Ihr Blick lässt mich verstummen. Ihre Augen wirken plötzlich kalt und unnachgiebig.
„Vorausgesetzt du willst das überhaupt“, raune ich verunsichert.
„Was will ich?“, fragt sie barsch.
„Das ich mich daran gewöhne“, antworte ich vorsichtig und trinke noch einen Schluck Kaffee.
Sie sieht mich abschätzend an und raunt: „Ich weiß nicht, was ich will. Ich kann dich nicht einschätzen, nicht, was du willst und nicht, zu was du fähig bist. Und ich kann schon gar nicht einschätzen, wie das mit den Drogen läuft.“
Ihre Worte sind ehrlich und erbarmungslos. Dennoch schmeißt sie mich nicht einfach raus. Sie gibt mir ein wenig Hoffnung, dass sie mir auch diesmal eine Chance gibt.
„Gut, das war ehrlich. Dann ist es ja gut, dass ich es für uns zwei weiß“, sage ich lächelnd und erhebe mich von meinem Stuhl. Ich möchte ihr zuversicht geben und Hoffnung in unsere Sache. Es ist für mich unerträglich, dass sie denkt, ich nehme die Drogen wegen ihr.
Ich ziehe sie von ihrem Platz hoch und direkt vor meine Füße. „Ich weiß zum Beispiel, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Wahrscheinlich das erste Mal in meinem Leben“, gestehe ich. „Und das lasse ich mir nicht nehmen. Ich weiß, dass es kein Zufall war, dass Ellen dich zu mir brachte und dass wir zusammengekommen sind. Das Schicksal hat die Fäden gezogen und soll ich dir mal etwas ganz Irres erzählen?“ Mir drängt sich eine Erinnerung auf, die mir einen Augenblick den Atem nimmt. „Im Frühjahr war ich bei einer Wahrsagerin und die hat dich mir vorausgesagt. Aber ich habe das nicht richtig verstanden und wirklich glauben wollen. Und jetzt sind wir zwei hier, haben die zweite Nacht zusammen verbracht und es werden noch viele folgen, hoffe ich.“ Ich versuche so unerschütterlich zu klingen, wie es geht und frage mich, ob die Aussage dieser Frau wirklich Carolin betraf. Ich hatte sie damals nicht für voll genommen und eigentlich nie wieder daran gedacht.
Meine Worte scheinen bei Carolin ihre Wirkung zu tun. Ihr Gesichtsausdruck bekommt einen weichen Zug und ihre Augen leuchten auf. Sie fragt ungläubig: „Eine Wahrsagerin? Die hat dir gesagt, dass ich dir über den Weg laufe?“
Ich nicke. „Ich werde auf jemanden treffen, die mein Leben umkrempelt, hat sie gesagt. Ich habe das erst echt abgetan. Aber jetzt!“
Sie sieht mich groß an und ich bin froh, dass sie mir das glaubt.
„Und ich werde alles in den Griff bekommen und irgendwann wird es dir nicht mehr peinlich sein, mit mir zusammen zu sein“, erkläre ich ihr und bin von meinen eigenen Worten etwas betroffen. Bisher war mir nicht wirklich klar, dass ich überhaupt mit ihr zusammen sein will.
„Du bist mir nicht peinlich. Rede nicht so einen Unsinn“, brummt sie.
Dass sie das behauptet, das erwärmt mein Herz, von dem ich immer glaubte, es wäre zu einer Trockenpflaume verkümmert. Hat außer Clemens und Daniel je jemand so zu mir gestanden?
„Nicht? Nah, wir werden sehen“, murmele ich herausfordernd. „Und jetzt komm, wir frühstücken später weiter. Mir ist im Moment nicht nach Essen.“
Ich ziehe sie ins Schlafzimmer und sie folgt mir mit einem Lächeln im Mundwinkel. Vor dem Bett ziehe ich ihr den Schlafanzug aus. „Das sieht echt süß aus. Aber im Moment ist es einfach nur über“, flüstere ich.
Sie sagt nichts und sieht mich nur an. In ihrem Blick liegt so viel Wärme und Zuneigung, dass ich schlucken muss. Womit habe ich sie verdient?
Langsam schiebt sie mein T-Shirt hoch und ich hebe die Arme, damit sie es mir ausziehen kann. Meinem T-Shirt lässt sie meine Hose folgen und ich ziehe sie an mich, küsse sie und halte sie fest umschlungen.
Sie ist es, die uns zum Bett dirigiert. Wir lassen uns hineinfallen und ich ergebe mich erneut in ihre unglaubliche Welt aus Leidenschaft, Wärme und Zuneigung.
Es ist mittlerweile früher Nachmittag. Während sie wieder eingeschlafen war, liege ich grübelnd neben ihr und versuche meine Gefühle zu analysieren. Dabei komme ich zu dem Schluss, dass ich mich bei ihr wohlfühle. In ihrer Nähe geht es mir gut und ich mag das Gefühl, dass sie mir gehört. Dann fällt mir Tim ein und dass der sie jeden Morgen immer anruft.
