Er schloss sie in die Arme. Seit dem Tod von Mama vor fünf Jahren hatte sie ihn nicht mehr so glücklich gesehen.
Sie lächelte ebenso breit zurück.
„Führst du mich wieder aus, heute Abend, das Essen gestern in der Khmer Kitchen war wirklich köstlich“, fragte sie.
Ihr Vater schüttelte bedauernd den Kopf.
„Heute Abend nicht, Liebes“, er weidete sich an ihrem enttäuschten Gesichtsausdruck, ließ sie los und fügte verschmitzt hinzu. „Ich habe etwas viel Besseres vor, du lernst heute Freunde von mir kennen, Schüler, gute Schüler. Die Mädchen sind zum Teil etwa in deinem Alter, du wirst sie mögen. Eine der angesehensten Familien Kambodschas abgesehen von der Königsfamilie. Speziell Sari wirst du mögen. Sie ist meine beste Schülerin. Sie spricht nahezu perfekt Deutsch und Englisch. Eine wunderbare junge Frau.“
Caroline hatte sich schnell noch in dem Apartment, das ihr Vater angemietet hatte, ein hübsches Kleid angezogen, worüber sie nun froh war, denn das Privathaus, in das sie ihr Vater geführt hatte, war geschmackvoll im typischen Kolonialstil einer Villa gleich eingerichtet und seine Bewohner außerordentlich gut angezogen. Die Dame des Hauses, die ihr ihr Vater als Rani vorgestellt hatte, eine etwas füllige, aber immer noch schöne Frau mittleren Alters in einem edlen Kostüm und teuren Heels, hatte sogar eine Hausangestellte. Diese servierte ihnen sogleich Kaffee mit süßer, sehr dicker Kondensmilch, den Caroline viel zu süß fand und in kleinen Schlucken trank. Eine typisch kambodschanische Kaffeespezialität.
Rani musterte sie über den Tisch hinweg und Caroline errötete leicht. Diese Frau schüchterte sie auf eine merkwürdige Art fast genauso ein wie damals Frau Michel in Augsburg.
„So, Dieters Tochter. Sie unterrichten auch?“ Ihre Stimme klang merkwürdig blechern, fast schneidend.
„Ja, in Dads Schule. Deutsch und Englisch“, sagte Caroline schüchtern mit leiser Stimme.
„Das ist schön, dann können Sie mit meinen Töchtern üben, wo bleibt Sari eigentlich. Gestern war ihre Verlobungsfeier und heute glaubt sie, dass ich ihr alles durchgehen lasse, ihren Verlobten Jay muss ich allerdings entschuldigen. Er musste heute früh mit seinem Cousin Vichay und meiner Tochter Sreykouch, Vichays Frau, geschäftlich nach Phnom Penh. Nach 5 Tagen Verlobungsfeier. Auf der Hochzeit seid ihr natürlich herzlich eingeladen. Sie wird in Battambang stattfinden, aber das weißt du ohnehin, Dieter“, antwortete Rani und blickte etwas ärgerlich auf ihre Uhr. „Simay, meine jüngste muss ich auch entschuldigen. Sies spielt heute Fußball, dieses furchtbare Mädchen. Allerdings ist sie recht talentiert. Sind sie eigentlich verlobt, Caroline?“
Caroline schüttelte den Kopf und lächelte unbeholfen. Diese Frau machte ihr Angst.
Ihre Hände waren ebenso schwitzig wie damals bei Frau Michel in Augsburg. Sie klebten förmlich in ihrem Schoß.
„Jetzt hör aber auf, das arme Mädchen auszuquetschen! Das ist peinlich!“
Caroline fuhr herum.
Ihr war, als würde die Welt für einen Moment stillstehen und ihr Magen verkrampfte sich merkwürdigerweise.
Ihr war flau und ein warmes, seltsamerweise wunderbares Gefühl strömte in ihren Bauch.
Das musste Sari sein.
Sie sprach perfekt Deutsch, wie ihr Vater gesagt hatte, perfekt und fließend, genauso fließend wie das Englisch ihrer Mutter vorhin.
Sie war wunderschön.
So schön wie Myriam damals.
Noch schöner, viel schöner.
Zwei exotisch aparte Schönheiten, die ihr den Atem raubten. Viel mehr als Tobi es jemals es gekonnt hatte.
Aber wieso dachte sie so etwas?
Caroline nahm einen Schluck Kaffee zu sich, um sich zu sammeln und ihre Nerven zu beruhigen.
Dann stand sie auf, um Sari die Hand zu reichen, die immer noch ziemlich klebrig war und lächelte Sari breit an. Sari trug ein gelbes raffiniert geschnittenes Kleid, in dem sie ein wenig ein wenig wie eine Filmschauspielerin aus dem letzten Jahrhundert aussah. Sie war sehr zierlich und obwohl sie ihr Haar wie die meisten Kambodschanerinnen lang trug, erinnerte sie Caroline etwas an Audrey Hepburn.
