Georg von Wallwitz
MR. SMITH
UND DAS PARADIES
Die Erfindung des Wohlstands
BERENBERG
Vorsatz
Was ist der Wohlstand? Für das Zeitalter der Aufklärung war die Antwort noch einfach. Als wohlhabend galt, wer materielle Unabhängigkeit in Form von Ländereien, Gold und Schuldscheinen erlangt und möglichst mehr davon hatte als der Nächste. Aber nicht für alle Menschen hat es sich als machbar erwiesen, diesen Zustand zu erreichen. Allgemein ergab sich das Problem, dass jede Generation, wenn sie verwirklicht hatte, was ihre Vorgänger unter Wohlstand verstanden, sich selbst unwohl fühlte und weiter wollte, oder zurück, oder anderswohin. Jede Epoche entwickelte eine andere Vorstellung vom guten und satten Leben.
Die Ökonomie als moderne Wissenschaft war ursprünglich angetreten, die Mittel und Wege zur Erreichung des Wohlstands zu erforschen. Offiziell begann die Geschichte mit Adam Smiths Wealth of Nations, einem großartigen Vorhaben, dem es bei aller gedanklichen Tiefe nicht an konkreten Vorschlägen mangelte, wie dieses Ziel möglichst bequem zu erreichen sei. Da aber die Vorstellungen vom Wohlstand sich mit der Zeit und der Mode änderten, musste die Ökonomie sich immer wieder von der Wurzel her neu erfinden, wollte sie noch gehört werden. Das Thema blieb nur dem Namen nach gleich.
Damit erging es ihr ähnlich wie der Literatur und der Philosophie, die seit jeher von der Liebe, vom Guten, vom Schönen und von Gott handelten und doch alle fünfzig Jahre etwas anderes darunter verstanden. Genau genommen war sie denselben Moden und derselben Weltauffassung unterworfen wie diese, sang vom selben Blatt und traf häufig sogar denselben Ton. Die Ökonomen verfolgten meist dieselben Anliegen, von denen auch die gens de lettres zur selben Zeit handelten, nur mit ganz verschiedenem Anspruch. Nicht weniger als die Literatur wird die Ökonomie zu einer Reflexion ihrer Zeit und ist dabei veränderlich wie ein alternder Spiegel, dessen blinde Stellen ihn selbst zu einem Gemälde machen.
Wenn der Ausspruch Clemenceaus, wonach der Krieg zu wichtig sei, um den Generälen überlassen zu werden, richtig ist und sich auf die Ökonomie übertragen lässt – also etwa: Die Wirtschaft ist viel zu wichtig, um sie den Ökonomen zu überlassen –, so liegt es nahe, sie von ihren Rändern, und namentlich aus dem Blickwinkel der dezidiert weichen Disziplinen und der schönen Literatur zu betrachten. Leider empfinden sich deren Vertreter jedoch zu oft als Schöngeister und raffen sich nicht auf, der Bedeutung der Ökonomie für das Leben auf den Grund zu gehen. Nur bei großen Gelegenheiten wie der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 wachen sie aus ihrem finanziellen Schlummer auf, finden kompliziert, was sie sehen, klagen kurz, drehen sich auf die Seite, und schließen wieder die Augen. Die britische Königin sah sich damals, anlässlich eines Besuchs in der London School of Economics, zu der Frage veranlasst, warum die Ökonomen vor dieser Episode so dramatisch falsch lagen und nicht rechtzeitig vor dem drohenden Unheil warnten. Niemand verlangte von ihnen die pünktliche Vorhersage einer Rezession. Aber warum, so der eigentliche Vorwurf, hatten sie nicht die Phantasie aufgebracht, eine Weltwirtschaftskrise historischen Ausmaßes zu wittern oder sich auch nur eine Welt vorzustellen, in der die liquidesten Märkte, in London und New York, plötzlich vertrockneten? Die Königin hat damals als Antwort nur eine Reihe von Entschuldigungen bekommen (ungute Gruppendynamik, falsche Daten, unrealistische Annahmen, fat tails, zu viele Romane von Ayn Rand gelesen, etc.), die an sich interessant waren und ihr dennoch nicht weitergeholfen haben.
