„Ich bin schwanger“, platzte Henriette mit der Neuigkeit heraus, weil sie dem Druck nicht länger standhielt. Sie musste ihn loswerden. Die Last teilen, jemand anderem aufbürden, wie auch immer. Hauptsache, dass sie damit nicht länger alleine war, ansonsten hätte sie vermutlich in der nächsten Sekunde zum Messer gegriffen.
Jeanne pfiff leise durch die Zähne. „Das ging ja schnell. Dabei hat der Duc erzählt, dass Philippe erst seit heute Morgen zurück ist.“ Es hätte sicherlich ein Witz sein sollen, doch nicht einmal Jeanne lachte. Henriette zerknüllte die Serviette in ihrer Hand.
„Philippe ist nicht der Vater, das ist ja das Problem.“ Die Übelkeit ließ langsam nach.
„Henriette! Du Teufelsweib“, rief Jeanne mit schmunzelnder Strenge aus. „Ausgerechnet du lachst dir einen anderen an?“
„Das ist nicht lustig.“ Sie legte sich die Hände auf den Bauch. Eine selbstverständliche Geste, die jetzt eine gänzlich andere Bedeutung bekam. Schnell streckte sie ihre Arme neben dem Körper aus. Fehlte noch, dass sie Gefühle entwickelte!
„Natürlich ist es nicht zum Lachen“, lenkte ihre Freundin sofort ein. „Aber bisher nahm ich an, dass Luc die Liebe deines Lebens ist.“ Nachdenklich schweifte Jeannes Blick ab, bis sie Henriette mit betroffener Miene wieder in Augenschein nahm. „Ist er am Ende der Vater?“, flüsterte sie und wandte kurz ihren Kopf zur Tür.
„Ja.“ Ein einziges Wort, das die Macht hatte, sie zum Weinen zu bringen.
„Was wirst du jetzt tun?“ Fürsorglich wischte Jeanne ihr mit der Hand über die Wangen und machte den Anschein, als hätte sie am liebsten mitgeweint. „Und wann ist es passiert?“
„Im Oktober“, erwiderte Henriette schniefend. „Ich bin keineswegs stolz darauf, aber es ist nun mal geschehen. Weil ich Luc vertraut und geliebt habe. Was ihn dazu bewog, weiß ich nicht.“
„Auch Liebe?“
„Liebe“, stieß Henriette verächtlich aus. „Diesmal wollte ich mit ihm gehen und habe es ihm gesagt. Er schob jedoch faule Ausreden vor, um mich davon abzubringen. Noch dazu hat er behauptet, dass er abreisen müsste. Vom Duc erfuhr ich allerdings, dass er Wochen später noch immer in Paris war. Er hat ihn Anfang November gesehen. Mit einer anderen Frau. Gemeinsam verließen sie das Cafe Procope.“
„War die Frau schön?“
„Was soll denn diese dumme Frage?“, wurde Henriette zornig, weil sie wieder von Eifersucht geplagt wurde.
„Ich höre gerne Komplimente, du kennst mich.“
„Was hast du damit …“ Henriette blickte in das lächelnde Gesicht ihrer Freundin. „ Du warst das?“
„Ich vermute schon. Charles und ich haben uns Anfang November mit Luc im Procope getroffen. Während Charles bezahlte, verließ ich gemeinsam mit Luc das Cafe. Von weitem habe ich Charlotte gesehen, mich aber sofort abgewandt. Seit dem Ball auf Schloss Ussé kann ich diese Frau nicht ausstehen. Sie war übrigens in Begleitung eines unbekannten Mannes. Erst seit heute weiß ich, dass es der Duc war.“
„Hast du einen großen Hut getragen?“ Brauchte sie tatsächlich noch eine Bestätigung?
