Unverhofft kommt oft
Bodo Baron, der renommierte Promofigaro Münchens, war wieder konkurrenzlos glücklich. Bis vor kurzem waren viele seiner ehemaligen Kunden zu Sascha Sand übergelaufen. Saschas “Ich mach alles alleine und bleibe fair-Konzept”, hatte qualitativ und preislich viele Kunden überzeugt.
Erschöpft, aber wohlig entspannt, überließ sich Judith den weichen kreisenden Bewegungen Bodos auf ihrer Kopfhaut. "Isses so recht, du ?"
Die unverhoffte Anschaffung eines dunkelblauen italienischen Ferragamo-kostüms, das sie jetzt trug, hatte sie dazu bewogen, auch einen Friseur aufzusuchen, der sich unweit ihres ersten Homesitting Jobs im Glockenbachviertel befand.
“Der Mondstand ist heute ungeeignet für einen Schnitt. Aber deine Naturlocken werden das ausgleichen. Ich schneid´dir ne kinnlange Fasson, mit der du mindestens 3 Monate ohne Friseur auskommst. Da geht dann aber ein halber Meter weg.”
“ Macht nichts. Ich bin die Wolle schon lange leid.”
Ungerührt sah Judith zehn Minuten später ihre dunkelblonden Locken auf dem weißen Kachelboden liegen. Gekonnt tänzelte Bodo im existenzialistischen Künstlerlook – schwarzer Kaschmirrollkragenpulli, knappsitzende Lederhose und gepflegte Dauerglatze - um sie herum. Nach dem Föhnen schnippelte er noch hier und da und hielt am Ende den Spiegel hinter ihren Kopf.
“Tschaui, du, s´dauert grad noch 5 Minuten, Maxi, okaychen?”
Erst auf den zweiten Blick erkannte Gernleitner die Schwäbin von der Home-sitting GmbH wieder. Donnerwetter – bei dieser Ökonudel hatte sich was getan.
“Frau Schätzle, so eine Überraschung. Ich hätt Sie beinah nicht erkannt!”
Einen Blick auf seine Post, die er noch in der Hand hielt, brachte ihn auf eine Idee.
“Sie können doch Italienisch – wenn Sie mir helfen, einen Brief zu übersetzen, lad´ ich Sie zum Essen ein.”
Kurz darauf saßen sie im Freiluftbereich des Café Interview am Gärtnerplatz. Schmalhüftige Kellner servierten ihnen im eleganten Hüftschwung die hervorragenden Pastaportionen. Judith genoss die Aussicht auf den quirlig runden Platz, der auf der gegenüberliegenden Seite durch das Gärtnerplatztheater gekrönt wurde.
“Der Zusammenhang ist folgender. Sie wissen doch, mein Geschäft “All about Adam”, das läuft sehr gut und seit einiger Zeit ist die italienische Firma Bonzi daran interessiert, mit mir ein Joint Venture einzugehen. Deswegen fahr ich demnächst nach Mailand. Vorher wollt ich denen noch in gepflegtem Italienisch antworten.”
Judith überflog die in geschraubtem Italienisch verfasste Einladung der Firma Bonzi.
Maximilian Gernleitner war für einige Tage zu einem Event nach Mailand eingeladen – Treffpunkt war das beste Hotel am Platz mit anschließender Modenschau in geschlossener Gesellschaft. Er sollte bis Mitte Mai brieflich zusagen. Gernleitner war entschlossen hinzugehen. München stresste ihn derzeit, vor allem die ständigen Anrufe seiner gallespeienden Schwester Barbara. Sie verlangte doch glatt, er solle 50 Prozent seines Erbes an sie abtreten. Da war Mailand eine willkommene Abwechslung.
“ Was macht denn Ihre Wohnungssuche? Haben Sie was Schickes gefunden?”
“Leider nicht! Ich wohn´ gerade in einer entsetzlichen WG. Der Typ ist das reinste Dritte- Welt- Projekt, im wörtlichen und übertragenen Sinne. Marianne, seine Frau, merkt nicht einmal, inwieweit sie energetisch von dem und ihrem Sohn ausgelaugt wird.”
“Frau Schätzle, ich biete Ihnen eine vorübergehende Alternative:
Während meines Mailandaufenthaltes könnten Sie wieder über die Bavaria Homesitting GmbH bei mir wohnen. Ich weiß auch nicht, warum ich immer solche genialen Einfälle habe.”
