„Ihr seht nicht gerade erfreut aus“, stellte der Duc zu allem Überfluss fest. „Dabei habe ich von Eurer Mutter erfahren, wie eng Ihr mit Jeanne befreundet seid. Deswegen dachte ich, dass es eine nette Überraschung wäre.“
„Dem ist auch so, werter Duc.“ Henriette warf ihm und Jeanne einen entschuldigenden Blick zu. „Leider habe ich starke Kopfschmerzen und mir ist etwas übel.“ Das war zumindest nicht ganz gelogen. „Deshalb bin ich etwas neben mir. Aber ich bin Euch sehr dankbar, dass Ihr meine Freundin eingeladen habt. Wirklich.“
Zufrieden lächelte er. Jeanne indes musterte sie skeptisch.
„Oh, was für ein schönes Geschirr.“ Die Mutter trat zum festlich gedeckten Tisch, auf dem ein schwerer Silberkerzenleuchter stand und begutachtete unter Françoises pikiertem Blick das Porzellan. Die violetten Teller waren im Stil des Shoki-Imari, mit japanischen Frauenfiguren, filigranen Goldeinfassungen und Blumenmotiven. Das restliche Geschirr war weiß und wirkte leicht durchscheinend. Die Vasen mit schillernden Pfauenfedern leuchteten in einem erfrischenden Kobaltblau mit goldenen Borten an der Oberseite und am verschnörkelten Fuß.
„Wir verwenden es nur bei speziellen Anlässen.“ Der Duc blickte auffordernd zu seinem Sohn, der sich erst jetzt von seinem Stuhl erhob. Henriette wollte keine Begrüßung, schon gar keinen Handkuss oder sich mit ihm unterhalten. Sie musste mit Jeanne reden. Auf der Stelle!
Leider war sie gezwungen, die Prozedur über sich ergehen zu lassen. Dann teilte ihnen der Duc die Plätze zu und sie setzten sich. Er und sein Sohn saßen am jeweiligen Ende der Tafel. Neben Jeanne befand sich ein verwaistes Gedeck, auch der Stuhl blieb leer. Wurde noch jemand erwartet?
„Entschuldigt meine Verspätung.“
Pierres und Henriettes Blicke trafen sich. Auf seinem Haar tauten Schneeflocken, die Wangen waren tiefrot und er sah durchgefroren aus. Der Duc erhob sich und hieß ihn willkommen. Wäre Henriette nicht schon schlecht gewesen, hätte ihr Magen in diesem Augenblick lauthals rebelliert. Was machte Jeannes Leibarzt hier?
Pierre nickte ihr zu, sie nickte zurück. War es Jeannes absurde Idee gewesen oder hatte er sich aufgedrängt, damit er ihr die Meinung sagen konnte? Um ihr die Abscheu ins Gesicht zu schleudern, die er auf Étiolles gezeigt, aber nicht laut ausgesprochen hatte. Oh wie sie es satthatte, dieses ständige Gefühl sich rechtfertigen zu müssen!
Louis blickte mit verengten Augen zu Jeanne. „Darf man fragen, weshalb Euer Leibarzt hier ist? Krank seht Ihr jedenfalls nicht aus. Oder ist Euch ein Mann zu wenig, Madame ?“ Er hätte genauso gut das Wort Dirne verwenden können, doch Jeanne lächelte unbekümmert und legte ihre Hand begütigend auf Charles’, der zornig zu Louis schaute.
„Für Euch Jeanne , werter Prinz. Schließlich sind wir eine große glückliche Familie.“ Pierre setzte sich neben sie. „Zu der übrigens auch mein Leibarzt gehört.“ Henriette bewunderte sie für diese Ruhe, denn ihr lagen ganz andere Worte auf der Zunge.
Louis faltete die Serviette auseinander und legte sie sich auf den Schoß. „Gibt es im Wald von Sénart eigentlich noch einen Platz, an dem Ihr nicht gewesen seid?“
„Nicht einen einzigen. Ich war sehr fleißig“, konterte Jeanne. „Aber jeder braucht eine Auszeit, insbesondere mein Mann. Er hat in den letzten Wochen eindeutig zu viel gearbeitet. Umso mehr habe ich mich über die Einladung des Herzogs gefreut.“ Charles erwiderte zwar ihr Lächeln, doch es hatte an Herzenswärme verloren. „Besonders, nachdem ich erfahren habe, dass Ihr auch dabei seid, Louis.“
„Wieso? Soll ich Eure Kutsche übermalen?“
„Kann mir mal einer sagen, worüber Ihr sprecht?“, regte sich die Großtante auf.
„Fragt Louis“, zog sich Jeanne aus der Affäre. „Er wird es Euch sicher gern erklären.“ Abwartend schaute sie zu Louis, doch er schwieg und merkte nicht, dass Charles ihn nachdenklich musterte.