„Einen sehr großen.“ Jeanne strich ihr über die Stirn. „Himmel, was muss dir durch den Kopf gegangen sein? Aber bei allem, was mir heilig ist, kann ich dir versichern, dass Luc nicht besser ausgesehen hat als du jetzt. Er wirkte ruhelos und bemitleidenswert unglücklich.“
Henriette war zwar erleichtert und doch blieb die Bitterkeit. Früher oder später würde es eine andere Frau in seinem Leben geben. Dass es diesmal nur blinder Alarm gewesen war, machte es kaum besser. „Tatsache ist, dass ich ihn seit dieser Nacht nicht mehr gesehen habe. Bis zuletzt hoffte ich, dass er es sich anders überlegen und mich holen würde. Leider umsonst.“
„Vielleicht wollte er dich schützen. Oder Luc ist selbst verunsichert. Immerhin hast du seinen Vorschlag damals abgelehnt und wir wissen beide, was du dir danach selbst angetan hast. Solche Gefühle zuzulassen ist eine Sache, damit zu leben eine völlig andere. Luc hat womöglich Angst, dass du es eines Tages bereuen könntest und wenn wir ehrlich sind, müsstet ihr viel aufgeben. Wärst du tatsächlich dazu imstande?“
„In jener Nacht war ich es auf jeden Fall.“
„Und in der nächsten? Oder am Morgen danach? Jahre später?“
„Niemand kann in die Zukunft sehen.“
„Ich kenne da zwar jemanden“, sie lächelte vielsagend, „aber ich stimme dir zu. In der Regel kann das keiner von uns. Doch so wie ich Luc kennengelernt habe, schätze ich ihn als sehr ehrlich ein. Ich denke, du tust ihm unrecht. Er hat sich diese Entscheidung sicher nicht leicht gemacht.“
„Und wenn schon. Es ist ohnehin zu spät.“
„Du könntest ihm schreiben.“
„Bist du verrückt? Ich dränge mich sicher nicht auf. Schließlich ist Luc gegangen, nicht ich. Damit hat er eine Entscheidung gefällt.“
„Weshalb bist du so stur?“, stocherte Jeanne in ihrer Wunde herum.
„Das solltest du lieber Luc fragen.“
„Ich frage aber dich.“ Ihre Freundin machte ein resigniertes Gesicht. „Wenn man etwas will, muss man darum kämpfen. Bloß, weil er an diesem Abend gegangen ist, heißt das nicht, dass er inzwischen nicht auch anders darüber denkt. Du hast deine Meinung ja ebenfalls geändert. Deswegen rate ich dir, einen Schritt auf ihn zuzugehen. Womöglich hadert er exakt in diesem Moment damit, dass du so schnell aufgegeben hast.“ Sie wirkte traurig, als beträfe sie die Sache selbst. „Allerdings solltest du nur auf ihn zugehen, wenn du dir absolut sicher bist. Alles andere wäre fatal. Für dich und für ihn. Außerdem kennst du Luc und solltest ihn einschätzen können, schließlich ist er kein Unbekannter.“
„Stimmt. Er ist mein Bruder.“ Egal wie oft sie es noch aussprechen würde, es fühlte sich nach wie vor fremd an. „Diese Nacht war so selbstverständlich, als wäre es anders. Und nun das. Ich stehe vor dem Scherbenhaufen meines Lebens und weiß weder ein noch aus.“
„Möchtest du das Kind?“
„Diese Frage stellt sich nicht, Jeanne. Die logische Konsequenz ist eine Abtreibung, so hart es klingt. Kennst du eine Engelmacherin?“
„Versündige dich nicht“, entfuhr es ihrer Freundin, die sich bekreuzigte. „So ähnlich habe ich einst gedacht und es bitter bereut.“
„Du kannst meine Situation nicht mit deiner vergleichen.“
„Oh doch, das kann ich. Ein Kind ist ein Kind, egal wie es gezeugt wurde. Deswegen will ich nichts mehr von einer Engelmacherin hören.“ Sie schaute erneut zur Tür. „Glaub mir, das würdest du dir nie verzeihen. Es muss eine andere Lösung geben.“
„Welche denn? Soll ich Philippe das Kind unterschieben und so tun, als würde es früher auf die Welt kommen?“
„Das wäre zumindest ein Ansatz.“
„Unmöglich! Das würde bedeuten, dass ich mit ihm schlafen müsste.“
„Das wird dir ohnehin nicht erspart bleiben.“
„Danke für deinen Zuspruch.“
„Ich sage nur, wie es ist.“
„Aber was, wenn er nach der Trauung sofort aufbrechen muss? Ich kann das Kind ja schlecht aus der Ferne empfangen.“
„Dann müsst ihr die Hochzeitsnacht eben vorziehen.“
„Bist du verrückt? Ich bin froh um jeden Aufschub! Dieser Mann ist mir nicht geheuer.“
„Pst, nicht so laut“, tadelte Jeanne, erhob sich und wanderte durch das Schlafzimmer. Ihr leuchtend rotes Kleid hatte etwas Mahnendes. „Lass mich eine Nacht darüber schlafen. Morgen habe ich bestimmt eine Idee.“ Der Taftstoff raschelte über den Eichenboden, als sie näherkam. „Wenn die Umstände mit Luc anders wären, würdest du das Kind bekommen wollen?“
„Ja“, antwortete Henriette ohne zu überlegen.
„Dann kämpf wenigstens um das kleine Wesen in dir.“
„Eigentlich wollte ich Luc vergessen.“
Читать дальше