»Hm hm«.
»Na, siehste. Kurzfristig stornieren kostet Geld – wahrscheinlich musst du sogar den vollen Preis zahlen - für nichts! In dem Nest wird wohl spontan eher niemand ein Zimmer suchen …«
»Nest? Du sprichst von meinem Heimatdorf«, unterbrach Julia entrüstet.
»In dem du seit wie vielen Jahren nicht mehr warst?«
»Egal – Heimat bleibt Heimat!«
Sonja atmete hörbar ein. »Also gut. Das Zimmer im Hotel deines Heimatdorfes kostet storniert so viel wie belegt. Das ist rausgeworfenes Geld und würde deinem Herzblatt nicht gefallen. Wo er so hart dafür arbeiten muss.«
»Du fängst schon wieder an …«, wies Julia ihre Freundin zurecht.
»Wie dem auch sei … Los jetzt! Hoch von der Couch und ab unter die Dusche. Und dann weg mit dir.« Sonja sandte einen dicken Schmatzer durchs Telefon und legte auf.
Julia starrte auf das Telefon. Es würde Roman nicht gefallen, wenn sie ohne ihn dort übernachtete – schon gar nicht nach dem Streit. Klar, er hatte gesagt, sie könne alleine fahren. Weil er davon ausgehen konnte, sie würde es sowieso nicht machen. Da war es leicht, sich gönnerhaft zu geben. Andererseits: Vielleicht war es mal an der Zeit, ihm das Gegenteil zu beweisen. Das Hotel war gebucht und bezahlt, die Zusage an das Festkomitee schon vor Wochen raus. Und wer sollte die Rede halten, die sie sich hatte aufschwatzen lassen als ehemalige Klassensprecherin? »Ich könnte sie Rebecca per Mail zukommen lassen«, überlegte Julia. Rebecca war schon zu Schulzeiten die geborene Entertainerin gewesen.
Das Telefon klingelte erneut. Gedankenverloren meldete Julia sich mit einem fragenden »Ja?«. »Habe ich es doch geahnt! Warum bist du noch nicht unter der Dusche?«
»Weil ich noch einen Augenblick nachgedacht habe, Sonja!«
»Du bist wirklich ein schwerer Fall«, seufzte die Freundin dramatisch. »Was gibt es denn noch zu überlegen?«
»Ich weiß einfach nicht, ob das so eine gute Idee ist«, antwortete Julia. »Roman hat zwar gesagt, wenn es mir so wichtig wäre, müsste ich eben allein dahin gehen, aber …«
»Na, dann ist doch alles gut«, warf Sonja ein.
»Eben nicht!«, widersprach Julia. »Ich kenne ihn besser als du. Er geht mit Sicherheit davon aus, dass ich ihn heute Abend begleite.«
»Dann muss eine andere Begleitung her.«
»Soll ich einen Escort-Service buchen oder was?«
»Spare dir das Geld. Ich würde mich opfern und dich bei diesem komischen Dinner vertreten, wenn es dir die Entscheidung erleichtert.«
»Du? Ihr beide seid doch wie Hund und Katz`.«
»Deswegen habe ich ja auch opfern gesagt. Ich werde mich zusammenreißen und die Krallen bei mir behalten«, versprach Sonja.
»Magst du nicht vielleicht lieber mit mir zum Klassentreffen fahren?«
»Um deine Anstandsdame zu mimen? Nein, danke, hab du mal schön alleine Spaß! Und auf notgeile Vierziger habe ich auch keinen Bock.« Sonja machte eine kurze Pause. »Zudem bin ich mir sicher, dass Roman damit noch viel weniger klar käme. Das sieht doch aus, als hätten wir beide nur darauf gewartet. Und dass Roman mich für den schlechtesten Einfluss aller Zeiten für dich hält, weißt du doch wohl? «
»Wo du recht hast, hast du recht!«, gestand Julia ein. »Bleib mal in der Leitung, ich frag' ihn, ob er dich als Ersatz für mich akzeptiert.« Bevor Sonja etwas einwenden konnte, legte Julia das Telefon ab und verließ kurz das Zimmer.