„Ich für meinen Teil habe Hunger“, sagte der Duc. „Tragt die Speisen auf.“ Er nickte den Dienstmädchen zu, die sofort hinauseilten.
„Wie ich hörte, hast du meiner Zukünftigen ein Geschenk gemacht, Vater“, warf Philippe ein, der einen dunkelblauen Brokatanzug mit bestickten Silberknöpfen trug. Dazu ein weißes Hemd. Das schüttere Haar war unter einer Perücke versteckt.
„Ist das verboten?“
„Ein Kleid ist etwas zu persönlich, findest du nicht?“
Der Duc wirkte zerknirscht. „Leider bin ich etwas eingerostet im Umgang mit Frauen. Aber jede freut sich über Schmuck oder Kleider. Zumindest war es bei deiner Mutter so.“
„Womit Ihr richtig liegt“, pflichtete Henriette ihm bei. „Ich finde die Robe wunderschön.“
„Du wirst ihr nichts mehr schenken, verstanden?“, fuhr Philippe plötzlich auf. „Und Ihr, Henriette, werdet nichts mehr von ihm annehmen.“ Das war ja die Höhe! Was glaubte dieser Mann denn, wer er war?
„Eine Ehefrau ist keine Sklavin. Außerdem finde ich es achtlos, wie Ihr mit Eurem Vater redet“, stellte sich Henriette auf die Seite des Ducs.
„Daran werdet Ihr Euch gewöhnen müssen“, gab Philippe launig von sich.
„In der Tat“, bestätigte der Duc. „Mein Sohn hält nicht viel von Respekt.“
„Könnt ihr das nicht untereinander austragen?“ Françoise zog die Augenbrauen zusammen. „Und du reiß dich gefälligst zusammen, Philippe. Solltest du meinen Jungen noch einmal beleidigen, lernst du mich kennen.“ Einen solchen Einsatz hätte sich Diana bestimmt auch gewünscht und obwohl seit ihrem Tod viele Monate ins Land gezogen waren, gab Henriette nach wie vor Françoise die Schuld daran. Noch dazu fragte sie sich in stillen Stunden, was Diana ihr hätte sagen wollen.
Die zwei Dienstmädchen trugen die Speisen auf und hoben Henriette aus ihren düsteren Gedanken. Fischgeruch breitete sich aus. Zu allem Überfluss schöpfte eines der Mädchen ihren Teller voll, als würde es lange nichts mehr zu essen geben. Die Forelle starrte Henriette aus leeren Augen an, ganz so wie die Ahnenbüsten. Ihr drehten sich die Gedärme um. Nicht lange und sie würde sich an Ort und Stelle übergeben. Schnell presste sie sich die Serviette auf den Mund, doch das war nur eine notdürftige Barriere.
„Ich bin untröstlich, Herzog“, nuschelte Henriette, „aber meine Schmerzen sind kaum auszuhalten. Noch dazu macht mir mein Magen erheblich zu schaffen.“
„Soll ich dich auf dein Zimmer begleiten?“, kam Jeanne ihr sofort zu Hilfe.
„Würdet Ihr das tun, Madame?“ Der Duc wechselte einen besorgten Blick mit Jeanne, bevor er sich an Pierre wandte. „Könntet Ihr Euch meiner Schwiegertochter ebenfalls annehmen?“
„Sofern es Mademoiselle de Conti erlaubt.“ Pierre legte das Besteck beiseite. Sein Teller war noch unberührt, während es sich Charlotte als Einzige schmecken ließ. Nicht einmal die Großtante hatte einen Bissen gegessen, sondern starrte Henriette argwöhnisch an.
„Ich brauche Eure Hilfe nicht, Pierre. Genießt lieber das Essen. Meine Kopfschmerzen gehen bestimmt bald vorbei“, wimmelte Henriette ihn ab. „Jeannes Angebot nehme ich jedoch gerne an.“
„ Ich kann Euch hochbringen“, mischte sich zu allem Überfluss Philippe ein und wollte sie mit seiner blutleeren Hand am Arm berühren. Henriette schoss in die Höhe und würgte. Sofort war Jeanne bei ihr und gemeinsam verließen sie das Esszimmer.
„Leg dich auf das Bett“, ordnete Jeanne an, als sie endlich im Schlafzimmer waren. Henriette kam der Aufforderung umgehend nach. „Unser Wiedersehen habe ich mir anders vorgestellt.“ Ihre Freundin zog ihr die Schuhe aus und stellte sie neben das Bett. Dann legte sie prüfend die Hand auf Henriettes Stirn, bevor sie fürsorglich die Tagesdecke über sie breitete. „Fieber scheinst du keines zu haben, aber hast du tatsächlich Kopfschmerzen? Oder schlägt dir die bevorstehende Hochzeit auf den Magen?“
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