Eines Tages war der Palast in heller Aufregung und als Pharao den Raum seines Enkels betrat, blickte er nur in verweinte Gesichter. Geschüttelt von Weinkrämpfen hielt Ah-hotep ihr totes Kind im Arm, während Sequen-en-Re hilflos daneben stand. Ein Dämon hatte des Nachts das Leben des kleinen Ah-mose genommen. Mitten im Schlaf hatte das Kind aufgehört zu atmen und war schon fast kalt, als Ah-hotep ihren Sohn am Morgen wecken wollte. Pharao war fest davon überzeugt, dass es alleine seine Schuld war. Nur weil er sich so augenfällig bewachen ließ, war der ausgesandte Dämon stattdessen zu seinem Enkel gegangen und hatte den Giftsamen in seinem Leib abgelegt. Hätte der böse Geist doch lieber ihn heimsuchen sollen, anstatt des göttlichen Kindes, auf dem so viele Hoffnungen ruhten. Teti-scheri versuchte zwar, Pharao derartige Gedanken auszureden, lag ihrer Ansicht nach der Grund für Ah-moses plötzlichen Tod doch wohl eher im Erbe ihrer Mutter, der gerechtfertigten Neferu, die zwar leicht Kinder gebären konnte, von denen aber kaum eines das erste Jahr überlebt hatte. Doch sie konnte Pharao nicht davon überzeugen. Geplagt von Vorwürfen sowie von Schmerzen zog er sich immer mehr zurück.
Seqen-en-Re ersetzte seine Trauer durch unbändige Wut. Er besuchte seine Truppen und ließ sie wissen, was der königlichen Familie, ja, dem ganzen Land widerfahren war. Die Soldaten schlugen ihre Waffen gegen die Schilde und schrieen nach Rache, gab es für sie doch keinerlei Zweifel daran, wer der Urheber allen Übels war. Ihr Gebrüll war sogar im Südpalast von Sedjefa-taui, auf der anderen Seite des Nils zu hören, so dass Pharao ein Machtwort sprach und andächtige Trauer um das verstorbene Kind einforderte. Allein die Tatsache, dass nun noch die Nebengemahlin des Thronfolgers ein Kind erwartete, konnte sowohl die Soldaten als auch Seqen-en-Re vorerst beruhigen.
Sat-djehuti-sat-ibu litt sehr unter der Schwangerschaft. Teti-scheri versuchte ihre Tochter zu trösten, indem sie ihr darlegte, dass sie offensichtlich nach ihrer anderen Großmutter Sobek-em-saf käme. Die hatte auch immer unter den Schwangerschaften zu leiden gehabt, brachte dafür aber Kinder zur Welt, die nicht gleich im ersten Lebensjahr starben. Es war nur ein schwacher Trost für Satdji, ließ sie aber dennoch hoffen.
Trotz ihrer Trauer bestand Seqen-en-Re darauf, dass Ah-hotep, jetzt wo ihre Schwester hochschwanger war, für die Zeugung eines weiteren Kindes zur Verfügung stünde. Sie bat und bettelte, doch erst zu warten, bis Satdji entbunden hätte. Aber Seqen-en-Re war der Ansicht, dass keine Zeit zu verlieren war. Hatte sich doch wieder einmal herausgestellt, dass Weibsleute unzuverlässig waren. Entweder starben ihnen die Kinder im Bauch oder sie waren derart schwächlich, dass sie wenige Wochen nach der Entbindung irgendwelchen Dämonen zum Opfer fielen. Er, Sequen-en-Re der Starke, brauchte einen Sohn, sonst wären all seine Anstrengungen umsonst. Erbarmungslos bestand er darauf, sich zunächst einmal anzusehen, was die Geburt des Kindes mit Ah-hoteps Körper angerichtet hatte. Von ihren noch immer prallen Brüsten war er überaus angetan und bestand darauf, ihre Milch zu kosten. Ansonsten schätzte er sich glücklich, über eine derart mächtige Geschlechtskeule zu verfügen, da die Geburt ja wohl doch Spuren hinterlassen habe, die nur allzu leicht auf Kosten der Lust gehen konnten. Ah-hotep ließ alles klaglos über sich ergehen, in der Hoffnung, bald wieder schwanger zu werden.
Die Getreidekörner in der für Ah-hotep bereitgestellten Alabasterschale keimten wieder, als Sat-djehuti-sat-ibu sich weinend vor Schmerz und zitternd vor Angst in die Geburtslaube des Palastes zurückzog. Ganze drei Tage bleib sie dort, ohne dass Nachricht über eine Entbindung gekommen wäre. Teti-scheri war schließlich der ewigen Beschwörungsformeln und Zaubersprüche überdrüssig geworden und ließ bei den Ärzten nachfragen, ob sie nicht einen Rat hätten, was man tun könne, um die Wehen zu befördern. Doch sie erklärten sich schlichtweg für nicht zuständig, da sie ausschließlich Krankheiten heilten und eine Schwangerschaft nun einmal keine Krankheit war. Vielleicht konnte aber eine Verräucherung von Hanfblüten helfen, damit das von Ängsten geplagte Kind wenigstens etwas Entspannung fand. Teti-scheri war nicht überzeugt, denn Satdji hockte seither nur apathisch in einer Ecke und wimmerte leise vor sich hin.
