Roman führte dasselbe Leben. Wie konnte er sich also sicher sein, dass Julia nicht ebenso empfand wie die Frau? »Das hätte ich doch gemerkt. Und sie hätte auch bestimmt schon mal was gesagt.« Julia war ja nicht schüchtern. Wenn ihr etwas nicht passte, konnte sie ziemlich ungemütlich werden.
»Sie hat in letzter Zeit ziemlich viel gemeckert.«
»Das war doch nur Geplänkel!« War es das wirklich? Auf einmal tauchten Bilder auf und Gesprächsfetzen, die durchaus auch anders interpretiert werden konnten. »Du machst immer nur deinen Kram. Und wenn es schief geht, dann bringst du eben ein paar Blumen mit. Ist ja ganz einfach! Aber ändern tut sich gar nichts. Ich möchte wetten, in ein paar Tagen stehen wir wieder genauso hier, wie jetzt.« Sie hatte die langstieligen Rosen achtlos auf den Tisch gelegt. »Roman, wie lange soll das noch gut gehen?«
Vor zwei Wochen war das gewesen.
Roman fühlte sich plötzlich unwohl. Die Richtung, die seine Gedanken nahmen, gefiel ihm nicht. Er wollte sich ein Leben ohne Julia nicht einmal im Ansatz vorstellen. »Muss ich auch nicht«, beruhigte er sich selbst. »Es ist nur alles gerade ein bisschen viel!« Er atmete tief ein. Sie hatten gestritten, er war nicht ganz fair gewesen, ein Wort hatte das andere gegeben. Das sollte man nicht überbewerten. Und eigentlich hatte sie ihm ja auch gar nicht gedroht. Sie hatte im Zorn darauf hingewiesen, dass man im Falle eines Falles im Telefonbuch einen Anwalt finden konnte.
»Wir sollten mal wieder Urlaub machen? Möglichst weit weg. Thailand soll schön sein. Und traumhafte Strände haben.« Roman nahm sich vor, die Sache gleich nachdem die Spanier abgereist waren, in die Hand zu nehmen. Er hatte schon lange vorgehabt, den Tauchschein zu machen. Khao Lak? Phuket? Oder doch auf Phi Phi? »Ich werde darüber nachdenken.«
Die Sicherheit gewann wieder die Oberhand. Vermutlich war es einfach nur Sonja, Julias beste Freundin, die am Telefon war. Sie wusste schließlich, dass Julia und er heute zu diesem Klassentreffen hatten fahren wollen. »Wobei ich jetzt nicht wirklich enttäuscht bin, weil das ausfällt«, murmelte Roman. Es gab definitiv spannendere Ereignisse als eine Feier, bei der sich alle wie auf einem Kindergeburtstag benahmen, weil sie sich plötzlich wieder ganz jung fühlten.
Julia würde jetzt ordentlich vom Leder ziehen und ihrer besten Freundin vorjammern, dass sie nicht fahren würden. Würde sich beklagen, wie schlecht und gemein ihr Ehemann war und obendrein ein doofer Karriererist. »Soll sie doch«, brummte Roman. »Wenn sie sich danach besser fühlt.« Sonja würde ihren Job als beste Freundin wie immer ernst nehmen und intensiv ins selbe Horn blasen. Aber was Sonja sagte oder von ihm dachte, war ihm wirklich mehr als egal. Ebenso egal wie das, was die beiden Frauen sich sonst noch zu erzählen hatten. Handtaschen, Schuhe, Maniküre – der ganze Weiberkram eben. Das war es nun wirklich nicht wert, dass er es belauschen wollte.
Roman griff nach seiner Aktentasche und legte sich das Jackett über den Arm. Vor Julias Zimmer zögerte er kurz. Sollte er nett sein, klopfen und wenigstens kurz auf Wiedersehen sagen? Nein, entschied er. Sie hatte sich in ihr Arbeitszimmer verkrochen. Sie hatte die Tür geschlossen – und hatte damit ein mehr als deutliches Zeichen gesetzt.
Nein! Er hatte es beileibe nicht nötig, zu Kreuze zu kriechen.
Auf dem Weg über den Hof bedachte er Julias Wagen mit einem abschätzigen Blick. Wie gerne würde er die Schrottkarre lieber heute als morgen gegen einen repräsentativen Geländewagen eintauschen. Einen mit Automatikgetriebe, denn Julia verstand das Zusammenspiel von Kupplung und Gas sowieso nicht.
