So begann für Takeo die Einweihung in die Geheimnisse des Lebens. Er erlernte in der folgenden Zeit Dinge, die er nie für möglich gehalten hatte. Takeo hatte den richtigen Platz gefunden, um für seine Berufung vorbereitet zu werden. In den folgenden Jahren veränderte sich sein Leben völlig und das übertrug sich auf sein gesamtes Umfeld.
Yuudais Prophezeiung hatte sich erfüllt. Immer wieder erklangen in Takeo die Worte Katsumis: „Es kommt eine Zeit, in der sich die Geheimnisse der Schriftrolle mit anderen Geheimnissen verbinden werden und dadurch sogar die ganze Welt verändert wird.“ Wann würde das geschehen? Andere Geheimnisse würden sich mit den Geheimnissen der Schriftrolle verbinden. Welcher Natur würden diese Geheimnisse sein? Er wusste es nicht. Seine Lebenszeit war nicht dazu bestimmt, eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen. Was Takeo versagt blieb, sollten andere Berufene erleben, viele Generationen nach ihm.
„Das ist echt 'ne schicke Stretch-Limo“, dachte Mark, als das Fahrzeug vor ihm stoppte. Er überquerte gerade den Zebrastreifen vom Bielefelder Rathaus in Richtung Altstädter Kirchpark. „Meine Fresse nochmal ... Mercedes E-Klasse, sechs Türen, 5 Meter 98 lang und V8-Motor. Die Karre würde ich gerne mal über die Bahn scheuchen.“ Mit Autos kannte sich Mark gut aus. Sein eigenes hatte er letzte Woche verkauft. Allerdings nicht ganz freiwillig.
Mark machte halt in seinem Lieblingscafé. Besonders in der warmen Jahreszeit ging er gerne dort hin, weil man hier gemütlich draußen sitzen konnte. Er genoss die Sicht auf den Kirchpark, an dessen Ende sich der Brunnen mit dem Leineweber-Denkmal 16 befindet. Bei schönem Wetter ist hier immer viel los. Meistens sind dann alle Plätze des Cafés besetzt und auch der Park ist voller Leute. Trotz der vielen Menschen konnte Mark sich hier früher meistens hervorragend entspannen. In letzter Zeit gelang ihm dies allerdings immer seltener. Auch jetzt kreisten seine Gedanken ständig um die zurückliegenden Ereignisse.
Er hatte seinen Cappuccino gerade ausgetrunken, da wurden seine Grübeleien plötzlich durch einen Ruf unterbrochen: „Hey Mark, schön Dich mal wieder zu sehen.“ Mark schaute zur Seite: „Klaus? Was machst Du denn hier? Ich dachte, Du bist in Düsseldorf.“ „Da wohne ich auch immer noch. Ich habe momentan aber wieder öfters in Bielefeld zu tun.“ Klaus begrüßte Mark per Handschlag und berührte gleichzeitig mit der anderen Hand seinen Oberarm. „Wir haben uns über fünf Jahre nicht gesehen. Wie geht's Dir so?“ „Beschissen ist noch geprahlt.“ „Mark, altes Haus, was ist los?“ „Die lange oder die kurze Version?“ „In einer Stunde habe ich meinen nächsten Termin. Reicht das für die lange?“ „Keine Ahnung.“ Die Bedienung des Cafés kam an den Tisch. Klaus gab seine Bestellung auf: „Ich hätte gerne einen Latte Macchiato. Möchtest Du auch noch was, Mark? Ich gebe einen aus.“ „Okay, ich nehme noch einen Cappuccino mit Sahne.“
„Na, dann schieß mal los!“, forderte Klaus seinen Gesprächspartner auf. Mark zögerte einen Augenblick und begann dann über die Ereignisse der letzten Jahre zu berichten: Scheidung, Firmenpleite, Haus verloren, drohende Privatinsolvenz und nun musste er sogar Hartz IV beantragen. Nach einer Weile schaltete sich Klaus ein: „Du meinst, Du wärst nicht Pleite gegangen, wenn Du Dich früher von Deiner Frau getrennt hättest? Hmm, ehrlich gesagt bin ich nicht so ganz davon überzeugt. Vielleicht komme ich später darauf zurück. Erzähl ruhig weiter!“ Mark setzte fort: „Die Sache mit meiner Firma war inzwischen so verfahren, dass ich ihren Untergang nicht mehr aufhalten konnte. Trotzdem stemmte ich mich mit aller Macht gegen eine Pleite. Am liebsten hätte ich alles hingeschmissen. Auf der anderen Seite konnte ich das nicht. Schließlich hingen zwei Häuser daran. Dieser innere Konflikt rieb mich weiter auf und ich landete am Ende im Burnout.“