Deutsche Sprache, schwere Sprache
Schwitzend stand Judith an der Tafel und listete die untrennbaren Präfixe auf. Miß-emp-ver-be-ge-zer- .... welche fehlten denn wieder? Wer konnte denn schon diese blöden Präfixe isoliert auswendig lernen? Nicht einmal sie….wie hieß neulich dieser praktische Merksatz, den sie von einer Kollegin bekommen hatte? Richtig – das Hausbeispiel. Schnell skizzierte sie ein Haus, in dem oben eine Miss Beer wohnt. Unten wohnt ein Geemp Entzer. Beide sprechen englisch, daher: Miss Beer versteht Geemp Entzer. Strahlend verkündete sie ihrem Schüler den Merksatz.
Frau Pöppel-Nirmalathasan hatte dieses Mal die Einstufung richtig durchgegeben. Herr Barbieri, ein etwa 30 jähriger dynamischer Italiener, war tatsächlich Grundstufe, wenn auch eher untere als obere.
“Iche breche die Unterrichte unter, Signorina. Ich brauche Kaffee. Gibt es auche Cappuccino ?”
“Herr Barbieri, das heißt: Ich unterbreche den Unterricht. Es gibt Präfixe, die sind trennbar und untrennbar, dazu gehört auch unter.”
“Madonna mia, dieses Deutsche! Wissen denn die deutsche Leute alle die Präfixe?”
Nicht mehr, wenn man wie ich derzeit 6 Unterrichtseinheiten täglich solch ein entsetzliches Kauderwelsch hört, dachte Judith.
“Cappuccino haben wir hier leider nicht. Nur Kaffee oder Tee. Was möchten Sie?”
“Forse parliamo italiano. Dopo tre ore di tedesco ho bisogno di riposo.
A proposito, Signorina, mi potrebbe ricommandare un negozio
d´abbigliamento? Ho bisogno di un completo elegante.” (1)
Ja, natürlich konnte Sie da ein Geschäft empfehlen.
“Vada da “All about Adam” nella Klenzestraße. Forse è un po stravagante , ma communque ci provi !”(2)
Allmählich wurde ihr der Unterricht etwas zuviel. Nach 2 Wochen war das sogenannte kritische Stadium erreicht. Entweder man trat in die nächste, unweigerlich etwas persönlichere Phase ein oder man versuchte meist krampfhaft, eine distanzierte Ebene aufrecht zu erhalten.
Beide waren sie ungebunden und eine gewisse gegenseitige Sympathie war nicht zu leugnen. Sie hoffte, bald auf der institutsinternen Leiter so weit aufzusteigen, dass sie einen der begehrten Superintensivkurse bekommen würde. Das waren zweiwöchige Intensivkurse mit täglich 4 Unterrichtsstunden – irgendwie überschaubarer. Da hing man dann energetisch nicht so drin und konnte die Leute untereinander beschäftigen. Diese Individualkurse kamen ihr manchmal wie eine alchimistische Retorte vor: Zusammengepfercht in einem kleinen Zimmer, kamen die beiderseitigen persönlichen Schwächen und Stärken schnell zutage. De facto müsste man für ein längeres Individualtraining einen psychotherapeutischen Stundensatz von 140.-DM verlangen können. Auf dieser Basis sähe doch manches gleich ganz anders aus.
Seufzend wurde sich Judith mal wieder des Problems bewusst, dass sie noch immer nicht den Dreh rausgefunden hatte, auf angenehme Weise ausreichend Geld zu verdienen. Bezeichnenderweise waren nämlich der Großteil der Deutschtrainer Frauen. Die wenigen Männer waren entweder Luschen, die es sonst zu nichts gebracht hatten oder schafften es schnell, diesen Bereich als Sprungbrett für ihre eigenen Interessen zu gestalten. Wenn Sie nur an Hugo dachte. Kaum hatte er ein halbes Jahr unterrichtet, druckte er großkotzig Hochglanzprospekte und machte als "hochqualifizierter Motivationstrainer" bei Münchner Firmen Werbung. Dabei bestand die "Qualifizierung" anzuwenden in nichts anderem als darin, einige Techniken aus der Urschreitherapie anzuwenden, die er wenige Wochenenden zuvor als hochbedürftiger Klient in Anspruch genommen hatte. Sein "Geheimrezept", das er mal Judith während eines längeren Kneipenabends anvertraut hatte: "Wenig Aufwand, viel Effekt ". Er stand dann jeweils 2 Wochen lang jeden Morgen inmitten der Großraumbüros und ließ die Mitarbeiter meist amerikanisch oder japanisch geführter Firmen 20 Minuten lang brüllen "Wir sind die Größten". Angeblich sollte das auf den Geschäftsumsatz einen positiven Einfluss haben ......
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