«Eh bon - ich verstehe gar nicht alles ganz klar, Monsieur Ledermann, vor allem nicht, welche Vorhaben Sie haben vor mit mir.» - «Keine Angst, nur solche, über die wir bereits gesprochen haben, das gewissermassen Selbstverständliche! Wir sind doch alle froh über die Plattformen, die uns angeboten werden und die es uns erlauben, unsere Botschaften bekannt zu machen.» - «Qu‘est-ce que ça veut dire? Was wollen sie genau? Welch Botschaften, nom de Dieu!» - «Da ich weiss, wie kompliziert Ihre Terminplanung ist, ....» - «Non, non, nicht kompliziert, nur so wie bei allen: Entweder schon besetzt oder noch leer oder man kann umlegen oder nicht.» - «Genau, also gut, lassen Sie uns auf das kommende Schuljahr blicken, im Februar nach der Berlinale - könnten Sie da? Drei oder besser vier Wochen wären ideal, Sie würden im Oberkurs für die Regieklasse wie auch im allgemeinen Einsteigerkurs auftreten.»
«Ich will nicht auftreten, ich will, comment dire, unterrichten ist nicht das richtige Wort, kommen in konkrete Kontakt, en anglais "to exchange" mit die Studenten. Sie haben sicher gehört, dass wir sind gestossen auf problèmes bei die Regieklasse, auf Widerstand. Résistance mit endlos Diskussion. Wir sollten abwarten die Resultate, bevor wir planen in die Zukunft, je pense.» - «Aber Madame, ich versichere Ihnen, das hat nichts zu bedeuten. Ich kenne meine Pappenheimer, die sind alle ganz harmlos, die benehmen sich bei neuen Professoren immer so. Ich weiss nicht genau, was sie sich dabei denken, es muss sich um einen altersbedingten, antiautoritären Reflex handeln. Wir waren in dieser Hinsicht früher um einiges schwieriger, vermute ich.
Auf jeden Fall wird es ihnen eines Tages wieder bewusst werden, das versichere ich Ihnen, dass nicht sie die Verantwortung für die Auswahl der Dozenten tragen und dass wir schlussendlich ihre Leistungen aufgrund der Arbeiten und Aufgaben, die ihnen von eben jenen Dozenten gestellt werden, beurteilen. Und ein Diplom wollen die alle, da können Sie darauf wetten. Es gibt sogar einige unter ihnen, die wollen nichts anderes als das. Was ein Problem ist, weil es viel zu wenig ist. Aber, kommt Zeit, kommt Rat. Das kriegen wir in den Griff, da bin ich mir sicher. Auf jeden Fall darf dies nicht Ihre Sorge sein. Jetzt ist erst einmal wichtig: Könnten Sie im Februar?»
Montclaire greift nach ihrer Agenda, die sie in ihrer grossen Lederhandtasche verwahrt. Da klingelt ihr Handy, das neben der Agenda liegt. «Oui, hallo?» - «Madame Montclaire? C‘est Blinker, Horst Blinker, vous souvenez vous?» - «Mais oui, naturellement. Aber wir können gut auch in Deutsch sprechen. Das ist sicher einfacher für Sie. Also, was Sie wünschen, Monsieur?» - «Perfekt, also hören Sie. Ich möchte Sie bitten, für mich ein Casting durchzuführen. Es handelt sich um eine Geschichte, die zum Teil in Südfrankreich spielt, weshalb ich sofort an Sie gedacht habe. Das Drehbuch ist im Entstehen begriffen. Sie haben doch eine Ilena Halbeisen in der Regieklasse der dffb? Ja? Ihr Vater Hieronymus Halbeisen schreibt das Drehbuch. Falls Sie ihn sehen sollten, so sagen Sie ihm bitte . . .»
«Mais Horst, wenn es noch nicht gibt die Buch, so kann ich doch nicht gut machen le Postbote, ç‘est impossible! Je m'en vais justement dans le Sud de la France. In die Ferien. Rufen Sie mich doch im Herbst wieder an.» - «Das Drehbuch wird nach einem Bericht eines englischen Arztes geschrieben. Absolut spannend. Besser als jeder Krimi. Sie bekommen es von mir schon mal als Ferienlektüre an Ihre Adresse in den Pyrenäen zugesandt. Couiza stimmt doch noch immer, ja?» - «Oui, wenn Sie unbedingt wollen.» «Ich will auf jeden Fall, und im Herbst sehen wir weiter.» Und schon hatte Blinker aufgehängt.