Klaus fragte interessiert nach: „Wieso hingen zwei Häuser daran? Hattet Ihr noch ein weiteres Haus gekauft?“ „Nein, nur eines. Unsere Bank verlangte für die aufgenommenen Geldbeträge weitere Sicherheiten. Der Onkel meiner Ex war bereit, sein Gebäude mit einer Grundschuld zu belasten und uns damit zu unterstützen.“ „Ich habe ein paar interessante Gedanken, die Dich vielleicht weiterbringen. Dazu müsste ich allerdings ein wenig ausholen. Was hältst Du davon, wenn wir uns morgen Abend wieder treffen?“, schlug Klaus vor. „Wir können uns dann gerne weiter über Deine Situation unterhalten.“ „Einverstanden Klaus. Kennst Du das ‚GlückundSeligkeit’?“ „Nee, das sagt mir nichts“ „Das ist eine nette Location. Ich schreib Dir mal die Adresse auf. Wie wär’s mit 19 Uhr?“ „19 Uhr ist okay. Ich freu mich drauf.“
Mark saß bereits an der Bar, als Klaus das GlückundSeligkeit betrat. Er stieg von seinem Barhocker und ging seinem Freund entgegen: „Hallo Klaus, Du bist ja pünktlich wie ein Maurer.“ „Jau. Sag mal, was ist denn das hier für ein Laden? Das sieht ja verschärft aus.“ „Das war früher mal eine Kirche, die 2004 zu einem Gastronomiebetrieb umgebaut wurde. Als das Ding eröffnet wurde, gab es einen ziemlichen Medienrummel. Verschiedene deutsche TV-Sender und sogar das japanische Fernsehen berichteten darüber. Eine umgebaute Kirche dieser Größenordnung in ein Restaurant war zu diesem Zeitpunkt einzigartig. 17Komm mal mit, ich zeige Dir meinen Lieblingsplatz!“
Sie gingen eine Treppe hinauf und erreichten eine Empore. Dort gab es weitere Bars und einige bequeme Sitzgelegenheiten. „Das ist die Lounge“, erklärte Mark. „Hier sitze ich sehr gerne, allerdings nur, wenn es nicht so voll ist. Leider ist das die Raucherzone und es ist ziemlich nervig, wenn man als Nichtraucher eingenebelt wird.“ Klaus war beeindruckt: „Wow, von hier oben ist die Atmosphäre ja noch gigantischer.“ „Wenn Du willst, können wir hier bleiben. Oder sollen wir in den Biergarten gehen?“ „Heute ist es ziemlich warm und da würde ich den Biergarten vorziehen.“ „Das sehe ich auch so, Klaus. Also wieder runter.“
Nachdem beide im Biergarten Platz genommen und ihre Bestellung beim Kellner aufgegeben hatten, griff Klaus das Gespräch vom Vortag auf: „Gestern sagtest Du, dass Du mit aller Macht gegen die drohende Pleite angegangen bist, weil zwei Häuser daran hingen. Auf der anderen Seite hättest Du am liebsten alles hingeschmissen. Warum wolltest Du das tun? Welchen Vorteil hättest Du vom Hinschmeißen gehabt?“ „Ich hatte einfach die Schnauze voll. Trotzdem machte ich immer weiter, weil ich meine Ex-Frau und ihren Onkel nicht hängen lassen konnte.“
„Das verstehe ich. Du wolltest auf keinen Fall, dass jemand wegen Dir zu Schaden kommt. Trotzdem scheint ja momentan gerade das einzutreten, was Du unbedingt vermeiden wolltest.“ „Ja, das ist ja der große Mist. Jahrelang bin ich dagegen angegangen und jetzt geschieht genau das, was nicht hätte passieren dürfen.“ „Wenn Du aber gleichzeitig am liebsten alles hingeworfen hättest, dann hattest Du einen inneren Zielkonflikt.“ „In meinen Gefühlen schon, aber von vorneherein alles über Bord zu schmeißen, wäre nicht vernünftig gewesen. Deshalb gab es für mich nur die Möglichkeit zu kämpfen.“
„Mark, es wäre für Dich vielleicht interessant, Dir Deine versteckten Bedürfnisse und Motive anzusehen, die sich hinter Deinen Konflikt verbergen. Deshalb wiederhole ich noch einmal meine Frage: Warum hättest Du am liebsten alles hingeschmissen und welchen Vorteil hätte Dir das gebracht?“ „In meiner Verzweiflung hatte ich nur den Wunsch, einfach den Reset-Knopf zu drücken und bei null anzufangen. Trotz guter Einnahmen bin ich auf keinen grünen Zweig gekommen. Meine Ausgaben waren meistens höher und dadurch wurden auch die Verbindlichkeiten immer größer. So was ist echt ätzend. Ich sehnte mich danach, diesen Schuldenberg endlich loszuwerden. Lieber mit wenig Geld auskommen und nur noch das ausgeben, was ich besitze, als ständig mit diesem Stress zu leben.“
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