Ich fuhr zusammen, und dann fiel mir das Baby aus Lehm nahe der Tür auf, das ich hätte sein sollen. In diesem Moment hätte ich Kronos würgen können. Natürlich hätte das gar nichts gebracht, aber es wäre eine Erleichterung gewesen.
Rheia kleidete mich wie die überraschend zahlreichen Diener und gab mir die Anweisung, meinen Blick gesenkt zu halten – Kronos wäre sicherlich das einzige andere blaue Augenpaar außer seinem in diesem Haus aufgefallen. Sie zeigte mir einen weiteren Stapel mit Kleidern, die sie im Flur vor dem Esszimmer deponiert hatte, in dem ich bei dem Festmahl an diesem Abend Wein ausschenken würde.
Glücklicherweise war Kronos während der Feier sehr mit Freunden beschäftigt, man lachte und aß und trank eine Menge, und der neue Mundschenk fand keinerlei Beachtung. Es war von jeher Rheia, die sich um die Diener kümmerte. Meist stellte sie Menschen ein, und die werden ja sowieso nicht so alt, sodass Kronos an Fluktuation in seiner Dienerschaft gewöhnt war. Zumal er hübsche, junge Menschen bevorzugt – ältere machen ihn nervös, denn sie zeigen ihm den Verfall.
Ich mischte also das Mittel von Metis in den Wein meines Vaters, und als er getrunken hatte, begann er kurz zu schwanken und legte sich die Hand über die Augen, als sei ihm schwindelig. Ich machte, dass ich aus dem Raum kam, griff mir die von Rheia bereitgelegten Kleider und lief so schnell wie möglich zum Kerker. Die Tür sah aus wie zuvor, doch als ich sie aufbrach, standen dahinter fünf sehr verwirrte, erwachsene, nackte Personen. Ich warf ihnen die Kleider über und befahl ihnen, mir so schnell wie möglich zu folgen, wusste ich doch nicht, wie lange die Wirkung des Tranks anhalten würde.
Sie kamen meiner Aufforderung nach, und als wir in sicherer Entfernung des Palastes waren, hielt ich an und fragte nach ihren Namen. Erst schauten sie sich verunsichert an, aber dann war es, als fiele ihnen etwas ein, das sie lange vergessen hatten. Zögernd und unsicher stellten sie sich vor, als Hestia, Demeter, Hera, Poseidon und Hades. Ich sagte ihnen, wer ich bin und erzählte, was mit ihnen geschehen war. Allerdings musste ich nicht zu Ende reden, sie hatten es gewusst; dieses Wissen hatte nur einen leichten Anstoß erhalten müssen, um in ihren Köpfen geweckt zu werden.
Vielleicht kannst du dir vorstellen, wie jetzt Zögern und Unsicherheit von Zorn verdrängt wurden.
Ich war mir nicht sicher gewesen, wann wir unserem Vater den Krieg erklären sollten, aber ab dem Moment der Erkenntnis hatte ich keine Wahl mehr. Die anderen drängten mich zum Palast zurück, in dem Kronos natürlich gemerkt hatte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Er hatte auch bereits den aufgebrochenen Kerker gefunden und wusste, was das zu bedeuten hatte. Er sah ziemlich Furcht erregend aus, als er uns entgegen schaute.
Er ließ seine Blicke über uns alle schweifen, dann blickte er mich finster an. 'Zeus', sagte er, und es klang, als verfluche er mich. 'Du willst mich stürzen.'
Was konnte ich dazu sagen? Ich habe nur genickt.
'Wir werden kämpfen', sagte er und streckte die Hand aus, um auf einen Punkt hinter uns zu zeigen.
'Dort werde ich meine Getreuen versammeln, auf dem Berge Othrys.'
Ich blickte in die Richtung, in die er wies, und betrachtete das Gelände, ehe ich ihm erklärte: 'Dann werden wir auf dem Olympos Aufstellung beziehen.'
Er nickte finster, machte auf dem Absatz kehrt und ließ uns in der Nacht stehen.
Wir sind zum Olympos gewandert und haben begonnen, uns einzurichten. Es kann nicht mehr lange dauern, bis Kronos eintrifft, und dann – dann beginnt der Krieg. Der Krieg, der erst endet, wenn einer von uns im Tartaros eingekerkert wird.
Und ich habe es nicht ertragen ohne dich, darum habe ich heute den anderen alles überlassen und bin gekommen, um dich wieder in den Armen zu halten. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich dazu noch oft Gelegenheit bekomme, wenn die Schlachten erst begonnen haben, darum muss ich mich an jede kleine Einzelheit genau erinnern.“
Er suchte im Dunkeln ihre Lippen.