„Hat dir Sari gefallen?
„Was? Entschuldige bitte, ich war in Gedanken?“
Dieter hatte ein Tuk Tuk, ein kutschenartiges Gefährt, das von einem Motorradfahrer gezogen wurde, auf sich aufmerksam gemacht. Es war nun schon ziemlich dunkel, zu dunkel, um zu Fuß in die Wohnung, die Dieter angemietet hatte, zu gelangen.
„Wie dir Sari gefallen hat?“
Wunderschön, einfach wunderschön, sie schaut aus wie Audrey Hepburn dachte Caroline und war froh, dass ihr Vater im Dunkel der Nacht nicht sehen konnte, wie rot sie wurde und wie versonnen sie lächelte.
Ziemlich versonnen und verliebt.
Verliebt?
Definitiv verliebt.
„Ja, sehr“, sagte sie ruhig und kletterte ihrem Vater voraus in das Tuk Tuk, das soeben gehalten hatte.
Ihr Vater nannte dem Fahrer seine Adresse und verhandelte in fließendem Khmer den Preis für die Fahrt. Caroline war ganz überrascht, wie fließend er diese fremdartige Sprache beherrschte.
Dann wandte er sich an seine Tochter.
„Das freut mich. Du brauchst Freundinnen. Und Sari hat viele Freunde. Auch sehr nette Europäer, die hier wohnen. Da ist sicher einer für dich dabei. Ich mochte Tobi noch nie“, sagte Dieter lachend und knuffte Caroline in die Seite. „Auf an die Männerfront.“.
Caroline lachte nicht.
Langsam zog sich Caroline aus.
Es war ziemlich heiß und sie war mit einem Schlag todmüde.
Erschöpft setzte sie sich auf ihr Bett und ließ das Kleid neben sich fallen.
Ein Klingeln riss sie aus ihren Gedanken. Wer rief sie zu so später Zeit noch an? Garantiert Nadja, denn in Deutschland war es je einige Stunden früher.
Caroline griff nach ihrem Handy, es war eine unbekannte Nummer, nicht Nadjas eingespeicherte.
Sie nahm das Gespräch an.
„Sari“, sagte sie leise, als das Mädchen am anderen Ende des Apparates seinen Namen gesagt hatte und erinnerte sich daran, wie sie ihre Handy Nummer mit zittriger Hand auf eine Serviette geschrieben hatte.
„Ich“, sie hörte Sari etwas undeutlich und hielt sich das Handy näher an das Ohr. „Ich möchte dich gerne morgen treffen, nach deiner Arbeit. Mit dir einen Kaffee trinken. Im FCC Angkor, es ist an der anderen Seite des Flusses in der Nähe des Königspalastes. Jeder Tuk Tuk Fahrer kennt es.“
Carolines Herz jubilierte und sie lächelte.
„Gerne, gerne, so gegen 5“, sagte sie betont gelassen.
Diesmal hatte Caroline vorgesorgt und sie trug schon in der Arbeit ihren heißgeliebten Jeans Jumpsuit, der ihre schmale Taille betonte und ihr ausgezeichnet stand.
„Sehr schick, Caro, du siehst super aus, für wen hast du dich denn so aufgebrezelt“, sagte ihr Vater grinsend und Caroline musste aufgrund seiner immer noch bayerischen Mundart ebenfalls schmunzeln.
„Für deinen alten Dad wohl kaum, aber das macht nichts, ich bin Kummer gewohnt, Spaß beiseite, heute Abend kann ich dich eh nicht brauchen, da treffe ich meine Jungs zum Snooker, aber du musst das dir echt mal live ansehen. Ich bin der King des Snookertisches der Tempel Bar“, witzelte ihr Vater und tätschelte ihre Schulter. „Triffst du dich mit Sari“, fragte er.
Caroline nickte. „Im FCC Angkor, ich nehme mir gleich ein Tuk Tuk.“
„Wird Jay auch dort sein? Ach ne, der ist ja wieder in Phnom Penh.“
„Jay“, fragte Caroline und erinnerte sich mit einem Schlag daran, dass Saris Verlobter Jay hieß.
Sie biss sich auf die Lippen.
„Er ist gleich nach der Verlobungsfeier nach Phnom Penh gefahren, um seine Wohnung aufzulösen und wegen Geschäften. Das habe ich ganz vergessen, aber vielleicht lernst du endlich Chris kennen. Das ist ein netter Kerl, sage ich dir. Genau dein Typ. Sieht auch richtig gut aus, schnapp dir den. Das wäre ein super Schwiegersohn.“
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