Das Problem war diese frauentypische emotionale Bindung zwischen Julia und ihrem Auto. »Es ist mir egal, ob die Leuten denken, wir könnten uns kein besseres leisten. Dieses Auto fahre ich seit zehn Jahren. Es hat mich nie im Stich gelassen“, schmetterte sie seine Vorstöße regelmäßig ab, um dann mit vorwurfsvollem Unterton nachzusetzen: »Damit sind wir damals an den Bodensee gefahren. Erinnerst du dich nicht?« Und wie er sich erinnerte: 45 magere PS, die sich mühsam über jeden Hügel quälten und Sitze ohne jeden Komfort; eine defekte Klimaanlage und Stoßdämpfer, die diese Bezeichnung nicht verdienten. War es wirklich zu viel verlangt, dass sie ein bisschen Rücksicht auf sein Ansehen nahm? Er erwartete doch nur, dass sie sich ein Stück dem anpasste, was er repräsentierte: Erfolg und Lifestyle. »Aber gut!«, murmelte er. »Wenn sie sich partout keinen anderen Wagen aussuchen will …« Er grinste unwillkürlich: Julias Geburtstag war in zwei Monaten. Ein Geschenk würde sie wohl kaum ablehnen können.
»So, da bin ich wieder«. Mit dem Telefon am Ohr und ihrer Tasse jetzt kalten Tees ging Julia auf die kleine Couch im hinteren Teil ihres Arbeitszimmers.
»Was treibst du denn da?«, fragte Sonja.
»Tür zumachen, Tee trinken, aufräumen!«
»Musst du nicht noch Köfferchen packen? Haare machen oder so was?«
»Nein, Klassentreffen fällt aus!«
»Wie, fällt aus? Grippewelle? Erdbeben? Auto kaputt? In diesem Fall, meine Liebe, lass dir sagen: Es gibt auch noch die Bahn und Fernbusse.«
Julia schlürfte ein wenig von dem Tee, bevor sie antwortete: »Weder noch. Roman hat überraschend ein Meeting mit den Spaniern. Wir müssen heute Abend schick essen gehen.«
»Und das lässt du einfach zu?«
»Habe ich eine Wahl?«
»Frau hat immer eine Wahl!«, meinte Sonja im Brustton der Überzeugung.
»Ja, wenn sie wie du Single ist. Als Gemahlin von Staranwalt Roman Baker sieht das anders aus«, erwiderte Julia frustriert.
»Fahr alleine«, schlug Sonja vor.
»Ganz bestimmt nicht. Was sollen denn die Geschäftspartner denken, wenn ich meinen Mann nicht auf dieses Dinner begleite?«
»Lass sie denken, was sie wollen!«
Julia zuckte unmerklich zusammen. Letzte Woche hatte sie Roman noch vorgeworfen, sich in der Hauptsache Gedanken darum zu machen, was die Leute dachten. Jetzt blies sie wie selbstverständlich in dasselbe Horn. Es war zum Verrücktwerden. »Da wird doch gleich gemunkelt, wir hätten eine Ehekrise.«
»Habt ihr nicht?«
»Was soll das denn bitte jetzt?« Julia richtete sich auf und stellte die Teetasse geräuschvoll auf dem Glastisch ab. »Scheiße …«, rutschte es ihr heraus. Mit dem Ärmel ihrer Strickjacke wischte sie erst über die Platte, dann über den Tassenboden. Ehekrise! Warum musste Sonja gerade jetzt davon anfangen? Vielleicht war es doch nicht so klug, sich wegen jeder Kleinigkeit bei Sonja auszuheulen.
»Ich meine ja nur«, lenkte Sonja ein und schalt sich selbst eine Idiotin. Sie hätte es wissen müssen. Da konnten im Hause Baker noch so sehr die Fetzen fliegen, es war KEINE Krise – da waren sich Roman und Julia dann ausnahmsweise mal einig. »Vergiss es einfach, ok?«
Als Julia nicht gleich antwortete, sprach Sonja in versöhnlichem Ton weiter: »Also, wenn ich du wäre, dann würde ich fahren. Du hast dich so sehr darauf gefreut. Denk doch mal, wie lange du deine ehemaligen Schulkameraden nicht mehr gesehen hast. Soweit ich mich erinnere, warst du wegen irgendwelchen geschäftlichen Terminen von Roman weder beim 15-jährigen noch beim 10-jährigen Treffen. Ich finde, es wird mal langsam Zeit, dass du dich …«
»Ist ja gut, ist ja gut!«, unterbrach Julia ihre Freundin. »Ich habe dich verstanden.«
»Wie schön«, flötete Sonja durch die Leitung. »Dann freue ich mich wahnsinnig, wenn du mir heute Abend oder heute Nacht«, das breite Grinsen war überdeutlich zu hören, »ein paar interessante Bilder über WhatsApp schickst.«
»Mal sehen.« Julia lächelte nachsichtig: Sonja und ihre schmutzige Fantasie.
Sonja spürte, dass sie fast gewonnen hatte. »Süße, alleine auf ein Klassentreffen gehen ist kein Verbrechen. Niemand sagt, du sollst Ehebruch begehen. Niemand zwingt dich, dir die netten Burschen überhaupt anzusehen. Aber ganz entspannt Hallo zu sagen und vielleicht ein oder zwei Gläschen auf die schöne alte Zeit zu trinken, das wird doch wohl drin sein. Ist das Hotel nicht auch schon gebucht?«
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