Sie überrascht mich völlig. Nie macht sie, was ich denke oder womit ich rechne.
Ich drehe mich zu ihr um, lege aber meine Hände auf ihre Arme, damit sie sie nicht wegziehen kann. Es beruhigt mich so ungemein, dass sie sie dort platzierte.
„Echt? Ellen sagte, du bist total wütend“, sage ich immer noch verunsichert.
„War ich auch. Es war nicht schön, von so vielen angesprochen zu werden. Die meisten kannte ich nicht mal. Und die haben nicht gerade nett von dir gesprochen. Und klar, war ich erst ziemlich böse auf dich und diese ganze Situation. Aber jetzt ist mir das egal. Dafür musstest du nicht extra herkommen“, antwortet sie.
Dass sie das nun so abtut, lässt mich erwidern: „Bin ich auch nicht. Es gibt noch einen anderen Grund.“
Sie versucht die Arme wegzuziehen. Wahrscheinlich, um mich ansehen zu können. Aber mir ist lieber, ich sehe ihr nicht in die Augen, bei dem, was ich jetzt sagen will.
„Es ist in den letzten Jahren noch nie vorgekommen, dass ich morgens neben jemandem aufgewacht bin. Ich bin zwar nicht direkt neben dir aufgewacht, weil du ja schon um fünf aufgestanden bist, aber du warst noch da und ich konnte deine Anwesenheit noch ein bisschen genießen. Ich wäre aber lieber neben dir aufgewacht. Nur mal so zur Probe. Und ich dachte …“
Ich schlucke schwer und sie verharrt hinter mir, wie erstarrt.
„Ich möchte heute Nacht noch einmal bei dir bleiben. Bitte! Und morgen mit dir zusammen frühstücken“, drängt es mich zu fordern. Zumindest hatte ich ein „Bitte“ eingeworfen.
Ich rechne damit, dass sie mich jetzt hinauswirft. Aber sie raunt: „Okay, dann fahr bitte dein Auto in die Garage und schließ die Haustür zu.“
Ich lasse ihre Arme los und sie lässt sich hinter mir in den Schneidersitz fallen. Ich starre sie nur an. Ist das Ganze wirklich so leicht? Was hatte ich mir für unnötige Gedanken gemacht.
„Oder habe ich etwas falsch verstanden?“, fragt sie verunsichert.
Ich stehe auf. „Nein, bestimmt nicht. Wo ist der Schlüssel?“
„Er liegt auf dem Küchenschrank … glaube ich“, antwortet sie und scheint auch etwas irritiert über den Ausgang unseres Gespräches zu sein.
Ich hole mir den Schlüssel, verlasse die Wohnung und trete durch die Haustür ins Freie. Durch eine kleine Seitentür betrete ich die leere Garage. Ich finde einen Knopf neben der Garagentür und lasse das Tor aufgleiten. Mein Mustang sieht mich an.
Ich steige ein und fahre ihn in den engen Raum. Ich muss bis ganz nach vorne fahren, sonst bekomme ich das Tor nicht wieder zu. Dafür brauche ich zwei Anläufe, bis er richtig steht. Die Nachbarn werden sich bedanken.
Ich werfe einen Blick auf die umliegenden Häuser und frage mich, ob jemand hinter den Gardinen steht, um zu schauen, was ich hier schon wieder will. Ins Haus zurückkehrend, schließe ich diesmal ab und auch die Wohnungstür oben.
Carolin liegt wieder unter ihre Decke gekuschelt und zappt durch die Fernsehprogramme. Auf dem Nachtschrank stehen zwei Gläser Orangensaft. Sie sieht mich kurz an, widmet sich dann aber wieder dem Fernseher.
Ich ziehe mich langsam aus, was sie aber nicht mit einem Blick würdigt. Darum lasse ich meine Boxershort an.
Vorsichtig steige ich zu ihr ins Bett, dränge mich an sie, meinen Arm unter ihren Nacken schiebend und küsse sie auf das Stück Schulter, dass von dem verrutschten Rüschenshirt freigelassen wird.
„Ich habe das Auto so leise wie möglich in die Garage gefahren“, raune ich.
„Geht das?“, fragt sie.
„Nicht wirklich. Du wirst wohl nicht darum herumkommen, Tim Rede und Antwort stehen zu müssen. Schon als ich kam, gingen in der Nachbarschaft einige Lichter wieder an“, versuche ich zu spaßen.
Sie legt sich auf den Rücken und sieht mich an, während ihre Hand wie selbstverständlich in meine Haare fährt.
„Ich werde nicht hierbleiben. Morgen hole ich mir die Zeitung und suche mir ein Zimmer in Osnabrück. Vielleicht in einer WG“, sagt sie.