Besser wäre es vielleicht gewesen, in gebotener Kürze und Leichtigkeit zu beschreiben, wie die Ökonomie zu dem geworden ist, was sie heute darstellt, worin ihre größten Fortschritte bestehen, wie sie dabei immer Spiegel, Ausdruck und Kind ihrer Zeit blieb und weshalb diese sich also niemals mit gerechtem Zorn über sie beschweren kann. Das bleibt ein Vorrecht der Nachwelt. Und damit wollen wir beginnen.
Jedoch bei dir hemmt Frost nicht noch glühende Hitze
Je die Sucht nach Gewinn, nicht Feuer noch Meer oder Schwerter,
Gar nichts, gibt es nur keinen, der reicher als du etwa wäre.
HORAZ, SATIREN I, 1, 38 ff.
Die Geschichte der modernen Ökonomie beginnt, wie so viele gute Geschichten, mit einer Rauferei und einer Demütigung. An dieser sehr besonderen Geburtsrauferei war auf der einen Seite Voltaire beteiligt und auf der anderen ein Chevalier de Rohan. Genau genommen ließ dieser seine Schergen prügeln, denn ihm selbst wäre es nie in den Sinn gekommen, seine Kräfte mit einem Parvenu wie Voltaire zu messen, der sich eben erst mit großer Energie eine gewisse marginale Stellung in der Gesellschaft erkämpft hatte. Hätten die beiden Kontrahenten zum Zeitpunkt ihres in Form und Inhalt eigentlich läppischen Ehrenhandels ein Ahnung gehabt, welche Entwicklung sie damit anstießen, wären jedenfalls beide, je nach ihren Anlagen und Fähigkeiten, tief ins Grübeln gekommen.
Voltaire war mit Anfang 30 bereits eine literarische Sensation. Eigentlich war er der Sohn eines braven und sparsamen Bürgers, der als mittlerer Beamter Ansehen und ein bescheidenes Vermögen erworben hatte. In dieses Milieu wollte Voltaire aber keinesfalls passen, denn er war der zweifellos ehrgeizigste Poet seines Jahrhunderts. Zu enden wie sein Bruder, der nach einer langweiligen Karriere den Posten des Vaters übernahm und noch dazu besonders fromm war – für Voltaire eine grauenvolle Vorstellung. Entsprechend herzlich war das Verhältnis zu seiner Familie. So setzte er, nachdem sein Talent früh entdeckt worden war, alles daran, als Schriftsteller zu reüssieren.
Die besten Familien Frankreichs bildeten damals eine kleine Clique, deren Leben in jeder Hinsicht unbeschwert war. Richelieu hatte dem Adel im 17. Jahrhundert nicht nur die Macht, sondern auch die Verantwortung genommen und den Staat ganz auf den König zugeschnitten. Geblieben waren die Privilegien und die finanziellen Mittel für ein sorgenfreies Auskommen. Die vom Staat gewünschte Distanz zur Realität ermöglichte es aber auch, das Leben ganz mit Klatsch und Albernheiten zu verbringen. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts wurde die Kunst der (meistens üblen) Nachrede kultiviert wie niemals zuvor und danach. Esprit wurde eher geschätzt, wenn er charmant als wenn er tiefsinnig war, ein Bonmot wenn es nicht nur treffend, sondern auch verletzend war. Das Leben der oberen Zehntausend war raffiniert und dennoch etwas öde.
Derweil ging es Frankreich nicht gut. Der Handel war aufgrund der damals herrschenden ökonomischen Theorien der Physiokraten und Merkantilisten erstickt, das Steuerwesen korrupt und die Staatskasse leer. Durch eine mehr an den Bedürfnissen als an den Mitteln ausgerichtete Hofhaltung und das in letzter Zeit immer weniger ruhmreiche, aber darum nicht weniger kostspielige Militär hatte der Staat erhebliche Schulden gemacht. Der allgemeine Verfall betraf nicht minder die Kirche, deren Priester nur selten in der Lage waren, zu leben, was sie predigten. Sie hatte ihre Autorität verloren und musste sich von den Höflingen verspotten lassen. Die Bischöfe, die sie hervorbrachte, waren meist vom Schlage, aber selten vom Kaliber eines Richelieu.
In die gute Gesellschaft also strebte Voltaire und ließ alles hinter sich, was seine Herkunft verriet.
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