Durch Zufall hatte Murschili, der Pferdebändiger, von Teti-scheris Bemühungen erfahren, als er gerade im Palast war, um die neuesten, erfreulichen Zahlen zur Pferdezucht zu überbringen. Er gab seinen trächtigen Stuten immer Petersilienwurzelmus, so berichtete er, was erstaunliche Erfolge zeitigte.
„Nun, Satdji ist zwar kein Gaul“, fasste Teti-scheri ihre Gedanken zusammen, „aber mehr als kotzen wird sie schon nicht.“
Kurze Zeit nachdem Sat-djehuti-sat-ibu eine große Schüssel des eiligst angefertigten Muses verspeist hatte, übergab sie sich derart heftig, dass gleichsam nebenbei auch das Kind aus ihr herauskam. Es war ein Mädchen, das man in Erinnerung an den neulich erst verstorbenen Prinzen ebenfalls Ah-mose nannte. Seqen-en-Re war an einem Mädchen jedoch nicht allzu sehr interessiert. Er warf nur einen kurzen Blick auf das Neugeborene und ordnete an, das unablässig schreiende Bündel in einen rückwärtigen Raum zu verlegen, da ihn das Gebrüll beim Arbeiten störte. Am nächsten Tag war das Kind tot.
Wie ein dunkler Schleier legten sich die Todesnachrichten über das Land. Offensichtlich war dem Mond etwas von seinem Glanz abhanden gekommen. Und kaum jemand zweifelte daran, dass es übler Zauber gewesen sein musste, der so viel Unglück gebracht hatte. Besonders Pharao hatte der Tod seiner Enkelkinder mitgenommen. Kaum ansprechbar lag er in seinem Bett und hoffte nur noch darauf, möglichst bald zu Osiris werden zu können. Inzwischen war sein Wasser nicht mehr nur braun, sondern blutrot. Krämpfe plagten ihn und er hatte immer häufiger starke Fieberschübe, während denen er völlig unzusammenhängende Dinge von sich gab. Seqen-en-Re gab schließlich unmissverständlich zu verstehen, dass seiner Meinung nach das Land einen regierungsfähigen Pharao benötigte und nicht einen vorzeitig gealterten, kranken, hilflosen Mann. Fast hätte ihn Teti-scheri geschlagen, als er ihr dies herausfordernd ins Gesicht sagte. Doch sie zügelte sich und ließ stattdessen Pharaos Schlafgemach von zwei weiteren, bedingungslos ergebenen Kriegern bewachen. Sie ließ nach Murschili, dem Pferdebändiger schicken, dessen Petersilienwurzelmus Sat-djehuti-sat-ibu so gute Dienste erwiesen hatte. Vielleicht wisse er ja auch eine Medizin für Pharao. Erstaunt gab er ihr zu verstehen, dass alle Welt das Land Kemet für seine Ärzte bewunderte. Wie sollte ausgerechnet er, der Hethiter, da mithalten können, da er sich wohl mit Pferden gut auskannte, aber von Menschen nichts wusste. Denn nirgendwo auf der Welt gäbe es eine Remedur gegen das Unabwendbare, den Tod. Weinend brach Teti-scheri zusammen. Und da ihn die kleine Frau in ihrem Schmerz dauerte und er in diesem Augenblick nichts weiter als einen leidgeprüften Menschen vor sich sah, nahm Murschili die Große königliche Gemahlin in den Arm und hielt sie einfach nur ganz fest, ohne ein Wort zu verlieren.
Pharao Senacht-en-Re Ah-mose, der stets ein stattlicher Mann gewesen war, lag wie ein vertrocknetes Häufchen Elend in seinem Bett und wartete auf den Tod. Teti-scheri hatte wieder genügend Kraft sammeln können, um sich zu ihm zu setzen und seine Hand zu halten. Er spürte ihre Berührung und sah sie mit glasigen Augen an. „Danke“, war alles, was er sagte, als er ihre Hand drückte.
Als die Sonne aufging und ihre goldenen Strahlen über das Land aussandte, verließ die Große königliche Gemahlin Teti-scheri das Schlafgemach ihres Mannes.
„Lasst es das ganze Land, lasst es alle Welt wissen: Pharao Senacht-en-Re Ah-mose ist zu Osiris geworden.“
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