„Damit machst du die Rechnung ohne meine Ma. Für sie wäre eine erneut geplatzte Verlobung ein Desaster. Wenigstens hat Kouch schon eine Hochzeit auf der Habenseite und Simay, du kennst sie ja. Ich bin im Zugzwang und das Konzept der wilden Ehe taugt für Ma nicht. Sie ist irgendwie im letzten Jahrhundert stecken geblieben.“
„Ich weiß, Darling, wir schaffen das. Ich liebe dich. Ich freue mich auf das Khmer Barbecue später, aus Torten habe ich mir noch nie was gemacht. Im Gegensatz zu deiner Sis. Sie und Vichay holen gerade ihr Gepäck, ich hab meines schon. Kouch freut sich schon tierisch auf die Torte. Ich kenne doch meine Lieblingsschwägerin. Ich liebe dich, Sari, Liebes.“
Sari lächelte.
„Ich dich auch, Jay“, sagte sie leise und legte auf.
Es war eine Lüge und sie begann leise zu weinen.
Er sah wirklich verdammt gut aus, wie ein Bollywood Schauspieler, kein Vergleich zu seinem Cousin Vichay, dem Mann ihrer Schwester Sreykouch, der Sari nicht einmal ansatzweise gefiel.
Jay war einfach perfekt, aber sie liebte ihn nicht, nicht einmal ansatzweise.
Nicht einmal ansatzweise.
Weinend betrachtete sie das Verlobungskleid, das an einem Bügel an der Gardinenstange am Fenster hing. Wie seine beiden Vorgängerinnen typisch kambodschanisch, schöner, schwerer Stoff, gute Qualität, farbenfroh, aber leider für ihren Geschmack viel zu überladen. Sie konnte diese traditionellen, kambodschanischen, furchtbar pompösen Hochzeitsfeiern, bei der die Ehepaare sich verschuldeten, einfach nicht ausstehen.
„Sari, Sis?“
Sari richtete sich langsam auf.
„Simay“, sagte sie lahm und betrachtete ihre jüngste Schwester, die eine schwarze Leggings und ein ebenso dunkles Shirt trug und richtete sich etwas auf.
„Dass Ma immer so ein Zinnober machen muss mit den Verlobungen und Hochzeiten. Dieses kitschige Monstrum unten in der Halle, das da vor sich hin zerfließt, hat einen Würgereiz in mir ausgelöst, genauso wie das Kleid da an der Stange und mein eigenes, kotzgrün. Ich hasse Kleider. Wann bringt man Ma endlich dazu, dass das überhaupt keinen Style hat“, sagte Simay grinsend und setzte sich an Saris Bettrand.
„Am liebsten würde ich sofort wieder nach Phnom Penh fahren oder Paris, London, New York, möglichst weit weg. Was sagt eigentlich Jay dazu?“
„Der würde mich auch ohne Verlobung und Hochzeit nehmen“, sagte Sari leise.
„Und du, was ist mit dir, was willst du“, fragte Simay, die jetzt mit gekreuzten Beinen aufs Saris Bett saß.
„Ich würde am liebsten gar nicht heiraten, weder ihn noch irgendeinen anderen Mann. Gar nicht“, sagte Sari heftig und setzte sich ebenfalls auf. „Aber das ist Utopie, Simay, absolute Utopie, wir können so nicht leben. Nicht hier, nicht in Kambodscha, nicht in unserer Position als führende Tochter einer führenden Familie.“
Sari schluckte bitter und dachte an Sarah damals in Phnom Penh, die Liebe zu ihr und die schmerzvolle Trennung, die von ihr selber aus gegangen war, weil sie Angst gehabt hatte, Sreykouch, mit der sie sich damals in Phnom Penh ein Zimmer geteilt hatte, würde sie an Mama verpetzen. Sie hatte Sarah nie wieder gesehen und wusste nicht, was aus ihr geworden war. Ob sie noch in Kambodscha lebte oder zurück nach England gegangen war.
„Ich werde mich jetzt anziehen und du solltest es auch tun. Die Party muss beginnen. Bevor die Torte nicht mehr genießbar ist. Jay wird auch bald da sein. Er freut sich auf das Khmer Barbecue heute Abend. Er ist ein guter Mann, mein Jay, er müsste jeden Moment hier auftauchen, gemeinsam mit Vichay und unserer Schwester“, sagte sie sehr leise und stand auf.
„Komm, Sim, spielen wir ihr Spiel mit, auch wenn es nicht das unsere ist, lass uns nach unten gehen“, sagte sie grimmig und auch Simay richtete sich widerwillig auf.