Madame Montclaire hatte sich in der Nähe des aalglatten Otto Ledermann zunehmend unwohl gefühlt. Und nun noch dieser Blinker, was hatte sein Telefonanruf eigentlich zu bedeuten? - Bereits am ersten Tag hatte sie Ilena Halbeisen, die Studentin in der Regieklasse, bemerkt. Dies nicht nur ihres eigenartigen Namens wegen, die Übersetzung lautete vermutlich Mademoiselle Demifer, sondern aufgrund einer unbegründbaren, unmittelbaren Vertrautheit, die sich im Umgang mit ihr eingestellt hatte. Isabelle Montclaire war erfahren im Lesen von Erstbegegnungen und deshalb insgeheim gespannt darauf, was sich weiter mit Frau Halbeisen entwickeln würde, ohne dass sie sich dies hätte anmerken lassen. Aber wieso wurde sie gerade von diesem Blinker auf Ilena Halbeisen verwiesen? Führte er mit ihr etwas im Schilde?
Während Isabelle Montclaire ihren seelischen Beobachtungen nachsinnt, möchte ich sie in der Zwischenzeit dem Leser näher vorstellen. Ich kenne sie, seit sie geboren wurde und darüber hinaus. Die Schicksalsknoten ihres Lebensweges decken sich mit den Pulsationen meiner geistigen Aktivität und die Bilder, die sie in ihrer Seele bewegt, spiegeln sich im weissen Blut, das durch meine Schwingen rinnt:
«Isabelle Montclaire ist, wie sie selbst sagt, zum Film gekommen wie die Jungfrau zum Kind: Ein kurz vor den Schlussexamen abgebrochenes Medizinstudium in Paris, eine einwöchige Ferienvertretung als Garderobiere bei einer grossen Filmproduktion - Isabelle hatte dabei eine Freundin ersetzt, die unbedingt einige Tage mit ihrem neuen Liebhaber verbringen wollte - und dann auf dem Set ein Herzinfarkt des Regisseurs, den sie blitzschnell vollkommen richtig behandelte. Das war es eigentlich.
Der berühmte Eddie Rhôner, der bereits zuvor einen Infarkt erlitten hatte, vertraute seine Arzneimittel und die dazu gehörigen Spritzen und Kanülen seinem Regieassistenten an, der sich glücklicherweise daran erinnerte, dass ihm die Garderobiere ihre Krankheitsvertretung als Medizinerin vorgestellt hatte. Wenn Rhôner auf den später eintreffenden Arzt hätte warten müssen, wäre er in der Zwischenzeit gestorben. Das hat der Arzt später bestätigen müssen.
Nach diesem Vorfall ging es auf dem Set drunter und drüber. Alles drängte zur Eile, das Geld versickerte, der Regisseur lag im Spital. Dann ein Streit zwischen der Produktionsleitung und den Produzenten in der Frage, wie man weiter machen wolle. Montclaire war täglich im Spital und protokollierte minutiös den Zustand des Patienten. Rhôner war ihr unbeschreiblich dankbar, nachdem es klar war, dass er ihr das Leben verdankte. In den Stunden, wo sie an seinem Krankenbett weilte, weihte er sie allmählich in den Film ein und bemerkte an ihr die gleiche intelligente, zupackende Art, mit der sie sich mit den Problemen einer ins Stocken geratenen Filmproduktion beschäftigte, und die sie auch im Moment seines Infarktes an den Tag gelegt hatte. Und wenn er damals die Todesangst kennengelernt hatte, so war es die über ihn gebeugte Gestalt von Isabelle gewesen, die ihm das Quentchen Vertrauen eingeflösst hatte, das den Lebenswillen anfacht.
Wie konnte es sein, dass jemand, der nur einige Tage am Set war und das Script vermutlich gar nicht gelesen hatte, die Beziehungen zwischen den Filmcharakteren wie auch die ganz anderen zwischen den Schauspielern und den Produktionsverantwortlichen so gut kannte! Rhôner erschien es wie ein Wunder.
Um es kurz zu machen: Die ungewöhnlichste Lösung für die Fortführung des Films trat ein. Der Regisseur leitete über Isabelle Montclaire vom Krankenzimmer aus die Dreharbeiten weiter. Die beiden trafen sich täglich frühmorgens wie spätabends im Spital. Und es trat das ein, wofür der Regisseur bei den Produzenten seine Hand ins Feuer gelegt hatte und damit ein grosses Risiko eingegangen war: Isabelle Montclaire begegnete am Set keiner einzigen nennenswerten Schwierigkeit. Niemand fand einen Grund, sie zu kritisieren. Sie gab sich keine Blösse, kannte sich bald im Drehplan bestens aus, liess die Filmtechniker in Ruhe, besprach sich, während das Licht eingerichtet und die Kamera in Position gebracht wurde, vor den jeweiligen Aufnahmen in bescheidenem und ermunternd wohlwollendem Ton mit den Schauspielern, und wenn sie eine persönliche Auffassung der zu drehenden Szene verfolgte, so merkte es niemand, da ihre Anweisungen als von Eddie Rhôner übermittelt aufgefasst wurden. Das ging bis zum Schnitt so weiter. Rhôner konnte sich unbesorgt die Ruhe gönnen, deren er aus ärztlicher Sicht bedurfte. Denn er wusste, was er für sich behielt, dass sein Film durch die Mitwirkung von Montclaire keineswegs leiden würde. Ganz im Gegenteil.
Читать дальше