***
»Sonja?« Julia plumpste zurück auf die Couch, »Er ist schon weg! Und anrufen will ich nicht, weil er jetzt bestimmt in dem Meeting sitzt.«
Einen Moment lang schwiegen beide Frauen. Im Hintergrund hörte Julia, wie eine Männerstimme Sonja um irgendeine Akte bat. »Kommt sofort«, hörte sie ihre Freundin sagen und dann wieder zu ihr: »Sei mal mutig und mach' dein eigenes Ding. Fahr einfach! Ich komme nachher rüber und frage deinen Mann ganz artig, ob ich mit darf«, sagte Sonja leicht genervt. »Nur bitte, entscheide dich endlich! Ich kann nicht den ganzen Vormittag privat telefonieren. Also: drei – zwei – eins …«
»Ok - überredet: Ich fahre.« Julia fühlte sich trotz aller guten Argumente nicht wohl dabei. Aber sie gab sich betont heiter. »Wenn Roman es zulässt, dann mach' dir einen schönen Abend mit meinem Mann. Sei so um halb acht da. Das Essen ist für zwanzig Uhr angesetzt. Ich schicke Roman eine Nachricht aufs Handy. Dann hat er wenigstens von mir erfahren, dass ich ohne ihn weg bin.«
»Na, dann will ich dich nicht länger aufhalten!« In Sonjas Stimme lag ein Hauch von Triumph. »Denk' an die Fotos … ich will unbedingt wissen, was da so abgeht.«
»Was soll da denn abgehen?«, entgegnete Julia, aber Sonja hatte bereits eingehängt. »Gar nichts wird da abgehen«, murmelte Julia und rappelte sich von der Couch hoch. »Die Einzige, die jetzt abgeht – nämlich ab unter die Dusche und dann ab ins Auto – bin ich. Sonst überlege ich mir die ganze Sache vielleicht doch noch mal.«
Mit einem zufriedenen Lächeln legte Sonja auf. Dass Roman sie womöglich nicht mitnehmen würde, darauf verschwendete sie keinen Gedanken. Es war jetzt halb elf. Um 16:00 Uhr hatte sie Feierabend. Vielleicht würde der Chef ihr auch schon ein bisschen eher frei geben, wenn sie ihn ganz nett darum bat. Etwas mehr Zeit, um sich auf ein luxuriöses Dinner mit Roman vorzubereiten, konnte keinesfalls schaden. Ein Mann wie Roman hatte schließlich ein Anrecht darauf, dass man sich für ihn besonders in Schale warf – selbst, wenn man nur der Ersatz für die verhinderte Gattin war. Vielleicht auch gerade deswegen.
Und da Roman ja leider vergeben war: Vielleicht war einer der anwesenden spanischen Herren eine lohnenswerte Alternative und bereit, ihrem Singledasein ein bezauberndes Ende zu bereiten.
Sonja hatte den Eindruck, dass Julia gar nicht wusste, was für ein Prachtexemplar von Mann sie da als Ehemann hatte. Das ganze Gezeter über zu viel Arbeit und zu wenig Zeit für einander war ihrer Meinung nach Gejammer auf hohem Niveau.
Roman sah toll aus, war intelligent, hatte Style und einen überaus einträglichen Beruf. Selbst wenn Julia ihre Lehrtätigkeit an den Nagel hängen würde, konnte sie ein äußerst angenehmes Leben führen. Ganz im Gegensatz zu ihr, die für einen miesen Vorzimmerjob ebenso mies bezahlt wurde und nach Feierabend in ein leeres, kleines Appartement zurückkehrte.
Sonja seufzte. So einer wie Roman wäre genau der Richtige für sie. Er könnte ihr den Lifestyle bieten, von dem sie träumte, seit sie ein Teenager war: Shoppen in Mailand oder Paris; Urlaub an weißen Stränden; Speisen in den exklusivsten Restaurants und ein rassiger Sportwagen. Im Gegenzug würde sie liebend gerne jeden Abend mit und für ihn repräsentieren, Klienten umschmeicheln und das langweilige Damenprogramm über sich ergehen lassen. Aber leider waren Roman und andere beste Männer immer schon vergeben. Und was übrig blieb, taugte höchstens für ein oder zwei gute Nächte. Dann hatten sie entweder das Konto überzogen oder gestanden reumütig, verheiratet zu sein.
Doch von derart trüben Gedanken wollte Sonja sich die Vorfreude nicht vermiesen lassen. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt – sie war nur allzu gerne bereit, sich endlich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.
Aber jetzt war erst einmal die Arbeit dran. Sonja nahm den Ordner mit der Aufschrift Umbau – Planung – Kosten aus dem hinteren Schrank und pustete flüchtig über den Rand. Seit Monaten hatte sich da nichts getan. Angeblich fehlten irgendwelche Genehmigungen. Ob es jetzt endlich durchgegangen war? Dann würde sie nämlich bald aus diesem winzigen Büro herauskommen. Das Neue war den Plänen nach mindestens dreimal so groß und hatte eine großzügige Fensterfront mit Blick auf den Stadtpark. In ihrer Vorstellung war es schon perfekt eingerichtet und bot ein exquisites Ambiente.
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