„Ich liebe dich, Leto.“
Sie unterdrückte ein kleines Schluchzen.
„Nimm mich mit!“
Er strich ihr sanft die Haare.
„Ich schwöre dir, dass ich das nicht tun werde. Du bist das wertvollste Geschöpf, das mir je begegnet ist, und ich werde dich nicht dieser Gefahr aussetzen. Außerdem könnte ich mich auf keine Kampfhandlung konzentrieren, wenn ich dich dort oben wüsste. Nein, du wirst hier bleiben, und ich werde zu dir kommen.“ Er machte eine Pause.
„Leto?“
„Ja?“
„Sagst du es mir?“
Sie holte zitternd Luft. „Ich liebe dich.“
Noch vor dem Morgengrauen war er wieder verschwunden.
Leto gesellte sich später als üblich zu ihrer Familie. Nachdem Zeus gegangen war, hatte sie in ihre Kissen geweint, überwältigt von seinem Besuch und dem neuerlichen Abschied und von kalter Angst, dass das wankelmütige Glück sich doch Kronos zuneigen könnte. Als sie schließlich eingeschlafen war, hatten sie Alpträume von den Urwesen gequält, denen jetzt der Weg in die Freiheit offen stand. Sie fuhr schließlich in dem Moment mit einem Schrei aus dem Schlaf, in dem einer der hunderthändigen Riesen nach Zeus griff und ihn vom Olympos zu stürzen drohte.
Nachdem sie ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle gebracht hatte, zog es sie mit Macht zu Koios und Phoibe. Die beiden zusammen strahlten immer so viel Wärme und Harmonie aus, dass Leto sich in ihrer Gegenwart stets geborgen gefühlt hatte, und gerade jetzt brauchte sie Trost.
Als sie jedoch die Küche betrat, saß Phoibe mit leichenblassem Gesicht am Tisch, während Koios mit ernstem Gesicht einen Lederbeutel packte. Asteria bereitete schweigend etwas vor, das verdächtig nach Proviant aussah, und Hekate spielte am Boden mit den Puppen ihrer Mutter, die sie auf zwei gegenüber liegenden Bergen aus Stoffresten postiert hatte.
Leto blickte zwischen ihnen hin und her.
„Was ist geschehen?“
Koios sagte leise: „Kronos hat nach mir geschickt. Ich gehe, um ihm im Kampf beizustehen.“
Phoibe ließ einen leisen Klagelaut hören, der an einen verwundeten Vogel erinnerte.
Leto hatte das Gefühl, dass die Welt erst anhielt, um sich dann in wahnwitzigem Tempo weiter zu drehen.
„Du tust was ?“
Koios machte eine Handbewegung, die anzudeuten schien, dass es darüber nichts mehr zu sagen gäbe. Leto ging zwei schleppende Schritte auf ihn zu, die Hand halb erhoben, ehe sie wieder stehen blieb.
„Nein, neinneinnein, das ist falsch. Was ist denn passiert? Du hast doch immer gesagt, dass Kronos so – anders ist. Warum willst du ihn jetzt unterstützen?“
Ihr Vater hielt im Packen inne und ließ einen müden, ungeduldigen Blick auf Leto ruhen, als habe er dies Gespräch schon mehrfach geführt.
„Ganz einfach, ich stehe in seiner Schuld, und wenn er jetzt den Gefallen einfordert, den ich ihm schulde, dann muss ich ihn ihm erweisen.“
Leto wurde kalt.
„Vater!“ Sie merkte, dass sie fast geschrieen hatte, und zwang ihre Stimme herab.
„Kronos wird unterliegen, die Erde selbst ist gegen ihn, und wenn du ihm hilfst, bedeutet das den Tartaros für dich!“
Phoibe presste die Hand vor den Mund, während Asteria drehte sich tadelnd nach ihrer Schwester umdrehte.
„Fühlst du dich dem zukünftigen Weltherrscher schon so verbunden, dass du an seiner Stelle Drohungen aussprichst?“
Leto zuckte zurück, als habe Asteria sie geohrfeigt, aber Koios trat zwischen seine Töchter.
„Still, Asteria, sei nicht unfair. Leto kann nichts dafür, und wenn ich den Gerüchten Glauben schenken darf, der junge Zeus auch nicht. Die Kinder des Kronos haben alle gemeinsam bei der Styx geschworen, dass ihre Widersacher in den Tartaros verbannt würden, da konnte er als ihr Anführer sich schlecht entziehen.“
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