als Kind immer den untrüglichen Verdacht, mit meinem Namen würde etwas nicht stimmen. Mit dem - K - in meinem Nachnamen, oder andersrum, mit dem Rest, lässt man das - K - einfach weg. An sich war es keine große Sache, doch gab es immer wieder einige, die mich damit aufzogen. Da es andere auch taten, wurde es doch ein recht großer Personenkreis, der sich für Derartiges nicht zu schade war. Nur ging diesem ach so kreativem Wortspiel im Laufe der Zeit die Puste aus, bis es schließlich gänzlich in der Schublade der erfolgloseren verbalen Scherzartikel verschwand. Das lag wohl auch daran, dass diese verkrüppelten Albernheiten sowieso immer mehr an mir abperlten, so wie manches einfach an mir abperlte. Auf der anderen Seite war mir allerdings auch klar, dass ich sicher nicht zu der Kategorie Typen gehörte, die, sagen wir mal, die Allerschnellsten waren. Nicht, dass ich in allen Belangen vollkommen antriebslos war, nur gab es zu wenige Dinge, die mich dazu brachten, meinen durchaus vorhandenen Raketenschub zu zünden. Mutter sagte einmal, bei mir ginge es immer nur um irgendwie, irgendwann und irgendwo. Mutter hatte recht. Wir konsultierten deshalb in frühen Jahren – ich war noch ein Kind – sogar mal einen Arzt, doch der bescheinigte uns nur, dass leicht apathische Spätzünder in den besten Familien vorkommen können. Jahre später, ich war irgendwo im jugendlichen Alter angekommen, saß mir dieser Weißkittel wieder gegenüber und sprach von einem Paradoxon aus Furcht und Mut, was er meinte, bei mir festgestellt zu haben. Er lag nicht vollkommen verkehrt mit seiner Diagnose. Zu dieser Zeit meiner persönlichen Entwicklung war ich oft genug nicht in der Lage, Furcht und Mut in den dafür passenden Situationen einzusetzen. Wo Furcht angebracht war, zeigte ich Mut und wo Mut gefragt war, reagierte ich zuweilen heftig furchtsam. Ich sprang als Kind einmal in ein Eselgehege, obwohl ich und auch jeder andere sah, wie vorher einer der Esel ein Kind am Zaun mehrfach in den Arm biss. Ich lief schreiend auf den Esel zu und bekam als Quittung sogar einige Tritte vom aufgebrachten Huftier ab. Mutter bedankte sich bei dem Tierpfleger, der noch Schlimmeres verhinderte. Demgegenüber stand meine merkwürdige Furcht. Beispielsweise war da die Furcht vor anderen Kindern, waren sie auch noch so jung und noch so klein. Als Zwölfjähriger wurde ich von zwei Sechsjährigen verprügelt, obwohl beide wirkliche Miniaturmenschen waren. Vater sah es einmal, als er am Fenster stand, und forderte mich später in einem Vater-Sohn-Gespräch auf, mir das nicht gefallen zu lassen und zurückzuschlagen. Doch ich schlug nicht. Ich schlug nie. Ich hatte nur Furcht. Es gab sehr viele dieser Situationen, in denen mein Pendel unangemessen stark in die falsche Richtung ausschlug. Dies alles zusammen nannte der Arzt ein Paradoxon. Mutter sagte mir, bei diesem Doktor würde es sich um einen ganz normalen Arzt handeln, doch mein Blick auf die Patienten im Wartezimmer sagte mir etwas anderes. Er war wohl eher der Mann, der sich um geistige Fehlentwicklungen kümmerte. Die Jahre zogen ins Land und ich lernte mit meiner Furcht und meinem Mut besser umzugehen, was nichts anderes bedeutete, als dass meine Reaktionen sich den Situationen immer mehr soweit anpassten, wie es unter normalen Menschen üblich war. Als Sechzehnjähriger musste ich mich dann beim Weißkittel einem letzten Kontrolltest unterziehen. Mutter war wie immer mit dabei. Der Psychoarzt beschrieb bestimmte Situationen und ich sollte antworten, wie ich reagieren würde. Spontan und schnell. Eine der merkwürdigsten Situationen, mit denen ich konfrontiert wurde, war folgende: „Ronny, deine Lehrerin lockt dich nach dem Unterricht in eine Toilette und fordert dich auf sie zu befriedigen. Was machst du?“ Tja, was mache ich wohl. Mutig die Lehrerin befriedigen oder voller Furcht davonlaufen? Ich war mir ziemlich unsicher und überlegte lange hin und her. So lange, bis Mutter für mich antwortete: „Mein Sohn würde es natürlich nicht tun. Er würde davonlaufen und die Lehrerin dem Rektor melden. Nicht wahr, Ronny? Das würdest du doch tun.“ Ich war mir noch immer nicht sicher, ob ich wirklich so reagieren würde. Ich wollte keinen weiteren Test und so antwortete ich: „Ja, Mutter, natürlich. Genau das würde ich machen.“ Und so bestand ich und wurde als normaler Junge entlassen. Dachten zumindest beide.