In meinem Kopf überschlagen sich augenblicklich die Gedanken. Was ist das heute nur für ein Tag?
„Warum nimmst du mein Angebot nicht an? Ich habe eine Wohnung für dich“, sage ich, nachdem ich erst mal den Frosch hinunterschlucken musste, der sich so mühevoll hochgekämpft hatte.
„Weil ich unabhängig bleiben will. Ich bin von Marcels Wohnung in Tims gelandet und möchte nicht von hier in deiner Wohnung landen“, sagt sie und zerstört augenblicklich mein Luftschloss.
„Das ist nicht meine Wohnung. Du bekommst ganz alleine den Schlüssel dafür und du kannst so viele Männer mitnehmen, wie du willst“, antworte ich ihr grimmig, weil ich das natürlich nicht wirklich so meine.
„Echt?“ Sie lacht auf und ihre Augen funkeln belustigt.
„Nein, nicht wirklich. Aber du könntest es. Dass du das nicht darfst, liegt woanders dran. Wenn es nach mir geht, darfst du das in keiner Wohnung“, gebe ich ihr zu verstehen.
„Ach so? Warum das denn nicht?“, fragt sie entrüstet.
Wäre da nicht das leichte Schmunzeln in ihren Mundwinkeln, dann würde ich mich jetzt genötigt sehen, sie übers Knie zu legen.
„Weil es dann Tote gibt“, antworte ich ernst.
Auch sie wird ernst. „Okay. Ich habe das auch nicht vor. Aber ich möchte morgen erst mal in die Zeitung schauen.“
„Mach das. Aber das Angebot bleibt bestehen. Und wenn Tim hier übernächste Woche aufkreuzt, wirst du nicht hier schlafen. Dass das klar ist!“, knurre ich.
Sie sieht mich verdutzt an und ihre Hand verharrt sogar in meinen Haaren. „Woher willst du wissen, wann er kommt?“, murmelt sie verwirrt.
„Ich habe ihm heute eine SMS geschrieben und er hat mich angerufen.“
„Ihr schreibt euch und telefoniert zusammen?“, fragt sie völlig baff.
„Wie ihr auch jeden Tag.“
Sie wirkt verunsichert. „Hat er das gesagt?“
„Das und vieles mehr.“ Das stimmt nicht. Aber ich möchte sie bezüglich Tim wirklich verunsichern und sie etwas gegen ihn aufbringen.
„Warum hast du ihm geschrieben?“ Sie sieht mich fassungslos an.
„Weil ich mit ihm sprechen wollte.“
„Worüber?“
„Ich wollte wissen, wann er hier wieder aufkreuzen will. Das muss ich wissen, damit du dann nicht hier bist. Und ich bin nicht davon ausgegangen, dass du mir das ehrlich sagen wirst.“
Ich rechne damit, dass sie wütend wird, weil ich so offensichtlich in ihrem Leben herumfusche. Aber weit gefehlt.
„Hätte ich auch nicht. Aber ich wäre trotzdem nicht hiergeblieben.“
„Nicht?“, raune ich ungläubig.
„Nein! Tim ist mir wirklich ein guter Freund. Aber ich bin monogam. Das habe ich dir schon mal gesagt“, meint sie mit einem Augenaufschlag, der sogar Steine erweicht.
„Stimmt. Aber ich habe etwas Schwierigkeiten das zu glauben, wie du dir denken kannst. Und du hast mir erklärt, dass dieses Monogam sich darauf bezieht, dass du in einer Beziehung lebst. Und da bin ich mir nicht sicher, wie du das jetzt hältst“, brumme ich.
„Eine gefühlte Beziehung reicht mir, um monogam zu sein“, säusele sie und grinst frech.
Ich muss auch schmunzeln. „Eine „gefühlte“ Beziehung? Ist das sowas wie die gefühlten Temperaturen im Winter?“
„Ja, genau. Nicht wirklich …, sondern gefühlt.“
Sie überrascht mich. Also will sie tatsächlich treu sein. Für mich!
„Okay“, kann ich nur antworten und lege mich hin, meinen Kopf auf ihre Schulter bettend. Ich will ihr nahe sein.
Meinen Arm schiebe ich seufzend über ihren Bauch und ich rutsche mit meiner Wange etwas tiefer zu ihrer Brust.
Sie legt ihre Hand wieder in meine Haare und krault durch meine Locken.
So liegen wir einfach nur da, als der Fernseher ausgeht. Ich beachte das nicht weiter und genieße ihre Nähe, mich etwas dichter an ihren warmen Körper schiebend. Das Ganze beruhigt mich ungemein und ich schließe die Augen. Auch eine Art, mein Innerstes zu beruhigen und mich wieder schlafen zu lassen. Ich bin überrascht darüber und genieße die innerliche Ruhe, die sich in mir ausbreitet.
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