Caroline atmete tief durch. Bald würde sie in Kambodscha Deutsch und Englisch unterrichten, München hinter sich lassen. Dabei hatte sie sich vor einem halben Jahr noch geschworen, nie wieder einen Fuß in ein Klassenzimmer zu setzen. Viel zu schlimm waren die Erinnerungen an das missglückte Referendariat gewesen. Und an Tobi, der sie, als es ihr eh schon scheiße ging wegen der miesen Noten beim Referendariat, mit Miss „ich mach die Beine breit für jeden Typen an der Uni“, Saskia, betrogen hatte.
Billige Schlampe, dachte Caroline und wühlte in ihrer Handtasche.
Nur, dass es nicht mehr weh tat, merkwürdigerweise gar nicht mehr. Nicht so wie das blöde Referendariat, das sie komplett in den Sand gesetzt und abgebrochen hatte. Nicht so sehr wie die Tatsache, dass Myriam im Herbst heiraten will. Myriam, ihre beste Freundin, Myriam, die sie einmal auf einem Unifest sogar fast geküsst hatte.
Komischerweise musste sie gerade jetzt an Myriam denken und hatte wieder diese seltsamen Schmetterlinge im Bauch. Schmetterlinge, die sie merkwürdigerweise bei Tobi nie so wirklich gehabt hatte.
Niemals.
Nur bei Myri und Frau Becker, ihrer Sportlehrerin in der achten Klasse, aber für die hatten ja alle geschwärmt, weil sie jung, cool und verständnisvoll war. Und umwerfend hübsch, wie Caro damals gefunden hatte.
Lügnerin, du vergisst Frau Dr. Hallström und deine weichen Knie in ihren Vorlesungen, hallte ihre innere Stimme fast schmerzhaft in ihrem Kopf und bereitete ihr Unbehagen.
Großes Unbehagen.
„Was beneide ich dich, tolles Wetter, super Essen, schöne Tempel, der Strand in Sihanoukville soll auch zauberhaft sein laut den Fotos aus dem Netz, da waren wir ja leider noch nie und endlich siehst du Dad wieder“, riss sie die Stimme ihrer Schwester aus den Gedanken, die sie so verwirrten und sie war dankbar.
Caroline lächelte leicht. Ihr Vater war nach dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren nach Kambodscha ausgewandert und arbeitete dort als Lehrer für Deutsch und Englisch an einer privaten Schule.
„Darauf freue ich mich auch schon tierisch, er meint, dass die Kids in Kambodscha viel besser zu handhaben sind als die pubertären Rotzlöffel in Augsburg. Er vertraut mir, ich hoffe…“
Caroline brach mitten im Satz ab und sah ihre Schwester Nadja, die sie zum Flughafen gebracht und ihr beim Einchecken geholfen hatte, zweifelnd an. „Du musst mitkommen, Sis, ohne dich pack ich das nicht. So weit weg. Ich pack das nicht, echt jetzt.“
„Doch, du schaffst das, Ticket, Handy und Pass hast du schon tausendmal kontrolliert, jetzt chill mal. Ich muss jetzt leider auch los, das Büro ruft, die bekommen ohne mich leider nichts gebacken. Echt jetzt, und grüß Dad von mir, ich besuch euch, dann sehe ich ihn nämlich mal nicht nur zu Weihnachten, da kannst du Gift drauf nehmen. Lass dich drücken!“
Caroline atmete tief durch, dem Gong lauschend, der gerade nicht nur ihre Unterrichtsstunde, sondern auch den Schulunterricht des Tages beendete. Damals in Augsburg hatte sie den Gong kaum abwarten können, endlich die Stunde rum, die Quälerei, die Argusaugen von Frau Michel, die jeden ihrer Fehler haarklein in Steno mitschrieb und ihr brühwarm unter die Nase rieb mit der Message, dass sie nichts konnte und besser nicht Lehrerin werden sollte.
Ihre schweißigen Hände.
Hier jedoch lief es, wie Nadja es ihr am Flughafen prophezeit hatte, total entspannt. Die Kinder, ruhig und brav, an ihren Lippen hängend, eifrig Vokabeln aufsagend. Jetzt gingen sie mit einem teils noch schüchternen Lächeln an ihr vorbei und Caroline lächelte ihren Vater an, der ihre Stunde von der letzten Bankreihe mit verfolgt hatte, leicht an.
Ihre Hände waren trotz der schwülen Temperatur, die dieses Klassenzimmer von dem in Augsburg unterschied und das ihre braunen Locken wirr in der Stirn kleben ließen, trocken.
Merkwürdig trocken.
Ihr Vater lächelte breit.
„Du warst wirklich gut, Caro, Respekt. Diese Frau Michel muss eine echte Knallcharge gewesen sein.“
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