Als auch Mutter viel zu früh starb, saß ich bei ihr am Sterbebett und hörte sie sagen: „Und fürchte dich vor dem Alkohol, Junge! Fürchte dich vor den Wirkungen des Alkohols! Denk an deinen Vater, wie es ihn dahinraffte!“ „Ja, ja, Mutter, natürlich, ich werde drauf achten. Ist schon klar.“ Es gab wohl nichts, vor dem ich mich so wenig fürchtete wie vor Alkohol. Diese Furchtlosigkeit hatte ich mit großer Sicherheit von meinem Vater vererbt bekommen, der sich wie kein Zweiter auf die Flaschen stürzte. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Mutter, Vater und ich in den Urlaub an die Nordsee fuhren. Vater steuerte wie immer seinen klapprigen Wagen. Mutter fuhr nie. Während der Fahrt trank er eine Flasche Whisky. Wir waren vielleicht fünf Stunden unterwegs und er trank in dieser Zeit die Flasche bis zum letzten Tropfen leer. Nur einmal gab es auf der Reise eine Situation, in der Mutter „Jetzt wird’s brenzlig, Ronny!“ zu mir nach hinten rief und sich am Haltegriff festkrallte. Vater, zunehmend whiskygetränkt, rutschte fast in einen angrenzenden Fluss. Er überkreuzte beim Gegenlenken auf das Merkwürdigste seine Arme, sodass seine linke Hand rechts am Steuer hing und seine rechte links. Langsam und ohne Hektik brachte er so unseren Wagen wieder zurück in die Spur. Nun, es war Sommer und sehr heiß. Etwas Abkühlung hätte ich durchaus gebrauchen können. Dies passierte, bevor kaum noch Leber in Vater war. Es gab Leute, die sich – nachdem unsere Reise in aller Munde war – über diese, ihrer Meinung nach, unglaublichen Dummheit Vaters, nur so entrüsteten. Es war mir schnurzpiepegal, was diese Leute sagten. Es perlte und perlte nur so an mir ab. Nachdem wir auch Mutter unter die Erde gebracht hatten, ging ich nach Berlin. Es gelang mir dort sogar auf Anhieb, mich erfolgreich an einer Hochschule einzuschreiben, ein Zeichen dafür, dass ich sehr wohl geistig auf der Höhe der Zeit war. Da sich jedoch ein Studium nicht von selbst erledigt, wurde ich schneller als gedacht, so etwas wie ein abgebrochener Student. Ich ging nur ein paar Mal in den monströsen Hörsaal und das Einzige, was mir während meiner kurzen Stippvisiten dort durch den Kopf ging, war, was für ein guter Ort der Hörsaal für Rockkonzerte wäre. Ich suchte mir eine Band und begann zu trommeln. Und so trommelte und trank ich mich, so gut es eben ging, durch die Zeit. Es war so, wie ich es haben wollte. Bis auf eine Sache: Meine finanzielle Situation. Die war so wie sie war, nämlich miserabel. Auf meiner nicht existenten Liste an Dingen, die ich verbessern wollte, stand nur: Eine für mich passende Geldquelle musste her. Die Rechnung dafür war ganz einfach. Zumindest auf dem Papier. Wer für sich einen Anspruch auf selbstbestimmtes Trinken definiert, muss finanziell ausreichend ausgestattet sein. Ich war es bei Weitem nicht. Ich hinkte sozusagen meinem Anspruch kilometerweit hinterher. Schlecht. Sehr schlecht, und so warf ich den stotternden Motor in meinem Kopf an und sortierte, sauber hin oder her, ein paar Gedanken. Dies in der Hoffnung, sie würden zu irgendetwas führen.

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