Aber an diesem Morgen wohl nicht. Oder hatten wir das nur nicht gehört?
Leise steige ich aus dem Bett und suche ihr Handy. Es liegt auf dem Küchentisch.
Zwei verpasste Anrufe von Tim und einer von Marcel - das sind definitiv zu viele und ich drücke ihr Handy ganz aus. Keiner soll sie noch erreichen. Ich bin einen Augenblick sogar so weit, es ganz verschwinden zu lassen.
Diese Anwandlung von mir will ich dann aber lieber nicht analysieren.
So rauche ich eine Zigarette und lege mich danach wieder zu der Schlafenden ins Bett. Jeglicher Versuch, selbst noch einmal einzuschlafen, scheitert allerdings erbärmlich. So lasse ich meinen Blick unschlüssig durch das wenig einladend wirkende Schlafzimmer wandern und bleibe an Carolins Gesicht hängen. Ich will nicht mehr, dass sie schläft.
Mit leichten Küssen auf den Hals und die Schulter wecke ich sie. Als sie leise murrend sich rührt, raune ich: „Hey, Schlafmütze, immer schläfst du ein. Mache ich dich so fertig?“ Dabei streiche ich ihr die Haare aus dem Gesicht.
Sie wischt sich über die Augen und sieht erst mich an, dann auf den Radiowecker. Matt lässt sie sich in die Matratze zurücksinken.
„Komm, aufstehen! Wir gehen jetzt duschen und fahren dann.“
„Wohin?“, fragt sie irritiert.
„In die Stadt, da wo das Leben tobt. Daniel fragt sich bestimmt schon, wo ich bleibe und meine Schwester kann ihr Glück sicher gar nicht fassen, dass sie ihn immer noch für sich hat. Wir wollen sie mal nicht zu sehr verwöhnen.“ Ich lache über Carolins Gesichtsausdruck und ziehe ihr die Decke weg.
„Ich bleibe hier. Fahr du allein“, murrt sie und versucht die Decke wieder über sich zu ziehen.
„Nichts da. Wir sind noch im Beziehungsübungsprogramm. Du gehörst an meine Seite. Keine Widerrede!“, befehle ich. Dass ich so etwas jemals sagen würde, hätte ich nie für möglich gehalten.
Sie scheint aber wirklich müde zu sein. Sie reagiert gar nicht auf den Umstand, dass ich immer noch mit ihr zusammen sein will.
Ich steige aus dem Bett und ziehe sie hoch. Sie ist wie eine Puppe und ich hebe sie auf meine Arme. Sofort schlingt sie ihre Arme um meinen Nacken, ohne die Augen zu öffnen und schmiegt sich an mich.
Ich gehe mit ihr durch die Wohnung ins Badezimmer.
Sie hält immer noch müde die Augen geschlossen. Ihr Gesicht liegt dicht an meinen Hals und sie atmet tief ein, als wolle sie meinen Geruch aufsaugen.
Ich stelle mich mit ihr unter die Dusche. Es ist nicht einfach, das Wasser anzustellen, ohne dass ich sie loslassen muss. Aber dann schießt der Strahl direkt auf ihren Bauch und sie reißt entsetzt die Augen auf. Aufgebracht kreischt sie los und ich halte sie lachend fest, damit sie mir nicht aus den Armen springt.
„Schatz, nicht! Das ist kalt!“, quiekt sie entrüstet.
Ich lasse sie sofort los und stelle sie auf die Füße. Das sich langsam erwärmende Wasser läuft über ihre Schultern und sie sieht mich verunsichert an.
Ich bin verwirrt. „Schatz? Das hat noch niemand zu mir gesagt“, raune ich.
Sie beißt sich auf die Lippen und sieht mich an, als erwarte sie ein Donnerwetter. Dabei ist sie so unglaublich verführerisch und das Kosewort, das ich nur aus dem Fernsehen kenne oder von anderen Pärchen, hallt in meinem Kopf wider wie ein Echo.
Ich ziehe sie an mich und küsse sie mit einer auftreibenden Leidenschaft, die mein Blut in Wallung bringt. Als ich sie wieder freigebe, sehe ich ihr in die Augen und murmele bedrohlich: „Macht nur so weiter!“
Ihr Blick lässt mich schmunzeln und ich schiebe den Duschkopf hoch, damit das Wasser über uns beide hinwegrieseln kann. Wir beginnen uns gegenseitig mit Unmengen von Seife einzuseifen und küssen uns immer wieder. Mit dem letzten Rest Schaum, der von unseren Körpern gespült wird, zieht sie mich aus der Dusche, direkt zum Schlafzimmer und ins Bett zurück. Sie schubst mich hinein und stürzt sich lachend auf mich. All die Bedenken vom Vormittag, die sie beim Frühstück geäußert hatte, scheint sie verdrängen zu wollen und ich bin froh darüber.
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